PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Klimmt, Reinhard (kann nicht behaupten, er wäre vorher nicht gewarnt worden)



Wilfried Bauer
24.02.2002, 23:57
Reinhard Klimmt, Bundesverkehrsminister a.D., kann nicht behaupten, er wäre vorher nicht gewarnt worden.....

Ich weiß bis heute noch nicht, aus welchem Grund ich eine Einladung zum Kongress „Bündnis für Arbeit und Umwelt“, der am 22.9.1999 im Berliner Reichstag stattfand, erhalten hatte. Eigentlich sind mir solche Veranstaltungen zuwider, bei denen ein Thesenpapier vorgestellt, bedeutende Reden geschwungen, auf Podiumsdiskussionen gewichtige Statements abgegeben werden und sich letztendlich die restlichen Kongressteilnehmer mehr oder weniger zum Thema passend aussprechen dürfen. Da aber diese Veranstaltung in Fraktionsräumen im Berliner Reichstags stattfinden sollte, sozusagen in der für Normalsterbliche verbotenen Zone, wollte ich auch einmal für einen Tag das Gefühl erleben, dem exklusiven Kreis zu anzugehören, der den Reichstag nicht nur aus der Kuppelperspektive erleben durfte. Da ich damals in Berlin wohnte, war ich glücklicherweise auch frühzeitig genug anwesend, um einen Platz im Veranstaltungssaal zu ergattern und nicht - wie viele der 800 teilweise von weit her angereisten Teilnehmer- irgendwo im Reichstag vor einem Monitor sitzend dem Kongress folgen zu müssen.

Die der Veranstaltung und den Veranstaltern geneigten Journalisten bekamen natürlich ihre reservierten Plätze in der ersten Reihe, die nicht geneigten Journalisten erschienen erst gar nicht. Während alle Platz nahmen, scheuchten noch die verkabelnden Mitarbeiter des Fernsehsenders Phönix die Kongressteilnehmer von ihren Kameras weg, damit die gewichtige Veranstaltung der interessierten Öffentlichkeit live und ohne durch keinen markanten Hinterkopf gestört übertragen werden konnte. Im Übrigen möchte ich hier weniger die Details der Veranstaltung wie die z.B. die in seinem typischen Bremer Schnodderstil vorgetragene Rede von Jürgen Trittin ausbreiten. Wen es interessiert, kann alles Gesagte im Internet unter http://www.fes.de/fulltext/stabsabteilung/00849001.htm bis ...007.htm nachlesen.

Kurzum, nachdem die Reden gehalten waren und der Beifall abgeflaut war, wurden die anwesenden Journalisten zur Pressekonferenz gebeten. Der Rest der Kongressteilnehmer durfte sich zu den im Vorraum aufgebauten belegten Brötchen begeben. Dabei bemerkte ich eigentlich erst jetzt den sehr unterschiedlichen Teilnehmerkreis: Hier war zum Beispiel der Typ Funktionär in edlem Zwirn ähnlich dem Bundeskanzler, dort zum Beispiel der Typ Intellektueller, dem man das Vordenken unterstützt von der gesamten Körpersprache schon von weitem ansehen soll; in einem anderen Bereich der Lobby standen Teilnehmer, die ihr Alternativsein zum Beispiel durch betont lässiges Outfit im Second-Hand-Laden Stil zum Ausdruck brachten. Wieder andere taten vielbeschäftigt, kramten in Papieren, suchten das Handy. Dabei schienen selbst deren Nasenspitze den Eindruck zu vermitteln, dass ihr Träger in der Society bedeutend war. ....oder zumindest glaubte, es zu sein.

Viele Kongressteilnehmer kannten sich untereinander, und Diskussionsgrüppchen bildeten sich. Ich konnte immer nur Wortfetzen verstehen, aber es war klar, man sprach noch immer ernst über „historische Bündnisse“ und „Wichtigkeit“ und „Zukunft der Menschheit“ und die eigene existentielle Angst genau vor dieser Zukunft – oder aber auch den üblichen Insidertratsch im Weißt-Du-schon-dass-der-und-der....-Stil. Bei den meisten setzte sich aber schnell der Magen im Kampf gegen den Kopf durch, und man ging oder besser man begab sich –dem Anschein nach gleichgültig schlendernd aber in der Tat doch zielstrebig- in Richtung Büffet. Irgendwie schaffte ich es auch, trotz des Gedränges, in dem sich ständig jeder bei jedem entschuldigte, gleich drei belegte Brötchen zu ergattern. Ich gebe zu, dass es vielleicht etwas viel war, aber ich wollte mich nur einmal in die Menschentraube stürzen. Da ich mich ob meiner Gier etwas schämte, verdrückte ich mich um eine Ecke an eine Wand, wo ich unauffällig und alleine stand, fernab von den bedeutenden Ereignissen in der Lobby.

Genau auf diese Abgeschiedenheit schien es auch der damals frischgebackene Verkehrsminister Dr. Reinhard Klimmt abgesehen zu haben. Er streckte seine lange Nase um die besagte Ecke, beäugte die Lokalität und sagte zu einem aufgeregt hinter ihm hereilenden kleinwüchsigem Begleiter, dass man hier sprechen könnte, wobei er betonte, dass es aber kurz sein müsse. Dem Namensschild seines mir unbekannten Begleiters war zu entnehmen, dass dieser ein Mitarbeiter einer der großen öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten war. Man spürte, es war ihm irgendwie unangenehm, mich hier zu sehen; er sah mich kurz prüfend an, schien dann doch zu denken, dass ich mit meinen Brötchen in der Hand wohl harmlos sei. Er hatte auch gar keine Zeit, lange zu überlegen, denn er schien in seinem Eifer fast zu platzen, um dem Minister etwas mitteilen zu dürfen. „Ja, es ist wichtig“, hob er an und er überschlug sich fast vor Eifer - oh Gott, dachte mir, schon wieder was wichtiges und kaute weiter- , „heute morgen hat jemand aus der .....Redaktion belastendes Material hervorgekramt und die ..... Zeitung will daraus eine große Story machen und das wird in der ....... Ausgabe veröffentlicht.“ Als höflicher Mensch habe ich mir hier die Freiheit genommen, die konkreten Namen durch Pünktchen zu ersetzen. Der Informant bewegte vor Aufregung seine Schultern auf und nieder, seine Augen wanderten hin und her, so als sei er bei einer Indiskretion erwischt worden. Dabei sah man ihm förmlich an, dass er eine dankbare Reaktion oder ein Schulterklopfen von Reinhard Klimmt erwartete, der ja nun –frühzeitig gewarnt- seine Gegenstrategie aufbauen könne. Aber Dr. Reinhard Klimmt, der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, blieb ganz ruhig, sah seinen Begleiter von oben an und antwortete ganz gelassen: „Ach, Sie meinen die Fußball-Geschichte, da ist nichts dran, was für mich gefährlich werden könnte. Das wird aufgebauscht und dann ist die Sache bald wieder vorbei.“ Dem Informanten weiteten sich die Augen, er schluckte kurz, obwohl er kein Brötchen wie ich in der Hand hatte, und meinte jetzt merklich leiser, fast entschuldigend, dass er nur die Informationen habe weiterreichen wollen. Er stand da wie ein „Herr Lehrer, ich weiß was“- Schüler, der auf keine Resonanz stieß und der wegen der abwinkenden Reaktion enttäuscht ist.. Wenn nichts an der Sache dran sei, wäre es ja gut, meinte er noch artig. Der Minister bedankte sich noch höflich und entfleuchte sodann, weil er die WDR- Redakteurin Marion von Haaren, die Moderatorin der folgenden Podiumsdiskussion, entdeckt hatte und er mit ihr den Ablauf kurz absprechen wollte.

Kurz darauf sammelten die Ordnungshüter im schwarzen Anzug wieder die vielen Neugierigen ein, die in der Mittagspause vergeblich versucht hatten, in möglichst viele Räume und Etagen des Reichstages einzudringen. Ebenso wurde alle dezent zurückgerufen, die verzweifelt in der Mittagspause einen Aschenbecher gesucht haben. Der Kongress konnte fortgesetzt werden.

Diese Podiumsdiskussion verlief später gemäß den abgesprochenen Planungen –auch mit den kritischen Fragen, die ich ja schon zufällig mitbekommen habe. Die Podianten richten ihren Blick auch immer schön brav in die Kameras. Ein großer Teil der Prominenz verließ fast erwartungsgemäß die Veranstaltung, als die allgemeine Aussprache begann, denn sonst würde ja der Eindruck entstehen, sie hätten viel Zeit. Nur Phönix sendete trotzdem munter und live weiter, denn dieser Sender hat viel Zeit.
Viele der später aus dem Plenum heraus abgegebenen zum Teil bemerkenswerten Beiträge sind auch heute noch im Internet (Adresse: s.o.) nachzulesen und hätten die Grundlage für eine vertiefenden Diskussion bilden können. Abschweifende Beiträge allerdings wie zum Beispiel der über das mörderische Motorrad und dass man deshalb das Motorradfahren verbieten müsse, wurden dabei ausgelassen, ebenso einige Beträge, denen man den Geist der weltumspannenden und kompromisslosen Diskussionen in den Berliner Szene-Kneipen anmerken konnte. Der Kiez wird’s verschmerzen. Es war also ein ganz normaler Kongress und man ging mit einem guten Gefühl, einen historischen Tag erlebt zu haben, nach Hause.
Nachzutragen bleibt nur noch: Am Abend wurde in der Tagesschau ein kurzer Ausschnitt aus der Rede von Jürgen Trittin gezeigt, und nächsten Tag stand in manchen Zeitungen eine mehr oder weniger kleine Notiz auf Seite 2. Damit war der Zweck der Veranstaltung erfüllt: Man hatte öffentlich gemacht, dass nun Arbeit und Natur verbündet sind. ....und die Affäre um Reinhard Klimmt war damals auch noch nicht aktuell, aber zumindest wurde der Minister schon mal vorgewarnt.....und ich war Zeuge

Mr. Knister
25.02.2002, 13:04
Herr Bauer, ich glaube fast ein wenig, dass Ihre Geschichte dem eigenen Detailreichtum zum Opfer gefallen ist. Der sie umhüllende Kongress ist so langatmig beschrieben wie mit Sicherheit realiter abgelaufen. Aber das ist nicht so spannend. Spannend ist das Andere. Aber das säuft in Ihrer Plenarsaalromantik leider ab.

...

Eben habe ich Ihre andere Geschichte (Begegnung mit dem belgischen Innenminister) gelesen. Ich merke gerade, dass das Ihr Stil ist. Ich bleibe bei Obigem.

Wilfried Bauer
26.02.2002, 20:58
Vielen Dank, ich werds berücksichtigen und mehr Erzähler als Abschweifer sein (siehe "Willy Brandt in drei Sätzen"), kurz, knapp und alles ´drum rum weggelassen...