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Wilfried Bauer
20.02.2002, 15:32
Begegnung mit dem belgische Innenminister oder: Eine kleine unbedeutende Episode

Manchmal bleiben Erlebnisse und Gedanken von eigentlich unwichtigen Begegnungen hängen. Eigentlich könnte man sie vergessen, weil sie so unwichtig sind. Einzelheiten sind mittlerweile längst aus dem Gedächtnis verschwunden, aber das, woran man sich erinnert, zeigt doch, was sich im Lauf der Zeit verändert hat –unmerklich und permanent. Vielleicht ist es deshalb auch wichtig, dass man die Begebenheiten nicht vergisst, damit man Fortschritte und Veränderungen wahrnimmt und vielleicht ermutigt es auch einen Weg weiterzugehen, den man eingeschlagen hat und der mühsam, langwierig und manchmal sogar aussichtslos scheint.

Es war Anfang der siebziger Jahre, also fast dreißig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg. Ich war in Trier aufgewachsen, einer der großen europäischen Hauptstädte im Altertum, die sich allerdings im Laufe der Jahrhunderte als Grenzstadt fernab des Geschehens wiederfand. Statt der Herrlichkeit der langen Vergangenheit spürte man noch unmittelbar die inneren und äußeren Grenzen zu den europäischen Nachbarn, die vielfach trotz der dreißig Jahre die Vergangenheit, den Krieg, die Unterdrückungen und die damit verbundenen persönlichen Schicksale nicht vergessen haben. Aber die damalige Aufbruchstimmung im Land, welche den von uns noch wahrgenommenen Mief der Fünfziger und Sechziger Jahre überwinden wollte, hatte auch schon die Peripherie der Bundesrepublik und damit Trier erreicht und durch das Land wehte eine neue, von uns als erfrischende Brise empfundene Luft. Wir lebten für die Zukunft und ließen die historische Vergangenheit hinter uns zurück.
Ich war damals knapp unter 20 Jahre alt und hatte in den Semesterferien einen Job als Tutor des Internationalen Ferienkurses der Universität Trier. Bei diesem Kurs, der in ähnlicher Form auch von vielen anderen Universitäten angeboten wurde, sollte die deutsche Sprache, die Kultur, die Gedankenwelt, das Leben und Lebensgefühl den interessierten Teilnehmern aus anderen Ländern und Kulturkreisen näher gebracht werden. Als Tutoren waren damals junge Studenten gesucht worden, deren Hauptaufgabe darin bestand, sich nach den Veranstaltungen um die Teilnehmer und Studenten des Kurses zu kümmern. Da diese Kursteilnehmer zumeist jünger waren, war die Tutorentätigkeit natürlich für uns ein Traumjob. Unter den wenigen Teilnehmern, die schon etwas älter waren, befand sich ein kleiner, unscheinbarer Mann, der auf alle einen interessierten, aber auch etwas scheuen Eindruck machte. Unter der vorgehaltenen Hand munkelte man, dass es ein bekannter Politiker sei, -was aber keiner so richtig glaubte. Die Gebäude der Universität lagen damals etwas außerhalb im Stadtwald und der Zufall ergab, dass ich diesen Mann in meinem klapprigen VW-Käfer mit zur Innenstadt nahm. Das war natürlich eine hervorragende Gelegenheit, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Da man solche Gespräche ja langsam wachsen lässt, fragte ich ihn zunächst tastend, wo er herkomme, und ich erfuhr, dass er in Virton im französischsprachigen Belgien zu Hause sei. Das Gespräch zog sich einige Zeit mit Belanglosigkeiten hin. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich es anstellte, um aus dem unverfänglichen Gesprächsanfang zum eigentlichen uns alle interessierenden Thema zu kommen und ihn langsam zu etwas offenerem Reden zu bringen:
Nach langem Anlauf und Zögern kam es aus ihm heraus: „Ja“, so gab er zu, fast selbstentschuldigend, denn die Universitätsverantwortlichen wüssten es selbstverständlich auch, „ich bin in der Politik tätig und der belgische Innenminister“. Aber sofort, fast ohne Pause, bat er leise: „Aber dies sollte nicht bekannt werden“. Natürlich wunderte ich mich und ohne nachzudenken fragte ich: „Warum?“. Erst ein kurzes Schweigen –so, als benötigte er Zeit zum Nachdenken-, dann flüsterte er fast: „ Ich bin interessiert an meinen europäischen Nachbarn, an den Menschen, wie sie leben und denken, ich möchte besser Deutsch sprechen lernen. Es ist wichtig, dass wir uns verstehen, wenn wir uns europäische Zukunft aufbauen wollen. Deshalb verbringe ich meinen Urlaub hier und nicht anderswo. Wenn es aber bei mir zu Hause bekannt würde, dass ich in Deutschland am Internationalen Ferienkurs teilnehme, stellt man mir unangenehme Fragen und ich verliere Wählerstimmen.“
Unsere gemeinsame Fahrt war bald danach zu Ende, der belgische Innenminister stieg aus und ich hatte Zeit zum Nachdenken. Irgendwie hatte ich Verständnis für ihn, der einerseits Rücksicht auf die Stimmung zu Hause nahm und der andererseits trotzdem ein Bedürfnis und eine Vision hatte. ...oder ich hatte kein Verständnis, weil ein Politiker doch Leitideen verwirklichen sollte und diese offensiv vertreten sollte. ...oder vielleicht nicht, wenn sie nicht im Bewusstsein der Wähler verankert sind . Wieso ist diese Rücksichtnahme überhaupt notwendig, die Wunden müssten doch vernarbt sein ....oder schmerzt es lebenslang?
Ich schüttelte die Gedanken ab, denn heute Abend war Ausgehen mit einer Anzahl junger Studentinnen angesagt und ich hatte schon ein Auge auf einige geworfen. Vergangenheit, Zukunft, was soll es, heute ist heute.
Aber die Geschichte ging weiter. Die Tatsache, dass der belgische Innenminister unter den Kursteilnehmern war, sickerte langsam durch, und so war es eine Frage der Zeit, bis die örtliche Lokalpresse davon Wind bekam. Ein besonders eifriger Journalist wollte, wie er es ausdrückte, eine ganz große Sache daraus machen. Das war doch eine Nachricht jetzt in der Sommerzeit, ein Thema, wie es die Leser mögen: Etwas Tratsch und etwas fürs stolze Gefühl, einen bedeutenden Gast begrüßen zu können. Natürlich sollte der Bericht mit einem Interview gekrönt werden. Die harmlose Anfrage setzte eine Lawine in Gang: Wer alles seinen Einfluss geltend machte, damit das Incognito gewahrt blieb, weiß ich nicht mehr. Nach Aufregungen vieler Leute erschien der Artikel nicht. Es war klar, dass eine Lokalzeitung sich letztendlich nicht mit der örtlichen Prominenz anlegen wollte. Um genau zu sein, lange Zeit später erschien eine kleine Notiz bei einem Bericht über einen der nachfolgenden Ferienkurse, dass auch der belgische Innenminister schon einmal am Internationalen Ferienkurs teilgenommen habe.
Die Geschichte ist also nur eine kleine Episode am Rande geblieben. Dies gilt auch für mich: Ich habe sogar den Namen des belgischen Innenministers vergessen. Irgendwann, hieß es einmal, sei auch er den innenpolitischen oder den Proporzverhältnissen in Belgien zum Opfer gefallen. Obwohl Belgien so nah war, flossen auch in Trier die Informationen über Ereignisse jenseits der Grenzen recht spärlich und hat auch kaum jemanden interessiert.
Heute ist Europa ein großes Stück Alltag geworden, in dem kleinen luxemburgischen Städtchen Schengen nahe der Grenze wurden gewichtige Abkommen unterzeichnet, wir haben eine gemeinsame Währung und die Länder wachsen doch langsam und für viele unmerklich zusammen.
Kürzlich wollte ich meinem Sohn, der jetzt 15 Jahre alt ist, die Geschichte meiner Begegnung mit dem belgischen Innenminister erzählen. Ich weiß, sie ist nicht spannend, nicht aufregend und steht in keiner Chronik; sie ist vielleicht ein bisschen Spiegelbild der damaligen Zeit. Im Inneren hatte ich gehofft, dass er sich auch Gedanken macht über das Damals, vielleicht auch über Politiker nachdenkt. Aber er hat mich stehen gelassen mit der Bemerkung, dass die ollen Kamellen heute keinen mehr interessieren und hat im Fernseher MTV aus London eingeflippt....

Klingeltonk
20.02.2002, 16:16
Schöne Geschichte.
Und auf einmal hat man einen Minister im Käfer sitzen...

DerCaptain
20.02.2002, 16:21
Interessant.

Auf der Suche nach Belgischen Innenministern kam ich auf diese (http://belgium.fgov.be/pc/databank.htm) Seiten.

Noch interessanter fand ich dann die Postition

"Ombudsmannen (nuttige adressen)"

Da ich nicht glaube, daß Betty Ford mittlerweile die Belgische Regierung in Geschmacksfragen berät (obwohl ich ihr dies jederzeit zutrauen würde), frage ich mich und Euch: WAS BEDEUTET DAS?

Reno Schmittchen
20.02.2002, 16:36
"nuttig" heißt in diesem Falle leider nur "nützlich".

Mein belgischer Lieblingsminister ist trotz seines Amtes der derzeitige Verteidigungsminister,http://belgium.fgov.be/government/117131_10.htm , der für das Land sehr typisch ist und wie einem Tim und Struppi Band entsprungen aussieht.

DerCaptain
20.02.2002, 17:31
Schade!

Aber Tim & Struppi stimmt. Den würde ich wählen.

Goodwill
20.02.2002, 18:49
Vielleicht hätten Sie in der Erzählung für Ihren Sohn das Studentinnen-Kapitel etwas größer fahren sollen. Sowas interessiert die Jugend; auch manche hier im Forum. Vorsicht bei den Details (z.B. Brustbeschreibungen (http://www.alles-bonanza.net/forum/showthread.php?s=&threadid=12890)).
Ich finde die ganze Geschichte eigentlich ziemlich interessant. Die Argumentation des Ministers zum Beispiel, oder die Tatsache, dass es der örtlichen Nomenklatura damals gelungen ist, eine Zeitungsmeldung zu unterdrücken. Leider nerven mich die gut gemeinten Europa-Passagen.
Als ich Ende der 70-er Jahre mal für nur einen Tag in Brüssel war, mit langen Haaren, Interrail, Rucksack und so, wurde ich drei Mal von Belgiern mit "Heil Hitler" begrüßt. Das reichte mir, um eine Ahnung davon zu erhaschen, wie es geschichtlich gerade so stand, 34 Jahre nach Kriegsende.

Reno Schmittchen
20.02.2002, 18:54
Ich wohne seit 1981 in Belgien, da gab es nie was mit Heil Hitler in all den Jahren. Klingt eher, als seien Sie in den Niederlanden gewesen, dort macht man das heute noch gerne.

Goodwill
20.02.2002, 19:16
Ich werde doch wohl noch wissen, wo ich war.
Pause
Oder?

Walter Schmidtchen
20.02.2002, 19:18
Vielleicht waren die Haare vor Deinen Augen?

christoph
20.02.2002, 19:21
Tut mir leid - ich find die Geschichte erschütternd langweilig. Wie ja auch der Autor selbst ("Ich weiß, sie ist nicht spannend, nicht aufregend und steht in keiner Chronik"). Trier zwischen den Zeiten, europäische Brüderlichkeit, das kleine luxemburgische Städtchen Schengen - darf das nicht alles in den kostenlosen Bändchen der Bundeszentrale für Politische Bildung bleiben? Da gehörts nämlich hin, zur Bitternis aller Elftkläßler unseres schönen Vaterlands ("Uaaah - schon wieder Sozialkunde!").

Dieser Text steht da wie ein Ytongblock in seinem provinziellen Gut-gemeint-Sein.

Herr Cohn
20.02.2002, 19:23
Och nein. Wenn man das Schengensche überliest, bleibt ein kleiner netter schüchterner Innenminister und ein rostiger Käfer! Das ist doch was Schönes.

Wilfried Bauer
20.02.2002, 20:12
Nachdem die ersten Kommentare zur unbedeutenden Geschichte eingetrudelt sind, ist es interessant zu sehen, welche Aspekte bei den verschiedenen Lesern in den Vordergrund rückten: Ich wollte mit dieser Geschichte auf keinen Fall mit den Fingern auf Belgier oder andere Nachbarn zeigen, die zu Recht nicht so mit einem Federstreich die Vergangenheit zur Seite wischen können. Ich hätte mich gefreut, wenn schon darüber diskutiert wird, wenn die Diskussion mehr auf den Punkt der Rücksichtnahme von Politikern auf die Gefühle der Wähler gekommen wäre, selbst wenn es nicht mit den eigenen Überzeugungen des Politikers konform ist. (...und hiermit meine ich nicht die Anbiederung an populistische Biertischparolen)
Der zweite Punkt ist aber auch, dass ich gemerkt habe, wie wichtig Europa für Grenzbewohner ist, weil es mit ihrem täglichen Leben zu tun hat, im Gegensatz zu den Denkern fernab der Grenzen, die es tatsächlich nur als Lehrbuchtugend -wenn überhaupt- empfinden.

Entschuldigung für die Länge des Kommentars

Reno Schmittchen
20.02.2002, 21:09
Ich finde wie Cohn ebenfalls den Kern der Geschichte - Minister in Käfer - durchaus erzählenswert. Das Europagesülze habe ich einfach überlesen, dazu kenne ich die Realitäten aus meinem Leben in einem sogenannten Dreiländereck einfach zu gut. Derzeit stehen wieder jeden Tag die Holländer an der Grenze und kontrollieren auf ihre gewohnt widrige Art alles, was rein und raus fährt. Angeblich gibt es das seit Schengen nicht mehr. Pah.

Wilfried Bauer
22.02.2002, 21:55
....ich möchte dem Ganzen noch hinzufügen, dass der Inneminister zwar der erste, aber nicht der letzte Minister in meinem Studentenauto gewesen: der nächste war ein selbsgefälliger deutscher Bundesminister und es war -wie schade- nicht mehr ein Käfer sondern ein mindestens genauso verrosteter Opel Kadett mit einem kaputten Auspuff, der nicht nur röhrte sondern ab und zu auch mal knallte.....aber das ist eine andere Geschichte