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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schily, Otto (Wie ich einmal Otto Schily im Hugendubel begegnete)



DerSchorsch
19.02.2002, 11:10
Es war im Hugendubel, vor einigen Jahren. Die große Buchhandlung am Marienplatz in München heißt so. Im ersten Stock kam mir Otto Schily entgegen.

Es war so gegen fünf Uhr nachmittags. Ich fand Otto Schily unwahrscheinlich klein. Er war ja höchstens so groß wie ich, wenn nicht sogar noch kleiner und noch zierlicher, als ich es war und bin.

Oft schon hatte ich ihn im Bayerischen Fernsehen gesehen, in der Rundschau und im Rundschau-Magazin, wie er in Ottobrunn oder in Putzbrunn auf der Straße stand und von der Technischen Intelligenz sprach, um die er sich nun kümmern wolle, in seinem erst kürzlich zugeteilten Wahlkreis München Land.

Die Technische Intelligenz solle nun in der Bayerischen SPD eine Heimat finden, sie möge in der Bayerischen SPD ihre angestammte Heimat endlich erkennen, wie ja auch er, Schily, in der Bayerischen SPD seine Heimat erst kürzlich erkannt und gefunden hatte. Immer wieder hatte er nur von der Technischen Intelligenz gesprochen.

Das aber sind genau die Siemensingenieure und die damaligen DASA- und heutigen EADS-Ingenieure und überhaupt aus allen anderen Firmen alle anderen Ingenieure, die im Süden Münchens die hellen, scharfkantigen Glas-Aluminium-Beton-Reihenhäuser bewohnen, vor denen Schily damals in Putzbrunn und Ottobrunn auf der Straße gestanden hatte.

Kurz vor unserer Begegnung im Hugendubel hatte ich Otto Schily aber gar nicht wegen dieser Leute in der Rundschau gesehen, eben nicht wegen der Technischen Intelligenz, sondern wegen des Windbruchs im Perlacher Forst. Ein Sturm, dessen Mädchennamen ich vergessen habe, hatte die Bäume zu Hunderten umgerissen oder in halber Höhe abgeknickt.

Weil dieser Sturm seinen Wahlkreis verwüstet hatte, war Otto Schily vor Ort erschienen, im olivgrünen Forstarbeiter- oder Förster-Parka hatte er zwischen zersplitterten Baumstämmen gestanden, in seinen blaßgrünen Gummistiefeln war er in all diesem Bruch- und Schadholz herumgestapft, aus all dieser ehemaligen und nun gewesenen Nadelholzpracht heraus hatte Schily uns alle und besonders die Forstwirtschaft gewarnt vor der Monokultur und vor dem nun drohenden Borkenkäfer. Bei diesem Anlaß hatte Schily die Technische Intelligenz mit keinem Wort erwähnt.

Wir begegneten uns und gingen aneinander vorbei in dem schmalen Durchgang, der beim Hugendubel von den Hardcover-Ausgaben der Belletristik zur Taschenbuch-Abteilung führt. Gleich neben der Rolltreppe. Wir schauten uns kurz und durchaus freundlich an. Er bemerkte, daß ich ihn erkannt hatte, und dachte bestimmt, der kennt mich und läßt sich nichts anmerken, denn ich ließ mir nichts anmerken. Er trug einen dunkelgrauen Anzug.

Zunächst war ich zufrieden mit meiner geistesgegenwärtigen Zurückhaltung, fast stolz war ich auf meine noble Diskretion. Es wäre doch schrecklich gewesen, dachte ich, wenn ich Sie sind doch der Dings, der Schily! gerufen und mit dem Zeigefinger auf ihn gezeigt und womöglich noch einmal, und noch lauter, Da ist der Schily! gerufen hätte zu allen im ersten Stock.

Dann aber fiel mir ein, daß er noch nicht lange in der Bayerischen SPD war, chancenlos beim Direktmandat, und vielleicht ganz froh gewesen wäre, wenn ihn einmal einer erkannt hätte, wenigstens ich. Aber er kam ja später sowieso über die Landesliste der Bayern-SPD in den Bundestag.

Was der Schily im Hugendubel jetzt wohl suchte, fragte ich mich. Was für ein Buch der jetzt unbedingt haben mußte? Was der jetzt so dringend brauchte, fragte ich mich, daß der alles stehen und liegen ließ und in den Hugendubel hineinrannte, an mir vorbei, und daß er dieses Buch persönlich herbeischaffen mußte, unbedingt, und es von keinem anderen, keinem Fahrer, keinem Assistenten, hätte holen lassen können.

Die Hardcoverbelletristik und erst recht die Klassikerausgaben, die noch viel weiter hinten standen (Winkler-Dünndruck mit Lesebändchen, Gesamtausgaben im Schuber), schieden aus. Denn von da kam Schily. Von dort eben entfernte er sich. Auch die Bastei-Lübbe-Krimis zu meiner Rechten kamen nicht in Frage, denn er ging doch soeben an mir vorbei und ging damit natürlicherweise auch an sämtlichen Bastei-Lübbe-Krimis vorbei, die es bei Hugendubel überhaupt gab.

Nein, dachte ich, Schily will in die belletristische Taschenbuchabteilung (inclusive der Klassiker). Das lag klar auf der Hand. Oder aber in die Taschenbuchratgeberabteilung (Esoterik, Erotik, Finanzen), die ich schon hinter mir, Schily aber noch vor sich hatte.

Jedoch nur, wenn Schily im ersten Stock bliebe. Wenn er sich radikal auf den ersten Stock beschränkte. Wenn aber nicht, so konnten es auch die Ressorts Jura, Technische Intelligenz oder eben Forstwirtschaft sein. Naturgemäß auch alles andere, was im zweiten und dritten Stock vom Hugendubel steht.

Kurz: Ich weiß es nicht, was der Schily sucht, dachte ich bei mir, als ich den Hugendubel und damit Otto Schily schon verließ, als ich schon die Treppe hinunterstieg und im nächsten Augenblick auf den Marienplatz hinaustreten würde.

joq
19.02.2002, 11:50
Eine runde, wohlartig in Absätze unterteilte Newcomergeschichte. Schön!

DerCaptain
19.02.2002, 12:13
Ja. Fein.

vir
19.02.2002, 13:48
Diese Geschichte stünde beim Hugendubel in der Abteilung "Durchaus erfreuliche Neuzugänge"

Jean Baptiste Hugendubel
19.02.2002, 14:13
Nett.

DerSchorsch
19.02.2002, 18:37
Ich danke für die freundliche Aufnahme.

Angelika Maisch
19.02.2002, 19:06
Hier lobt man gern, Herr Schorsch.
Ich habe am Anfang übrigens andauernd "Tschechische Intelligenz" gelesen, was ihren Text fast noch wundersamer macht. Aber intelligenztechnisch gesehen hat das dann irgendwann zu Wunderlichkeiten geführt.

Juergen Broemmer
19.02.2002, 20:03
Geben Sie's zu, Herr Schorsch, Sie gehoeren selbst zur technischen Intelligenz. Jedenfalls gehoert ebendie dazu, eine so gelungene, gleichermassen kuehle wie saftige Beschreibung von Rechtswichtel Schily abzuliefern.

Ein Mann der Feder, Herr Schorsch, sind Sie allemal. Und so wuerde mich natuerlich interessieren, welches Buch Sie selbst bei der Firma Hugendubel gesucht und evtl. erworben haben.

DerSchorsch
19.02.2002, 20:28
(räusper) ja, ist ja schon länger her, es wird wohl eine zweifelhafte kleine Sauerei aus der Taschenbuchratgeberabteilung gewesen sein, wie meistens. Ach, ich hätte das jetzt nicht sagen sollen.

Angelika Maisch
19.02.2002, 21:26
Wie, Herr Schorsch, ist es ihnen darüberhinaus gelungen, den Jürgen Brömmer hierher zu locken?
Wieder und wieder habe ich ihren Text gelesen aber nicht und nicht fand ich "Mannheim" darinnen; praktisch die einzige Möglichkeit , Jürgen Brömmer bisweilen hierher zu zwingen.
Das ist schon Hightech- Intelligenz, was sie uns da vorführen, Herr Schorsch.
(zeigt mit dem Finger auf Jürgen Brömmer und ruft laut:
Der Brömmer, der Brömmer! haltet ihn...)

DerSchorsch
19.02.2002, 22:17
Danke, Frau Maisch. Ihr Wort hat bei mir Gewicht. Mannheim? Da bin ich mal umgestiegen. Sonst war da nix.

Frau H aus B
19.02.2002, 22:52
Schorsch, ich wette, Sie moegen Thomas Bernhard.

Herr Genista
19.02.2002, 22:59
Ich mag Schorsch und seine Geschichte, und das obwohl Schily drin vorkommt. Das muß man mir erstmal nachmachen. Quatsch, nein, dem Schorsch muß man das nach...

Man versteht mich sicher auch so.

Juergen Broemmer
19.02.2002, 23:01
Thomas Bernhard = "eine zweifelhafte kleine Sauerei" ?

DerSchorsch
20.02.2002, 00:58
Thomas Bernhard ist ganz zweifellos eine "zweifelhafte kleine Sauerei", zu dem und zu der ich ein gespaltenes Verhältnis habe, wie zu so vielem, wenn nicht allem. Ein rein ungespaltenes Verhältnis habe ich zu ARNOLD STADLER (Kaiser und Gott), den ich zur Zeit lese, bete und anrufe.

Es ist leicht möglich, daß ich über den ehemaligen und dann enttäuschten Thomas-Bernhard-Bewunderer ARNOLD STADLER eine gewisse, indirekte Beeinflussung durch Thomas Bernhard erkennen lasse, vulgo: daß ich ihn, Bernhard, ganz vulgär kopiert habe, das Wort "naturgemäß" schon ist ein Bernhard-Plagiat und ich gehöre dafür eigentlich (vulgo: tatsächlich) verhauen, doch ich konnte nicht widerstehen, weil ich ein schwacher Mensch bin, wenn überhaupt. Außerdem hat der Riehl-Heyse in der SZ-Wochenendbeilage auch "naturgemäß" gesagt, wobei ich grad hinausgelacht habe, obwohl das nicht korrekt war bei dem Thema. (Medien und Gewalt).

Ich bewundere auch dieses Forum. Und seinen Schutzheiligen. Und überhaupt alles, zu dem ich ein ungespaltenes Verhältnis habe.

Lenin
20.02.2002, 14:26
Dass Schily sich im Hugendubel ein Taschenbuch kauft, hätte ich nicht zu vermuten gewagt! Sehr schön geschrieben! Mir hat aber die Szene im olivgrünen Forstarbeiter- oder Förster-Parka besser gefallen: der Innenminister in blaßgrünen Gummistiefeln in Bruch- und Schadholz herumstapfend, zwischen zersplitterten Baumstämmen, aus der Nadelholzpracht heraus vor dem Borkenkäfer warnend. Das war ein Innenminister! Aber als Taschenbuchkäufer war er nicht so, als Forstinspektor jedoch gut besetzt. Ist er überhaupt Bayer? Obwohl - im Wahlkreis München-Land wohnen davon ohnehin nicht soviele und in CSU-Hand ist er trotzdem.


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... wenn ich mich nicht irre!

peregrin tuk
20.02.2002, 14:37
Weiß eigentlich jemand wann sich Schily mit Morbus Beckstein infiziert hat?

Ruebenkraut
20.02.2002, 15:20
Schily ist in Bochum geboren, hat aber immerhin mal in München studiert.
Becki hat ebenfalls teils in München studiert, ist allerdings elf Jahre jünger, so dass ein Zusammentreffen im Studium (und entspr. Übertragung eines "schlafenden" Virus) wohl eher fern liegt. Wer weiß mehr?