Tobi Wahn
15.02.2002, 12:47
Der Abend im Spätsommer 1995 versprach ruhig für mich zu werden. Keine große Veranstaltung, irgendwer sollte im hinteren Raum des Musikkellers eine Lesung halten und ich war derjenige, der die dazu gehörende Theke zu bedienen hatte. Ich war ganz mit dem Befüllen der Kühlschränke beschäftigt, als eine Frau mit dunklen, streng nach hinten gebundenen Haaren in das Gewölbe trat und zaghaft die Bühne in Augenschein nahm. Ich schätzte sie auf Ende 40. Sie war nicht besonders groß und recht kräftig gebaut.
"Nein, also die ganzen Scheinwerfer kann ich nicht gebrauchen, da sieht man ja die Hand vor Augen nicht!" rief sie durch die offene Tür in den Nachbarraum. Das war also die Künstlerin des Abends. Sie trug ein derbes, schwarzes Kleid und Lederstiefel mit hohem Absatz. Nervös zupfte sie sich an den Haaren und ich hatte kurz den Eindruck, dass sie sich überwinden musste, sich nicht einfach in ein Taxi zu setzen um möglichst schnell weit weg von hier zu fahren.
Domenica, Deutschlands prominenteste Hure, war auf einer Promotion-Tour für ihr Buch und klapperte dabei die untere Mittelklasse deutscher Kleinkunstbühnen und Kulturkeller ab.
Bald füllte sich der Saal mit Neugierigen. Das Publikum war gut durchmischt: studentisches Stammpublikum, ältere Herrschaften, die man hier noch nie gesehen hatte und eine kleine Auswahl der urbanen Kultur-Prominenz. Sie kamen wahrscheinlich aus den gleichen Gründen, aus denen sich sechs Jahre später Menschen eine Lesung von Catherine Millet ansehen würden.
Domenica erfüllte jedoch kaum die unausgesprochen an sie gestellten Erwartungen. Eine Lesung fand eigentlich nicht statt: während der kurzen Ansätze, bei denen die Autorin versuchte, Passagen aus ihrem Buch vorzulesen, unterbrach sie sich ständig selbst und erzählte eine dazu passende Geschichte. Damit überspielte sie, dass ihr das flüssige Lesen und Vorlesen recht schwer fiel. Sie war sehr verkrampft, und brach den 'offiziellen' Teil der Veranstaltung bereits nach einer halben Stunde ab, um 'Fragen aus dem Publikum' zu beantworten.
Sie benutzte nicht ein einziges anrüchiges Wort (falls es so etwas gibt), umschrieb schwammig und stockend wie ein pubertierender Teenager den Job, der sie berühmt gemacht hatte. Wichtig war ihr, hervor zu heben, dass sie nicht mehr als Hure arbeiten, sondern sich jetzt um drogenabhängige Jugendliche kümmern würde, davon aber handelte ihr Buch nicht. Oft schüttelte sie mit dem Kopf, weil sich das Publikum mehr für den für sie abgeschlossenen Teil ihres Lebens zu interessieren schien als für ihre neue Aufgabe. Ihr war fremd, dass es Menschen gibt, die so rein gar nichts vom Innenleben eines Bordells wissen, es gäbe keine Männer, die nicht auch Freier seien, dozierte sie unsicher.
Mit ihrem tiefen Lachen und ihrem kindlichen Humor gewann sie trotzdem die Herzen des Publikums, das sich nach einer knappen Stunde in eine Lange Reihe stellte, um ihr Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Sie malte mit ungeübter Hand immer die gleiche Widmung in die Bücher: 'Viel Spaß beim ...'. Männer bekamen zusätzlich noch ein krickeliges Herz dazu gezeichnet.
Nach weniger als zwei Stunden war alles vorbei. Domenica lief rauchend an das gegenüberliegende Ende des Raums an meine Theke, musterte mich abschätzig und bestellte in befehlsgewohntem Ton Rotwein. Drei Stufen von der Bühne herunter machten aus ihr einen völlig anderen Menschen. Kinn hoch, Brust raus, der Blick wie ein Beil. Hier war sie Grande Dame, allwissende Matrone, anbetungswürdige Mama, dominante Herrin, die sie so vergeblich während ihres Auftritts zu geben versucht hatte.
Sie tat mir leid. Ich sah die großen Schweißränder unter ihren Armen, roch ihre Nervosität und Unsicherheit, die sich so gar nicht mit ihrem Gesichtsausdruck, ihrer Haltung und ihrem lauten Lachen vertragen wollten. Sie war eine schlechte Schauspielerin auf einer fremden Bühne in einem Stück, das ihr nicht gefiel.
"Nein, also die ganzen Scheinwerfer kann ich nicht gebrauchen, da sieht man ja die Hand vor Augen nicht!" rief sie durch die offene Tür in den Nachbarraum. Das war also die Künstlerin des Abends. Sie trug ein derbes, schwarzes Kleid und Lederstiefel mit hohem Absatz. Nervös zupfte sie sich an den Haaren und ich hatte kurz den Eindruck, dass sie sich überwinden musste, sich nicht einfach in ein Taxi zu setzen um möglichst schnell weit weg von hier zu fahren.
Domenica, Deutschlands prominenteste Hure, war auf einer Promotion-Tour für ihr Buch und klapperte dabei die untere Mittelklasse deutscher Kleinkunstbühnen und Kulturkeller ab.
Bald füllte sich der Saal mit Neugierigen. Das Publikum war gut durchmischt: studentisches Stammpublikum, ältere Herrschaften, die man hier noch nie gesehen hatte und eine kleine Auswahl der urbanen Kultur-Prominenz. Sie kamen wahrscheinlich aus den gleichen Gründen, aus denen sich sechs Jahre später Menschen eine Lesung von Catherine Millet ansehen würden.
Domenica erfüllte jedoch kaum die unausgesprochen an sie gestellten Erwartungen. Eine Lesung fand eigentlich nicht statt: während der kurzen Ansätze, bei denen die Autorin versuchte, Passagen aus ihrem Buch vorzulesen, unterbrach sie sich ständig selbst und erzählte eine dazu passende Geschichte. Damit überspielte sie, dass ihr das flüssige Lesen und Vorlesen recht schwer fiel. Sie war sehr verkrampft, und brach den 'offiziellen' Teil der Veranstaltung bereits nach einer halben Stunde ab, um 'Fragen aus dem Publikum' zu beantworten.
Sie benutzte nicht ein einziges anrüchiges Wort (falls es so etwas gibt), umschrieb schwammig und stockend wie ein pubertierender Teenager den Job, der sie berühmt gemacht hatte. Wichtig war ihr, hervor zu heben, dass sie nicht mehr als Hure arbeiten, sondern sich jetzt um drogenabhängige Jugendliche kümmern würde, davon aber handelte ihr Buch nicht. Oft schüttelte sie mit dem Kopf, weil sich das Publikum mehr für den für sie abgeschlossenen Teil ihres Lebens zu interessieren schien als für ihre neue Aufgabe. Ihr war fremd, dass es Menschen gibt, die so rein gar nichts vom Innenleben eines Bordells wissen, es gäbe keine Männer, die nicht auch Freier seien, dozierte sie unsicher.
Mit ihrem tiefen Lachen und ihrem kindlichen Humor gewann sie trotzdem die Herzen des Publikums, das sich nach einer knappen Stunde in eine Lange Reihe stellte, um ihr Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Sie malte mit ungeübter Hand immer die gleiche Widmung in die Bücher: 'Viel Spaß beim ...'. Männer bekamen zusätzlich noch ein krickeliges Herz dazu gezeichnet.
Nach weniger als zwei Stunden war alles vorbei. Domenica lief rauchend an das gegenüberliegende Ende des Raums an meine Theke, musterte mich abschätzig und bestellte in befehlsgewohntem Ton Rotwein. Drei Stufen von der Bühne herunter machten aus ihr einen völlig anderen Menschen. Kinn hoch, Brust raus, der Blick wie ein Beil. Hier war sie Grande Dame, allwissende Matrone, anbetungswürdige Mama, dominante Herrin, die sie so vergeblich während ihres Auftritts zu geben versucht hatte.
Sie tat mir leid. Ich sah die großen Schweißränder unter ihren Armen, roch ihre Nervosität und Unsicherheit, die sich so gar nicht mit ihrem Gesichtsausdruck, ihrer Haltung und ihrem lauten Lachen vertragen wollten. Sie war eine schlechte Schauspielerin auf einer fremden Bühne in einem Stück, das ihr nicht gefiel.