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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ustinov, Peter und die Groupies



DREA
08.02.2002, 10:55
An “Herrn Bozzi” erinnert sich wahrscheinlich niemand mehr. Das war ein boesartiger Mann, der zur Strafe in einen Hund verwandelt wurde. Herrn Bozzi fand ich als Kind Klasse. Dass sich damit ein Dauerwohlwollen fuer Bozzis Filmdarsteller Peter Ustinov in mir eingegraben hatte, war mir nicht bewusst. Eigentlich mochte ich ihn weder als Hercule Poirot noch als Nero noch sonstwo sonderlich. Eigentlich hatte ich ihn voellig vergessen.

Dann kam dieser Abend, an dem ich mit einem eher langweiligen Anwalt in's Café Prinzipal in Muenchen musste. Sky Dumont hockte in blauem Goldknopfblazer mit einer langbeinigen Bruenetten am einen Nachbartisch, weiter hinten sah man einen der Wepper-Brueder mit Blondine, im Raum verteilt noch etliche andere TV-Gesichter, und fuer die Tageszeit (gegen 22:00 Uhr) erstaunlich viele aeltere Damen zwischen 58 und undefinierbar.

Dass im Raum ein wenig gespannte Aufregung herrschte, war wohl zu merken; auffaellig auch die bei vollem Lokal gesperrte Empore, auf der eine zusammengestellte Tischreihe fuer etwa 30 Personen eingedeckt war. Nach abgeschlossener Sondierung der Umgebung dachte ich nicht weiter darueber nach, was sicher auch damit zu tun hatte, dass ich mich konzentrieren musste. Naemlich darauf, meine Einsaetze fuer hoefliches “Tatsaechlich?”, oder “nein, dass das so komplex ist…” in den Kunstpausen des monologisierenden Anwalts nicht zu verpassen.

Der Mann schwadroniert gerade ueber Urhebeberrecht bei Web-Content, als die grossen Fluegeltueren, die das Café Prinzipal mit dem Prinzregenten Theater verbinden, mit Schwung aufgerissen werden. Dann kommt einen Moment lang nichts, und dann August Everding. Der fuehrt mit grosser Geste am Arm einen alten Herrn herein, der freundlich, aber etwas gequaelt grinst. Hinter den beiden etwa 20 stolzgeschwellt drein schauende Menschen gehobeneren Alters, sowie eine sehr aparte, hochgewachsene dunkelhaarige Frau, ca. Mitte 30, die ebenfalls etwas angespannt laechelt.

Die Gruppe ist ein wenig befremdlich und erheiternd, doch statt eines lockeren, kuehlen Spruchs entringt sich mir ein andaechtiges “Schau an der Ustinov. Der lebt ja noch, ist das nicht schoen”. Und zu allem Ueberfluss draengt irgendwas in mir, aufzustehen. Dem Schutzheiligen selbstauflegter Zurueckhaltung sei Dank, bricht nun aber gigantischer Applaus aus. Hie und da sind kleine Juchzer zu hoeren.

Horden von aelteren Damen erheben sich wie aufgezogen, trippeln, rennen, humpeln auf den Ustinov zu. Der weicht einen kleinen Schritt zurueck, waehrend Everding die Arme ausbreitet. In die will allerdings keiner, was Everding erst nach etwa einer Minute bemerkt. Ganz leicht angesaeuert geht er mit dem groesseren Teil der Gruppe schon mal auf die Empore. Man setzt sich. Der Ehrenplatz, zwischen Everding und der aparten Mittdreissigerin, bleibt frei.

Unterdessen beschnattern, beflirten und betatschen die aelteren Damen Ustinov in einer Art und Weise, die keine Zweifel offenlaesst. Hier ist Lust im Spiel. Er plaudert, laechelt, neigt hier den Kopf mal tiefer, blinzelt dort mal ein bisschen mehr. Alles sehr routiniert und charmant. Irgendwann reicht ihm das Nettgetue offenbar. Er geht, freundlich nach allen Seiten mit dem Kopf nickend , leicht schleppenden Schritts am Arm eines Begleiters auf die Empore.

Dort angekommen macht er beim etwas muehsehligen Hinsetzen offenbar einen halblauten Witz ueber die aeltichen Ladies. Das muss so sein, denn beim dem dem, was Ustinov in ihr Ohr raunt, bekommt die schicke Bruenette die Sorte Kicheranfall, der nur durch kleine Boesartigkeiten von Menschen ausgeloest werden kann, mit denen man intimeren Umgang hat.

Diskrete Beobachtung der weiteren Geschehnisse auf der Empore waren technisch dann leider nicht moeglich. Von meinem Platz aus jedenfalls nicht. Dafuer konnte ich dutzendweise Ustinov- Verehrerinnen sehen. Die haette er alle haben koennen, auf die eine oder andere Art. Wollte er aber nicht, und so spiegelte sich in den Gesichern der aelteren Frauen die gesamte Gefuehlspalette zwischen Sehnsucht, Verehrung und eifersuechtigem Hass.

Irgendwann hatte sich der Anwalt dann ausgeschwallert, der Merlot war alle, und den Abend zu verlaengern, waere dumm gewesen. Beim Herausgehen blickte ich noch mal zur Empore. Da kicherten Ustinov und die Bruenette, wie zwei, die sich lieben. Koennte natuerlich auch seine Nichte gewesen sein.

DonDahlmann
08.02.2002, 11:50
Schöne Geschichte, Drea. Hat sich der Abend mit dem Anwalt doch gelohnt. Hat er wenigstens gezahlt?

Sabeta
08.02.2002, 12:12
jetzt kommt ein erschütterndes outing: ich hätte genauso verzückt dagestanden, wie die damen im undefinierbaren alter. seit ich zum ersten mal quo vadis gesehen habe, wahrscheinlich weihnachten in den siebziger jahren, liebe ich peter ustinov für diese weinerliche darstellung des nero und den satz: man reiche mir die amphore für die träne und versiegele die früchte meiner trauer.

august everding hingegen war eitel und selbstherrlich. das weiss ich genau, er kam nämlich aus der gleichen stadt wie ich, dem kleinen ort am rande das ruhrgebietes mit ungünstigem namen, und das war ihm zeit seines lebens peinlich und gefragt nach seiner heimat antwortete er immer: westfalen.

graumauser
08.02.2002, 12:13
Schön erzählt, fürwahr. Ich mochte den Ustinov eigentlich von Kindesbeinen an, nur die Werbespots mit Feldbusch, die waren furchtbar. Da wirkte er schon so greisenhaft tatterig. Ist das in natura auch so? Sie haben es angedeutet, DREA.

g.

Sabeta
08.02.2002, 12:28
die expo-spots waren in der tat das grauen. ustinov hat in den siebziger jahren ohnehin viel schrott gedreht. alberne, kindische, armselig-frivole filmchen. da brauchte er wohl das geld.

Mr. Knister
08.02.2002, 12:29
"Greisenhaft tatterig" ist vielleicht nicht ganz richtig. Er pflegt eine merkwürdige Form von Understatement und Altersweisheit (da spielt er den Unbeholfenen), hinter der sich m.E. aber nur ein besonders hohes Maß an Geschwätzigkeit und Selbstverliebtheit verbergen. Ich hatte vor einem Jahr das Vergnügen, ihn bei einer Konzertveranstaltung redend zu erleben. Es war schier zum Wahnsinnigwerden.

Peter Ustinov wäre mithin ein absoluter Gewinn für dieses Forum. Er hätte in jedem Strang Entscheidendes zu sagen.
Beste Grüße, K.

DREA
08.02.2002, 12:34
Graumauser, ganz so greisenhaft nicht. Ausstrahlung war noch reichlich da, der Geist im verbrauchten Koerper schien noch recht rege zu sein.

Don, mit reichen Langweilern und Zeitdieben die Rechnung zu teilen, das ist ein voellig neuer Dedanke.

Sabeta kommt aus xxxxxxx, nenenenene

Sabeta
08.02.2002, 12:44
pföh, drea, ist doch kein geheimnis. ich komme aus westfalen!

DREA
08.02.2002, 12:48
Hey Sabeta, da muss man sich doch echt nicht fuer schaemen!!! Aber egal, in Wirklichkeit wollte ich bloss mal Paula L. spielen. Ist aber nicht wirklich lustig. Lass ich jetzt.

DerCaptain
08.02.2002, 12:56
Hach, DREA, herrlich. Schön & rund. Der Ustinov, wie lange ders wohl noch macht? Ich mag ihn.

Aporie
08.02.2002, 13:02
DREA, das ist eine Leseweide für alle seit den Expo-Spots schwer geprüften Ustinows-Fans. Übrigens sah ich letztes Jahr noch einen abartigeren Ustinow-Spot. Er spielt Schach wie Halma und sagt dann bedeutungsschwerelos: Mehr als eine Bank (möglicherweise sagte er es auch in Englisch, was in deutschen Ohren zu einem beträchtlichen Charismaverlust führt).

Onkel Rü
08.02.2002, 13:16
Wunderschöne Geschichte, toll erzählt, man ist regelrecht dabei. Ich wäre übrigens auch aufgestanden, der Mann genießt meine aufrichtige Sympathie. So möchte man alt werden...
Schönen Tach noch!

rron
08.02.2002, 13:25
Tobler hat Ustinov doch erst gestern korrekt beschrieben, als "die grosse alte Dame der Zuckertüten-Aphorismen". Dem ist doch überhaupt nichts hinzuzufügen. Halt, doch: Wunderbare Geschichte, Drea, wie Du's nur immer machst?

Ahmet
08.02.2002, 15:49
Liebe DREA, zu diesem von Ihnen beschriebenen Dauerwohlwollen braucht man als Ustinov-Fan bestimmt ein dickes Fell. Diese furchtbaren Werbespots. Viel schlimmer als die, hier mehrfach beschriebenen, Filmchen mit der Feldbusch sind aber tatsächlich jene die weiter oben Aporie erwähnt. Für eine Bank, die mir bisher unbekannt war. Ustinov wirbelt irgendwie behindert an seinem Laptop rum dabei eine Melodie summend und schließt dann tatsächlich auf Englisch: "more than a bank". Wirklich grauenhaft!

wünscht allen Ustinov-Fans Kraft

Goodwill
08.02.2002, 17:56
Nach Lektüre der Überschrift hatte ich auf eine spätrömische Szenerie mit orgiastischen Einsprengseln gehofft. Mittendrin und leichtbeschürzt: der polyglotte Sir Peter, in der einen Hand Zündhölzer, im Hintergrund ein Flammenmeer, in der anderen Hand... gut, lassen wir das.
Ich bin trotzdem nicht enttäuscht worden. Im Gegenteil: Die Wiederauferstehung des allerwestfälischsten Generalintendanten und die Fastschonwiederauferstehung Neros waren mir ein inneres Ostern.

Tristram Shandy
08.02.2002, 18:32
Peter Ustinov riecht nach Spekulatius.
Wirklich.
Und er hat ein erfrischend amateurhaftes Management ("wie 'Exclusivvertrag'? Heißt das, Herr Ustinov darf vorher nicht zu 'Stern TV'?" "Genau". "Och, wie schade - da wird der Herr Jauch aber enttäuscht sein"), das aus einem sympathischen älteren Ehepaar besteht, deren einziger Schützling P. Ustinov ist. Deshalb heißt die Agentur auch "Ustinov Agenda".

Und da die eitle Geschwätzigkeit erstens sehr unterhaltsam und zweitens nicht ohne Selbstironie ist, liebe ich Herrn Ustinov aufrichtig.

Herr Cohn
08.02.2002, 23:57
Ich mag Geschichten mit einem Hund namens Herr Bozzi, dem Ustinov (plaudernd und blinzelnd), einer Brünetten (schick) und Horden älterer Damen, die wie aufgezogen trippeln. Drea, das verschmelzen Sie so schön mit dem schwallenden Anwalt und dem Westfalending. Schön-Schickes und Groteskes bleiben eins, so lange man Ihre Geschichte im Gedächtnis behält!

DREA
09.02.2002, 06:45
Waere ja entsetzlich, wenn man dem Ballast im Kopf noch was zusetzen wuerde, Herr Cohn. Kurz freuen und dann ab auf die Halde damit, das ist viel gesuender. Erinnern nur auf Stichwort (danke uebrigens, Tobler!) und dann im Lauf eines tristen Bueronachmittages, zwischen Telefonaten, Mails und quengelnden Mitarbeitern, eine kleine Geschichte hacken. Fertig, weg damit, Reaktionen anschauen, sinken lassen, ab auf die Halde damit...
Apories schoenes Wort 'bedeutungsschwerelos', das allerdings sollte man sich merken. Und die Sache mit dem Koerpergeruch, vielleicht. Tristram, war das wohl ein sehr wuerziges Herrenparfuem, oder sah Ustinov an dem Tag einfach mal wieder aus wie ein bohemienhafter Weihnachtsmann und Sie haben 'Spekulatius' assoziiert?

Juri
09.02.2002, 12:53
Sabeta, genau, die Tränenamphore! Köstlich! Allerdings, nachdem ich Quo Vadis fünfmal gelesen hatte, konnte ich den Film als Ganzes nicht mehr gutfinden. Aber Peter Ustinov rult schon. Besonders in groupiesken Situationen. Danke, DREA!

graumauser
09.02.2002, 23:18
"Wo gehstn hin?"
"Ins Kino."
"Was gibtsn da?"
"Quo Vadis."
"Was heißtn das?"
"Wo gehstn hin?"
"Ins Kino"
"Was gibtsn da?"
.
.
.
usw, ad infinitum.

g.

Sabeta
01.12.2003, 16:45
schöne geschichte und schönes strangabwürgebeispiel.

DonDahlmann
29.03.2004, 11:23
.

Isaak Ball
29.03.2004, 13:55
War noch nicht ganz wach.

DonDahlmann
29.03.2004, 14:02
Da, Neuling. Der Der Hochtwuchtpunkt (http://www.hoeflichepaparazzi.de/forum/showthread.php?s=&threadid=12620)

rron
29.03.2004, 14:02
Was haben wir nur all die Jahre ohne Sie gemacht?

Mrs. Passmore
31.03.2004, 11:42
Als vorgestern im Radio die Meldung kam, Peter Ustinov sei in der Nacht verstorben, sagte meine Mutter voller Trauer und wohl auch ein wenig verärgert „Hätte er nicht mit mir noch unseren 83. Geburtstag feiern können?“

Ich erinnere mich an den Tag als wir Ustinov begegneten. Es war der 16. November 1996. Er war in Wien. Er trat mit seiner „One Man Show“ auf. Ich fand ihn beeindruckend. Alleine stand er auf der Bühne und strahlte eine unwahrscheinliche Energie und Lebensfreude aus. Obwohl schon sichtlich angestrengt – immerhin war er damals schon 75 – schaffte er es scheinbar mühelos, sein Publikum zwei Stunden lang in seinen Bann zu ziehen. Er sang und redete, er schnaufte und verrenkte sich - besonders in Erinnerung habe ich ihn als „Salamander“, den er angeblich in seiner Zeit als Schauspielschüler gab, „weil ich mich noch nie gerne allzu viel bewegt habe – und nicht verstehen konnte, dass eine Kollegin einen Springbock spielen wollte! Als Salamander muss man gar nicht viel tun. Man liegt den ganzen Tag in der Sonne und macht ab und zu so:“ Und dann züngelte er und man sah das Tier vor sich. Fassungslos war ich über so viel Ausdruckskraft. Und wir haben zwei in höchstem Maße unterhaltsame Stunden erlebt.

Meine Mutter bewunderte Ustinov schon lange, hatte ihn in „Quo vadis“ gesehen und in vielen anderen Rollen. Eines Tages aber erfuhr sie, vermutlich beim Friseur und vermutlich aus der Regenbogenpresse, etwas über ihn, was in ihr zusätzlich ein Gefühl der tiefen Verbundenheit mit Sir Peter entstehen ließ. Sie hatte eine Gemeinsamkeit mit ihm, aus der sie eine Nähe zu ihm ableitete – die es ja tatsächlich nicht gab. Das aber störte meine Mutter nicht im Geringsten. Wann immer sie seit damals von ihm etwas hörte oder las, informierte sie uns davon – „Der Ustinov war gestern wieder im Fernsehen!“ und sonnte sich in der Gewissheit, dass sie irgendwie aus dem gleichen Holz geschnitzt seien.

An jenem 16. November 1996 also kam sie eigens angereist aus dem Westen, ich hatte sie eingeladen zu der One Man Show. Und nicht nur das. Sie sollte ihrem großen Sir Peter auch begegnen.

Mutter war aufgeregt wie ein junges Mädchen vor dem ersten Rendezvous. Sie versuchte es zu verbergen – aber es war unübersehbar. Ich hatte sie am Abend vorher vom Bahnhof abgeholt. Zu Mittag oder war’s am frühen Nachmittag, so genau weiß ich das nicht mehr, machten wir uns auf den Weg in den 9. Bezirk. In der Buchhandlung „Leporello“ signierte der Künstler Bücher. Wir waren pünktlich – und doch stand da schon eine Schlange, in die wir uns einreihten, nachdem wir Ustinov-Bücher gekauft hatten. Sie „Ich und ich“, ich nicht „Ich und ich“, sondern „Baumeister des Friedens. Gespräche mit Jitzhak Rabin, Schimon Peres, Jassir Arafat und Hanan Aschrawi.“

Geduldig warteten wir. Peter Ustinov saß rechts hinten, umgeben von Bücherregalen und CDs, wie es halt so ist im „Leporello“. Er wirkte im ersten Augenblick klein und zerbrechlich auf mich, was natürlich Unsinn ist, weil er ja eher umfangreich und sehr präsent war. Aber ich glaube, groß war er wirklich nicht. Geduldig signierte er alle Bücher, die ihm unter die Nase gehalten wurden. Direkt vor uns stand einer in der Schlange, der mir bald ziemlich auf die Nerven ging. Der Bücherstapel, den er vor sich hertrug, ließ Schlimmes ahnen. Ich sollte mich nicht täuschen. Als er endlich vor Sir Peter stand, begann das Warten so richtig.

„So, das bitte für Andrea!“ „Für Andrea, ja, gerne“
„Und hier ein Autogramm für Renate“ „Wie bitte?“
Er hört schlecht, dachte ich. Er ist 75. Da darf man auch schlecht hören, dachte ich.
„Für R-e-n-a-t-e, bitte“ sagte unser Vordermann und Ustinov wiederholte „Ah ja, für Renate, was für ein schöner Name – die Wiedergeborene!“
„Und hier, das ist „herzlichst für Tante Olga“ „Herzlichst für Tante Olga, ja, gerne“
Geduldig signierte er Buch um Buch, genau wie es ihm angesagt wurde.
Ich konnte es nicht fassen. Meine Mutter neben mir verdrehte die Augen, kramte aber gleichzeitig aufgeregt in ihrer Handtasche. Ich registrierte es aus dem Augenwinkel. Was hat sie bloß vor?

Die beiden Herren vor uns arbeiteten sich akribisch Stück für Stück durch den Stapel.
Christine und Tante Marie waren in der Zwischendreit dran und mir fiel auf, dass er wirklich nur für Frauen sammelte. Offensichtlich beabsichtigte er, die gesamte Verwandtschaft und seinen weiblichen Freundeskreis mit Ustinov- Autogramm-bereicherter-Literatur zu beglücken.

Zuguterletzt hatten sie es geschafft. Das letzte Buch. Der Herr ging weiter. Wir waren dran.

Meine Mutter vor mir. Sie hatte das Buch aufgeschlagen und ihren Reisepass geöffnet hineingelegt. „Herr Ustinov“ sagte sie „ich freue mich so, dass wir uns einmal begegnen.“ Sir Peter blickte zuerst verwirrt auf den Pass, dann auf sie. „Sie wollen eine Reise machen?“ sagte er. Meine Mutter, aufgeregt wie sie war – und schwerhörig, wie sie es damals auch schon war – überhörte diese Bemerkung und sagte „Herr Ustinov, wissen Sie, wir haben nämlich etwas gemeinsam. Schauen Sie mal.“ Und dann hielt sie ihm den Pass so unter die Nase und zeigte mit dem Finger so deutlich auf ihr Geburtsdatum, dass er wirklich nicht mehr anders konnte.

Mir war die Szene ehrlichgesagt ein wenig unangenehm.

Zuerst dieser Fan mit dem Bücherstapel, und dann meine Mutter. Ich schämte mich ein wenig.

Ustinov aber schien das, als er erst erkannt hatte, was diese fremde Frau ihm sagen will, ganz amüsant zu finden und wurde noch freundlicher als er es eh schon war. „Oh, ja – wir sind ja am selben Tag geboren und im selben Jahr - da sind wir also praktisch Kollegen, nicht wahr?!“ Meine Mutter war natürlich gerührt. Und bei mir war das Gefühl der Peinlichkeit schlagartig verflogen. Stattdessen machte sich eine tiefes Glücksgefühl in mir breit. Vielleicht, weil meine Mutter in diesem Moment so glücklich wirkte, vielleicht aber auch, weil er ihr und dann mir das Gefühl vermittelte, ganz in Ordnung zu sein so wie ich bin. Das klingt ein wenig seltsam, aber so war es.

Nachdem er ihr eine Widmung ins Buch geschrieben hatte „Für meine liebe Kollegin herzlich Peter Ustinov“ sagte ich „Ich habe nicht mit Ihnen Geburtstag, Herr Ustinov.“ Er lächelte, „nein, das sieht man wirklich.“ „Aber ich bin die Tochter.“ „Oh, die Tochter, wie nett, wie heißen Sie?“ Ich sagte ihm meinen Vornamen. „Wie alt sind Sie senn?“ Ich sagte ihm mein Alter. „Ich habe auch eine Tochter, im gleichen Alter. Das ist ein gutes Alter“ Ja, sagte ich, und hatte das Gefühl, ja, das ist wirklich das allerbeste Alter. „Möchten Sie auch ein Autogramm?“ „Ja, bitte“ und hielt ihm das Taschenbuch hin, das ich soeben erstanden hatte. Er nahm’s, sagte „Ah, Sie interessieren Sich für Politik. Ja, das ist gut. Der Frieden im Nahen Osten war in so greifbarer Nähe.“ Bedauernd sagte er das. Und dann bekam ich die Widmung. Das Buch habe ich gut aufbewahrt.

Ich finde er war ein ganz Großer. Und irgendwie hatte er auch Ähnlichkeit mit meiner Mutter. In gewisser Hinsicht.

Stahnkes Darm
01.04.2004, 11:15
Was für eine schöne Geschichte!

Aporie
01.04.2004, 13:37
Schon klar, das mit dem Zuckertütenaphorismus. Aber
Peter Ustinow konnte ich auch für das schlechteste Bonmot nie böse sein. Er hat diese beiden guten Geschichten verdient.