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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Prominenzgedanken oder: aufgeblasene Vorwölbungen



sapinho
28.01.2002, 22:32
1. pro|minens, prominent engl.: prominent (latein.) vorspringend
2. Pro|minentia engl.: prominence Fach: Anatomie (Knochen-)Vorsprung, Vorwölbung.


Früher war das Leben noch schlichter strukturiert. Prominente waren die aus Funk und Fernsehen, die aus der Zeitung, aus Politik und Wirtschaft, die auf den Bucheinbänden, auf den Laufstegen, in den Videoclips und Talkshows. Früher.

Dieses Weltbild geriet zum ersten Mal leicht ins Wanken, als ich mich gezwungenermaßen dem zu widmen begann, was harmlos und allumfassend als "Berufsleben"bezeichnet wird.

Mein erster "Prominenter" war der Geschäftsführer der Coca Cola Deutschland, dessen Arbeitgeber mein Arbeitgeber "sozusagen versehentlich" für 48 Stunden alle Telefonleitungen abgestellt hatte. Seit jenem Telefonat kann ich den angeblich wissenschaftlich erwiesenen Umstand bestätigen, dass kein Mensch länger als sieben Minuten am Stück brüllen kann. Aber das ist ein anderes Thema.

Trotz dieses fast traumatisch anmutenden Erlebnisses bin ich dem Dienst am Kunden treu geblieben und habe einige Jahre lang am verregneten und beschaulichen Niederrhein damit verbracht, meinen Kunden hochwertige, erklärungsbedürftige Investitionsgüter ( im Volksmund auch Immobilien genannt) zu verkaufen.

Und seitdem weiss ich, dass Prominenz sehr relativ sein kann.
Die hervorstechendsten Eigenschaften des echten Niederrheiners an sich sind seine Behäbigkeit und die Gewissheit, in diesem kleinen Mikrokosmos zwischen dem Ruhrgebiet und den Niederlanden eine wichtige, fein austarierte und einmalige Position in der Gesellschaft einzunehmen.
Als nicht am Niederrhein geborener und/oder dort aufgewachsener Mensch sass ich dem Irrtum auf, es mit völlig normalen Menschen zu tun zu haben.
Das ist in einem Landkreis, der über 286.388 Einwohner auf 1231.49 km² Fläche verfügt, ein grober Irrtum.

Einer der ersten Einwohner, der mir als Kunde begegnete, war ein Elektromeister mit eigenem Betrieb, nennen wir ihn Jansen. Artig unterhielten wir uns am Telefon über eine Immobilienanzeige, zu der Herr Jansen nähere Details wissen wollte.
Herr Jansen: "Dann schicken Sie mir mal eine Expertise ( Anmerkung: niederrheinisch für Exposé). Aber mit Adresse."
Mit Adressen sind Immobilienmakler für gewöhnlich eher geizig, was sie aber meist sehr höflich formulieren.
Ich: "Der Eigentümer hat uns gebeten, keine Anschrift herauszugeben.
Herr Jansen: "Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?"
Ich: "Ja, Herr Jansen."
Indigniertes Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Fünf frustrierende Sätze später hat Herr Jansen sich mit dem Umstand abgefunden, dass er keine Adresse bekommt, und es geht wieder um den Exposé-Versand.
Ich: "Wenn Sie mir dann bitte noch Ihre Anschrift nennen würden..."
Herr Jansen: "WIE BITTE?"
Der Tonfall verheisst nichts Gutes, auch wenn ich die Gefahrenquelle noch nicht so recht ausmachen kann. Vorsichtig wiederhole ich meine Frage.
Herr Jansen: "Das ist ja wohl die Höhe! Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?"
Jetzt wieder "Herr Jansen" zu antworten scheint mir nicht allzu klug zu sein. Schweigen ist Macht, denke ich, und schweige freundlich in den Hörer.
Herr Jansen: "Ich bin Herr Jansen. Und meine Adresse ist Jansenplatz 1 in Musterhausen!!!"

Das war mein erster Patzer am Niederrhein, und ich habe ihn nie vergessen. Zwar hat Herr Jansen mit mir die fragliche Immobilie besichtigt, aber ich habe ihm nie etwas verkauft. Immerhin: ich habe seinen Namen nie wieder vergessen.
Diesem Patzer folgten diverse Fettnäpfchen, die ich oftmals nur mit Mühe und Not umschiffte.

Ich erinnere mich heute noch voller Wonne an eine Kundin, deren Sohn der Produzent einer bekannten Popgrösse war, die ich damals schon doof fand und von der man seitdem auch nie wieder etwas gehört hat.
Die stolze Mutter - eine sehr nette, aber auch ausgesprochen schwierige und kapriziöse Kundin - erfreute mich mitten in den schwierigsten Vertragsverhandlungen immer wieder mit dem Satz "Sie wissen ja, wer mein Sohn ist, oder?"
Wenn sie unter dem Eindruck stand, dass die Verhandlungen nicht in ihrem Sinne verliefen, stand sie mitten im Satz auf, schleppte einen Stapel Maxi-CDs durch das Wohnzimmer, stellte diese vor mir auf den Tisch und sagte: "Alle handsigniert, von meinem Sohn. Ich schenke sie Ihnen."
Keine zehn Minuten später räumte sie sämtliche CDs wieder weg. Ich habe letztendlich keine einzige CD bekommen, was ich allerdings mit Fassung getragen habe.
Den Sohn, den berühmten, habe ich übrigens bei einer der Besichtigungen auch kennengelernt. Seine Mutter erklärte mir bedeutungsvoll, er sei extra aus der Schweiz gekommen, um sich das Haus anzuschauen.
Es handelte sich um einen ruhigen, symphatisch aussehenden Mann Anfang 30, der zu den unauffälligsten und normalsten Meschen zählt, die ich am Niederrhein je getroffen habe.

Aber die Prominenz am Niederrhein ist noch viel weitreichender.

Es wimmelt dort nur so vor lauter Grossnichten und sonstigen Verwandten von Joseph Beuys. Ich habe bis heute nicht so recht nachvollziehen können, welche konkreten Rechte oder Ansprüche diese Menschen aus derartigen Verwandtschaftsgraden für sich beanspruchen.
Im Normalfall genügt es, ein beeindrucktes Gesicht zu machen.

Wer mit dem Vorstand einer der Banken einmal im Monat kegelt, kann für sich gewisse Privilegien in Anspruch nehmen.
Mit solchen Zeitgenossen ist nicht zu spaßen. Sie holen bei Bedarf ein bedeutsam-bedrohliches Gesicht aus dem Säckchen und schweigen niederrheinisch-unheilschwanger. Vielleicht entschlüpft ihnen noch zusätzlich ein düsteres "Dann werde ich den Jupp am Freitag Abend mal darauf ansprechen..." Punkt.
Wer das lustig findet, schmunzelt zu recht. Und war noch nie wirklich am Niederrhein.

Nach all den Jahren am Niederrhein bin ich dieser Krankheit schliesslich selbst zum Opfer gefallen. Freunde von auswärts fanden es erheiternd bis befremdlich mit mir das Haus zu verlassen, weil so viele Leute meinen Namen kannten. Firmenpost landete auch hin und wieder im privaten Briefkasten. Und das eine oder andere kleine Privileg habe ich zugegebenermaßen auch ein wenig genossen.

Wer mir nun böswilligen Sarkasmus unterstellt, möge in Ruhe zwischen den Zeilen lesen. Denn die Niederrheiner sind ein ausgesprochen liebenswertes Völkchen.

Ich arbeite mittlerweile in Köln. Da ist es eigentlich auch nicht viel anders.
Nur dass ich dort unbehelligt durch die Strassen laufen kann, ohne damit rechnen zu müssen, dass jeden Moment aus dem Hinterhalt mein Name gerufen wird.

So ist das mit der Prominenz. Schrullig währt halt doch am längsten.

Herr Cohn
28.01.2002, 23:30
Ihre Geschichte hat mich sehr erfreut! Denn: Ich saß mal in Xanten in einem Straßencafé und musste eigentlich was Wichtiges lesen, das war mir jedoch unmöglich. Das Leben der Menschen dort war einfach zu suggestiv für mein städtisches Hirn. Alle schienen einander zu kennen, auf eine bizarr wortlose Art, exotisch gelaaassen. Seit damals frage ich mich immer wieder, wie man am Niederrhein wohl leben mag, so, hm, so - und hier steht es, einfach so! Vielen Dank!

DerCaptain
29.01.2002, 00:27
Ja, meine Prominenz geht mir auch langsam auf den Wecker.

Immer mit Sonnenbrille frühstücken gehen, dann das Getuschel an der Supermarktkasse und im KaDeWe werden mir jovial lächelnd Sonderkonditionen eingeräumt.

Dafür kriegt man jede Menge Weiber. Auch nicht schlecht.

sapinho
29.01.2002, 21:21
Über den Niederrheiner an sich, Herr Cohn, liessen sich viele wundersame Dinge berichten.
Die Szene in einem Xantener Straßencafé erinnerte mich spontan an ein Stück von Hüsch. Leider ist mir der Name entfallen.
Er beschreibt darin den kläglichen Versuch einer normalen Unterhaltung in einem Café. Seine Gesprächspartner unterbrechen ihn jedoch ständig bzw. hören ihm gar nicht zu, weil sie vollauf damit beschäftigt sind, den "Prominenzgrad" einer Architektin zu klären, um deren Geburtstag es eigentlich geht.
Sind Sie sicher, dass Herr Hüsch nicht am Nebentisch gesessen hat?!?


Die Stadt Kleve verhandelt seit längerem erfolglos mit diversen Investoren ( auch das ist eine Geschichte für sich; die Investoren trifft jedenfalls keine Schuld) - vielleicht ging es ja um eine KaDeWe-Filiale?

DerCaptain
30.01.2002, 02:09
Es gibt keine KaDeWe-Filiale. Es gibt nur ein KaDeWe, Sie Troll.

Herr Cohn
30.01.2002, 02:26
Sapinho: Herr Hüsch, saß er da nicht, vielleicht jedoch - all diese Leute hatten etwas von Hüsch, nur seine Eloquenz hatten sie nicht so. À propos, lassen Sie sich vom Captain nicht erschrecken. Er geht halt so schrecklich gern ins KDW, wissen Sie.

hofbauerova
30.01.2002, 11:05
Ich würd´ jetzt gern das Statement: "Es gibt nur ein KDW", vor allem auch den Zusatz "Sie Troll", im Zusammenhang mit dem Statement "Das ist Kunst" diskutiert sehen, weil ich noch ein bisschen beleidigt bin von gestern und sonst unter Umständen ´was durcheinanderbringe mit totalitär und Ideologie und mit der Hitze, die es zu vermeiden gilt. Ich brauche Belehrung, ganz dringend: Isses jetzt mehr super, wenn man impulsiv das eine, einzige KaDeWe lobt, als wenn man impulsiv die Kunst gefunden zu haben glaubt?

DerCaptain
30.01.2002, 18:17
Originally posted by hofbauerova
Isses jetzt mehr super, wenn man impulsiv das eine, einzige KaDeWe lobt, als wenn man impulsiv die Kunst gefunden zu haben glaubt?

Natürlich ist ersteres mehr super. Nicht so super ist KDW zu schreiben.

Herr Cohn
30.01.2002, 19:15
Och Captain.

Hofbauerova, Sie haben sich gestern doch gut geschlagen! Aber sagen Sie: Entspricht die schrullige Kunst der Niederrheiner nicht der - ich rate - des oberen Vorarlberg?

sapinho
31.01.2002, 20:55
Troll zu sein stelle ich mir hin und wieder ganz praktisch vor. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Frage ist doch, ob es gut ist oder nicht, dass es keine KaDeWe-Filiale gibt. Eine weitere Frage wäre, was Herr Hüsch dazu zu sagen hätte.
Da das KaDeWe sicher auch Heimorgeln führt, dürfte es ihm dort gefallen.

Und wenn man Herrn Hüsch mit der Orgel ins Schaufenster verlegt, dann ist das auf jeden Fall Kunst - zumindest aus niederrheinischer Sicht.

hofbauerova
31.01.2002, 21:34
Ich habe (ja nur?) Herrn Cohn zitiert mit dem KDW, gebe aber zu, dass ich aufmerksamer hätte sein sollen. Vor allem ist mein Posting inkonsistent: mal so, mal so. Ganz schlecht.

Captain, sapinho, wie meinen Sie denn nun: soll es noch eine KaDeWe-Filiale geben? Mehrere? Viele, auf der ganzen Welt? Oder würde das die Einzigartigkeit der Institution entwerten, und damit die Institution selbst?

Und auch auf die Gefahr hin mich als Ignorantin zu outen: Wer ist Herr Hüsch?

Aporie
31.01.2002, 22:30
Geben Sie zu Frau Hofbauerova, dass Sie diese Schlussfrage synapsichtlich gestellt haben: Herr Hüsch ist der Max Goldt der fünfziger Jahre.

hofbauerova
31.01.2002, 22:37
Hanns Dieter Hüsch? Ich entschuldige mich höflich, in den fünfziger Jahren war ich noch nicht da.

Aporie
31.01.2002, 23:00
Er treibt heute noch sein Unwesen, auch wenn sein Humor sich seither nicht verändert hat.

hofbauerova
01.02.2002, 10:54
Gut, ich habe Herrn Hüsch jetzt in mein subjektives Universum eingebaut. Dieses, mein subjektives Universum, ist räumlich gesehen gross. So richtig auskennen tu ich mich aber beispielsweise schon in Vorarlberg nicht mehr, Herr Cohn. Ich habe drei Versuche unternommen in den Bregenzer Wald zu gelangen, jeweils von Westen kommend. Einer ist an Zeitmangel gescheitert, die beiden anderen am Winter, also an hohem Schnee und Lawinengefahr in Kombination mit Sommerreifen. Mir ist nicht bekannt, dass Vorarlberg über herausragende und/oder skurrile Literaten verfügt. Gibt es Vorarlbergkenner unter uns? Ich war nur mal drei Monate auf der anderen Seite, in Herisau, was mir wahrscheinlich das Mitleid des schweizerischen Publikums eintragen wird.

Ich finde, wir verlieren das KaDeWe aus den Augen.

peregrin tuk
01.02.2002, 10:57
Ach ja Vorarlberg...

Stimmt es eigentlich das sie nach dem Krieg per Volksabstimmung den Beitritt zur Schweiz wollten?
Die Schweizer waren klüger.

Und ab ins Ka De We.

Klingeltonk
01.02.2002, 11:09
Ungern treibe ich diesen Strang von der zweifellos schönen Ausgangsgeschichte weiter weg, aber trotzdem zum KaDeWe etwas Authentisches.

Diese unsägliche Frage: Warum nicht noch ein KaDeWe? stellte ich aus Unwissenheit, Dummheit und Beschränktheit dem Herrn KaDeWe. Es war bis dahin ein erfolgreicher Termin gewesen, alles lief wie geschmiert, und dann: diese Frage. Herr KaDeWe erstarrte. Man hätte genauso fragen können: Warum nicht noch ein Kölner Dom? Wieso nicht noch einen Papst? Weshalb nicht Citizen Kane 2? Der Termin war schnell zuende, man wolle es sich noch einmal überlegen, man rufe dazu baldmöglichst an. Ich habe keinen Anruf bekommen. Ich habe mich geschämt.

hofbauerova
01.02.2002, 11:19
Wieso die Aufregung, es gibt ja jetzt auch noch ein Riesenrad.

sapinho
01.02.2002, 20:38
Frau Hofbauerova, Herrn Hanns Dieter Hüsch zu kennen zählt auf diesem Planeten durchaus zu den eher erstrebenswerten Unterfangen, glauben Sie mir!

Was nun die KaDeWe-Filialen anbelangt, muss ich gestehen, dass ich - trotz diverser Hauptstadtbesuche - diese Institution nur von aussen kenne. Daher auch meine Unkenntnis, ob es dort Heimorgeln gibt. Aber der Captain kann da sicher weiterhelfen.

Herr Klingeltonkomponist, man könnte natürlich neben die KaDeWe-Filiale eine niederrheinische Variante des Eifelturms platzieren.
Ich finde, wenn man sich schon das Maul zerreisst, dann sollte es sich auch lohnen.

irona
16.02.2002, 19:42
Tja, das KeDeWe - ein wirtschaftspolitisches Bollwerk , der kapitalistische Konsum-Tempel, ohne den die 'Wi(e)der'-Vereinigung sicherlich noch 10 Jahre später stattgefunden hätte - wer weiß, für was's gut gewesen wär ?) ...
Das KaDeWe hat natürlich Heimorgeln! Ich glaube, das einzige was es dort nicht gibt,
sind Särge (aber nur deshalb, weil's ein Bestattungsgesetz gibt).

Aber ich komme gern auf das Thema des Thread-Beginners zurück: PROMINENZ
Ich - als völlig von Prominenz unberührt und wenn, dann auch unbeeindruckt -
lebe nach über 20 Jahren in Berlin nun als (fast) Anachoret in einer piefigen ländlichen Gegend. Hier stelle ich fest, das es sowas wie Provinz-VIPs gibt.
Also, wenn ich meinen alteingesessenen Nachbarn nach einer Person frage, die ich da oder dort gesehen habe, dann auch noch in diesem oder jenen Zusammenhang, dann ist er fast immer entsetzt, dass ich denjenigen nicht kenne, weil der doch DER-&-DER (oder DIE-&-DIE) ist ... !
Ich schwanke echt:
bin ich glückliche Ignorantin oder bedauernswerte Okkasions-Verpasserin.

Herr Cohn
16.02.2002, 22:46
Ne Ironantin aus Westberlin
die schrieb immer ihr Bestes hin.

Da sagte Herr Hüsch ihr,
ach Ihre Schnüss hier,

die gibt erst dem Ganzen den letzten Sinn.

sapinho
17.02.2002, 21:20
Herr Cohn, dem habe ich fast nichts hinzuzufügen.

Aber danke für die Info bzgl. Heimorgeln!

irona
22.02.2002, 19:04
Kapitulation manchmal
Resignation niemals
Optimismus selten
Zuversicht immer !!!