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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Erste Allgemeine Verunsicherung - Rock'n'Roll is here to stay



graumauser
23.01.2002, 20:57
Es war 1981, und, wenn mich nicht alles täuscht, Nikolausabend. Ich arbeitete im Jugendzentrum, verdiente mir als Student damit den Lebensunterhalt. Das Juz, in einer südlich von Frankfurt gelegenen Gemeinde, war ursprünglich eine hölzerne Baracke, ohne Komfort, ohne alles eigentlich, aber die Kids mochten den rohen, gemütlichen Charme der Hütte sehr. Viele alte Sperrmüllsofas, mit Brandlöchern, zwei riesige Kühlschränke fürs Bier, und ein Bose-Verstärker, der innerhalb einer Woche jeden Baßlautsprecher mordete.

Die sozialdemokratisch geführte Gemeinde hatte in den späten siebziger Jahren beschlossen, etwas für die Jugend zu tun, und baute neben diese gemütliche Baracke ein neues Jugendzentrum. Einen "Mehrzweckbau", quaderförmig, Klinker innen und außen, Fliesenboden. Große Halle in der Mitte, sieben, acht Meter hoch, außenrum Werkstätten, eine Küche, ein Sozialraum, Toiletten. Stahltüren. Vergitterte Fenster. Ein Klotz, wie ihn die damalige Reformpädagogik für toll hielt.

Die Kids waren nur in der "Baracke" zu finden, der Neubau, zehn Meter entfernt, war tot. Ich kann das heute noch gut verstehen.

Um nun den politisch Verantwortlichen dieses Desasters nicht in den Rücken zu fallen (die Gemeinde bezahlte ja immerhin unser Betreuerteam, und nicht schlecht), veranstalteten wir regelmäßig Konzerte in diesem Kasten. Alles, was uns gefiel: Hardrock, Folk, lokale Größen, immer schön reihum. Die Kids, und deren Geschmack, waren da nicht so wichtig, weil wir eine große Gemeinde waren, in der es genug Freaks wie uns gab. Und es war immer ausverkauft.

Ja, und dann kamen die Österreicher, blind gebucht, auf Empfehlung ("Wahnsinn, Mann, das geht ab, geilgeilgeil") eines Durchblickers. Erste Allgemeine Verunsicherung, das stand auf dem Bandbus, einem uralten SETRA, der Samstagsmittags auf den Hof des Jugendzentrums dieselte. So ein riesiger, gemütlicher, runder, rot-weißer Nachkriegs-Omnibus, zum Tourgefährt ausgebaut, und vollgestopft bis unters Dach. Die Tür flog auf, und sieben, acht langhaarige, grinsende Typen purzelten in einer alkoholgeschwängerten Ganja-Wolke aus dem Bus.

Ein paar Worte hin und her, das österreichische Idiom war so gut verständlich wie unser Hessisch, und wir waren Freunde.

Es folgte die Ortsbesichtigung. Diese ergab, daß der Bandbus zwecks Be-und Entladung sinnvollerweise um den Neubau herumchauffiert werden solle, um zwischen ebendiesem und der Baracke geparkt kürzeste Arbeitswege zu ermöglichen. Der Fahrer schaffte es dann tatsächlich, das Ungetüm vom sicheren Asphaltparkplatz, auf dem bisher alle Bandbusse geparkt hatten, auf das Rasenstück zwischen den Gebäuden zu manövrieren.

Wie gesagt, es war Dezember. Der Boden war weich, aber es ging so gerade eben, mit der Fahrerei. Der Himmel war sonnigblau, und die Luft war klar.

Das Konzert war der Hammer. Sauber ausgesteuerter und perfekt zelebrierter Rock, Reggae, Schlagerparodien, dazu Kostümierungen, Comedy-Einlagen. Ironisch bissige Texte, die mir öfter mal Lustschreie entlockten und in der rap-pel-vollen Halle für Enthusiasmus sorgten. Süße Wölkchen und Bierdunst - das Grande Finale des Auftritts fand ziemlich im Nebel statt.

Dann, nach dem Auftritt, tranken wir ein paar Bier miteinander, lachten, alberten, und bauten die Anlage ab. Trugen sie zum Bus, der draußen wartete, in der elenden Kälte, die der klare Himmel gebracht hatte. Alles wurde verstaut, die Band wollte noch ein Stück weiterfahren, um am nächsten Tag im Schwäbischen auftreten zu können. Wir umarmten uns, verschwitzt, besoffen und bekifft, wie wir waren, schworen uns ewige österreichisch-hessische Blutsbrüderschaft, und der Diesel sprang nagelnd an.

Er brummte, der alte Selbstzünder, laut, wieder leiser, wieder laut, aus dem Auspuff kam öliger Qualm, aber der Bus bewegte sich nicht. Keinen Zentimeter. Doch: fünf, zehn Zentimeter vor, und dann wieder zurück. Und nochmal. Aber das war's auch.

Der Bus war auf dem weichen Rasenstück eingesunken, mit den Reifen. Etwa zwanzig, dreißig Zentimeter tief, was keinem weiter aufgefallen war. Dann war der Frost herniedergeklirrt, und jetzt waren die Mulden, in denen der
SETRA stand, gefroren. Nachts um zwei, fünfzehn Grad minus, und der Bandbus festgefroren.

Wir schoben mit zehn Mann, rhythmisch schaukelnd, wir banden ein Dienstfahrzeug der Stadtverwaltung vorne an den Bus, und gaben Gas, bis sich die Kupplung in Rauch auflöste, allein, es half alles nicht: der Bus stand, wo er eingefroren war.

In diesen Zeiten hielt man zusammen, wenn man das Gefühl hatte, zusammenzugehören - was ja manchmal ziemlich diffus war. Hier war der Fall klar. Wir verteilten die acht Bandmitglieder, ebensoviele Sozialarbeiter plus Anhang, und etwa fünfzehn Kästen Bier auf die Privatfahrzeuge und fuhren: "Zu mir!", wie ich einfach so mal gesagt hatte. Ohne die Situation vollständig zu überblicken. Was ein Fehler war, aber wen kümmert das.

Ich hatte eine etwa - na! 35-qm-Souterrain-Wohnung, spärlich, aber liebevoll Ikea-eingerichtet, und in dieses mein Heim fielen jetzt eine komplette, durchgeknallte Wiener Showtruppe, etliche euphorische Sozialarbeiter, deren Anhang, sowie einige Minderjährige, die mit ihren Mopeds der unseligen Karawane nachgefahren waren, ein. Das Bier wurde hereingeschleppt, Spliffs gerollt, Musik angemacht, Kerzen und Räucherstäbchen angezündet, die Österreicher bekamen Hunger, und backten sich Spiegeleier auf dem Herd, dazu wurden meine Nudelvorräte gekocht, mit Knoblauch und Zwiebeln vermengt, Paprika dazu, "He! Is noch irgendwo 'n Teller?" - also, die Atmosphäre war so dicht und gepackt, wie sie eben sein kann, wenn man sich praktisch gegenseitig auf dem Schoß sitzt und glücklich ist.

Die Nacht verging wie im Fluge - wie das halt so ist, wenn die Stimmung paßt. Alles krakeelte durcheinander, dann wurde es etwas stiller, als der Spitzerthomas die Geschichte vom gestorbenen Bandleader Walter erzählte. Schön, mit Ösi-Schmäh, es trieb uns die Tränen in die Augen, und das Bier hinein.

Nachdem wir die letzten Schoppen als Frühstück deklariert hatten, fuhren wir in einem Konvoi, der jeder militärischen Ordnung spottete, zurück zum Jugendzentrum und zum Bus, der dort mit vereisten Scheiben auf seine Besitzer wartete. Es war Sonntag, zehn Uhr, und der Bauer, den ich angerufen hatte, kam mit seinem Bulldog und einer Stahltrosse.

Unvergessen der Blick des Landwirtes, voll stummer Verachtung die Horde der besoffenen Hippies musternd. Sehr! tadelndes Stirnrunzeln in meine Richtung, durch Achselzucken und große Augen quittiert. Die Trosse eingehängt, ein Rrrruck, und der Bus war frei, ich drückte dem Bauern einen Hunderter aus der Abendkasse in die Hand, was ihn freute, und ob wir ein Bier hätten, auf die Schnelle vielleicht?

Wir tranken - mittlerweile frierend - noch einen Schoppen, der uns aber meistenteils gar nicht mehr so schmeckte. Es war Sonntag, kalt, hell, klar, der Bulldog fuhr davon, und die Tür des SETRA schloß sich. Wir winkten, aber eher verschwörerisch, als der Bus losfuhr. Dann zerstreute sich auch die Entourage. Ich fuhr heim, sehr müde.

Meine Wohnung sah aus, als hätte ein Tornado gewütet, und roch wie ein Schweinekoben. Aber ich war trotzdem glücklich.

Das war damals so.

g.

DerCaptain
23.01.2002, 22:41
Ja, früher wäre man gestorben für einen solchen Abend. Heute würde man alle Teilnehmer umbringen. So ist der Lauf der Zeit.

Philostrat
24.01.2002, 00:22
Also, ich habe die Geschichte eben meinem Sohn vorgelesen.
Und was soll ich sagen? Sie funktioniert!

Frau H aus B
24.01.2002, 00:27
Heisst das, er schlaeft?

Philostrat
24.01.2002, 00:49
Ohne wenn und aber, wie eine eins!

Angelika Maisch
24.01.2002, 01:29
Saubere Arbeit, graumauser.

Grover Watrous
24.01.2002, 02:45
Au backe, die EAV! Da werden tief schlummernde und schürfende Erinnerungen zum Leben erweckt. Legendäre Combo, die frühe EAV! Der Rest ist Schweigen. Wer war denn damals eigentlich Leadsänger, 1981? Steinbäcker, der spätere STS-Barde? Schöne Geschichte jedenfalls, und für den Spitzerthomas (den frühen Spitzerthomas) leg ich sowieso meine Hände in´s Feuer. Der hat schon einige Gustostückerl geliefert, der Lauser!




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Meide die Popkultur.

Treutwein
24.01.2002, 12:00
Tragisch, wie das mit der EAV endete. Die waren damals ja anscheinend wirklich gut. Und dann, in den den Neunzigern, verheizten sie sich bei Verstehen Sie Spaß und so. Und heute? Gibt es die noch? Spielen sie bei den Wahlveranstaltungen der FPÖ, weil niemand sonst sie mehr haben will?

Tragisch.

sys
24.01.2002, 13:55
graumauser, du hast mich nicht enttäuscht, danke für´s aufschreiben. sehr schön. das juz gibt´s glaube ich noch und ist immer noch ölig-rosa-braun von aussen und fies von innen. ich habe vor bald 10 jahren einen schönen abend dort verbracht. es spielten "sir henry and the penetrators" und es rockte gewaltig.

Walter Schmidtchen
24.01.2002, 19:04
Ironisch bissige Texte?
was ist das, ironisch bissig? Zähne mit Gänsefüßchen? Nur so tun, als ob man zubeisst?

Auch diese Geschichte verstehe ich nicht.

Philostrat
24.01.2002, 19:25
Das beruhigt mich!

Brotwurst
24.01.2002, 19:44
Gefaellt mir sehr gut, graumauser.
Der EAV gehoerte ein Teil meiner Kindheit. Ich besitze heute noch drei, vier voellig ausgelutschte, bis zum Erbrechen oft durchgehoerte Kassetten. Neulich mal wieder eingelegt und geschmunzelt. Taugt immer noch.

Walter Schmidtchen
24.01.2002, 19:48
Originally posted by Philostrat
Das beruhigt mich!

Und mich beruhigt DAS

Grover Watrous
25.01.2002, 03:42
Originally posted by Walter Schmidtchen


quote:

Originally posted by Philostrat
Das beruhigt mich!




Und mich beruhigt DAS

Ich bin ein wenig beunruhigt.

Mr. Knister
25.01.2002, 10:42
Beruhigen Sie sich doch wieder. Bitte.

Das ist eine so schöne Geschichte, dass einem ganz warm ums Herz wird dabei (und dass man Lust bekommt, in die Kneipe zu gehen und liebe Leute zu treffen sich das eine oder andere Bier zu teilen und überhaupt. Leider ist es noch zu früh dazu.)

War dieses Juz eigentlich das von Egelsbach? Mir kommt der Parkplatz so bekannt vor...

sys
25.01.2002, 19:29
Originally posted by sys
graumauser, du hast mich nicht enttäuscht, danke für´s aufschreiben. sehr schön. das juz gibt´s glaube ich noch und ist immer noch ölig-rosa-braun von aussen und fies von innen. ich habe vor bald 10 jahren einen schönen abend dort verbracht. es spielten "sir henry and the penetrators" und es rockte gewaltig.

| o.k., wir reden also nicht vom selben JUZ. hahaha. |

graumauser
25.01.2002, 21:36
Doch, deiner Beschreibung nach meinen wir dasselbe. Die alte Baracke ist wohl mittlerweile abgerissen, und der "Juz-Neubau" steht nun selber schon fast barackig zwischen häßlichen Büokästen im Industriegebiet.

Mr. Knister, es ist warm. In Egelsbach auf die Autobahn fahren, beim Wertkauf wieder runter, und man ist fast da.

Grover Watrous, es WAR der Gert Steinbäcker, klar. Mittelpunkt der Show war aber der Spitzerthomas. Was der an seiner Klampfe alles abgezogen hat, das war unglaublich.

Liebe Grüße von eurem

g.

Grover Watrous
27.01.2002, 22:43
Und der Spitzerthomas war ja nicht nur Klampfengott, sondern auch noch Cheftexter.




Der Hemmschuh der Revolte
saß da und Alkoholte
mit angelaufnen Brillen
sich geistig einen runter
und er sang mitunter
in trunkenem Chorale
die Internationale!

Der Arsch ist weich, das Antlitz bleich,
Klassenkampf in Österreich!


Und dann? Falsche Drogen vielleicht, oder einfach nur Das Österreichische Schicksal: Österreicher sein UND in Würde altern, das wäre ein gelebtes Oxymoron. Nein, das hakt jetzt. Egal.

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Meide die Popkultur. Wider die Selbstzensur.

seven
12.02.2002, 07:35
Die Geschichte ist prima und ich wäre gerne dabei gewesen.
EAV bin ich einmal vor ca. 10 Jahren in einem Frühstückscafe in Köln begegnet, wo sie abends bei einer grossen Fernsehshow auftreten sollten. Der Sänger (Name weiss ich nicht, blondgelockt, schmal) sass mit zwei Leuten der Roadcrew am Tisch, die offenbar aus Offenbach oder Frankfurt kamen. Er liess sich jedenfalls genau erklären, was es dort an neuen Comedy- (nannte man das damals schon so?) Gruppen gab: Badesalz, Eisbergduo, Monotones...
Schön war zu erleben, wie der Mann immer genau nachfragte, aufmerksam zuhörte und sich wirklich interessiert an der Sache zeigte. Keine Spur von Arroganz. Es war nett, am Nebentisch zu sitzen und dem Gespräch einfach zuzuhören.
Später sah ich die ganze Band im Foyer des gegenüberliegnden Hotels, wo ich auch zu tun hatte. Man wartete anscheinend auf den Transport und - naja, wird wohl der Keyboarder gewesen sein - einer setzte sich an den Flügel und spielte was von Elton John. Die anderen sassen herum und waren gut gelaunt.
Angenehme Leute das.
Später habe ich mal gelesen, dass der EAV Sänger noch lange Jahre nachdem das modern gewesen war, Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs geblieben ist.
Da kann man sagen was man will, lieber Graumauser, von der durchgemachten Nacht mit der EAV können Sie mit Stolz noch Ihren Enkeln erzählen.