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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Avignon, Jim (Aufzeichnungen aus einem Kellerloch)



Verboten Wolf
20.01.2002, 20:52
Vor ein paar Jahren hatten wir für wenig Geld ein Büro in einem Keller angemietet. Es war ein schönes Büro, wenn auch etwas feucht und unterhalb des Kanalisationsniveaus gelegen. Die nur durch einen Vorhang abgetrennte Toilette hatte eine elektrische Pumpe, die alles außer Tampons pürieren und anderthalb Meter nach oben pumpen konnte, und die Ratten lärmten zu allen Tageszeiten ungeniert in den Rohren an der Decke.

Vor uns hatte ein Plattenlabel das Büro bewohnt, aus dessen Nachlass ein Schuhkarton voll hüllenloser CDs auf uns gekommen war. Die meisten konnte man nicht öfter als einmal hören, manche immerhin dann, wenn man besoffen wie ein Lurch war, aber eine war darunter, die hörten wir ständig. Es war eine grau gemusterte ohne aufschlussreiche Beschriftung, und sie lief etwa ein Jahr lang den ganzen Tag. Die Musikrichtung ließ sich noch am ehesten mit "wenn ich auf diese Taste drück, spielt er ein kleines Musikstück" umschreiben, jedenfalls von mir, da ich Musikrichtungen nur mit Müh und Not zu unterscheiden vermag, und auch nicht gerade viele.

Aufklärung wurde mir eines Abends in der Flittchenbar zuteil, wo einige Damals-noch-nicht-Paparazzi und ich jeden Mittwoch hingingen, weil man dort ähnlich unbeholfen gekleidet war wie wir und weil das überqualifizierte Tresenpersonal in den Morgenstunden rührend zu singen pflegte. Bartholmy war, wie ich kürzlich erfuhr, auch regelmäßig dort, wir kannten uns aber noch nicht. Unsere Büro-CD wurde gespielt, was mich verwunderte und erfreute, da ich nicht ernsthaft damit gerechnet hatte, dass es mehr als ein einziges Exemplar davon gebe. Als ich nachsehen ging, handelte es sich sogar um Live-Musik, die von einem unscheinbaren kleinen Mann und seinem Keyboard hervorgebracht wurde. Da er außerordentlich harmlos aussah, sprach ich ihn später an der Bar an, berichtete von der namenlosen CD und dass sie uns viel Freude bereitet habe in unserem dunklen, feuchten Keller. Er heiße, sprach der harmlose und gütige Mann, Jim Avignon, und habe gerade eine zweite CD angefertigt. Die wolle er mir zuschicken, damit wir etwas Abwechslung hätten. So geschah es auch. Ich habe Jim Avignon seitdem noch ein paarmal gesehen, mich aber nicht mehr getraut, ihn anzusprechen, jetzt, wo ich weiß, dass er keineswegs nur von mir gekannt wird, sondern vielmehr unermesslich reich und berühmt ist.

Angelika Maisch
20.01.2002, 21:55
Der gute Sonntagabendbeitrag. Funktioniert. In jeder Hinsicht.
Ich glaube, auch ich traf einmal Jim Avingnon.
Hätte ich nur gewußt, wie unermeßlich reich und berühmt er einst werden würde, ach wie hätte ich es mir gemerkt.

Sabeta
20.01.2002, 22:07
hier hängt ein mikro ins leben!
denn 1.) habe ich heute beim aufräumen die komplett vergessenen briefe wiedergefunden, die bei einer kurzkorrespondenz mit jim avignon entstanden sind, und
2.) traf ich ihn auch ein zweites mal und traute mich nicht, ihn anzusprechen.
dabei sieht er wirklich absolut harmlos aus.

Grover Watrous
20.01.2002, 23:12
Hab nach "Jim Avignon" gegoogelt, und mußte zu meiner Überraschung feststellen: Ich hab ihn auch bereits getroffen.
Bei einem schlecht organsierten und sehr grindigen Festival in Salzburg, weiß der Kuckuck, warum Jim dafür extra angereist ist. Naja, die Organisatorin kannte ihn wohl persönlich und war auch recht ansehnlich, aber man will ja nichts unterstellen.
Ich selbst war sehr angetan von Jim Avignons erdrückend harmloser Bühnenpräsenz, ich tänzelte sogar ein wenig, wenn ich mich recht entsinne, und das kommt selten vor. Die Mehrheit der problemlos zu zählenden zahlenden Gäste schien jedoch nicht zu gneissen, dass sich vor ihren kleinen unbedeutenden Äuglein gerade etwas unfassbar Großes abspielte.

Als mir dann ein in subkulturellen Angelegenheiten sehr bewanderter Bekannter aus dem befreundeten Ausland zu Verstehen gab, daß Jim in Berlin vor 1000en Menschen aufzutreten pflegt und zu den angesagten acts in town gehört, war ich gar nicht argwöhnisch und fühlte mich sehr eins mit Berlin.

Danke für das sonntagabendliche Staub-aus-meinen-Synapsen-wedeln.

Grover Watrous



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Da lacht das Herz, da jauchzen die Synapsen.

chuck
21.01.2002, 00:00
Jim Avignon? Kenn' ich nicht, hab' ich nie getroffen. Damit bin ja wohl ganz allein und kann mich darauf konzentrieren, dies ausgesprochen schöne Erstposting zu loben. Ich wittere einen Hintergrund aus professioneller Schreiberei und bewahre "unbeholfen gekleidet" für die weitere Verwendung auf.

Benzini
21.01.2002, 03:18
Nette Geschichte, aber Sie haben sich nicht getraut diesen Avignon anzusprechen und verwenden gleichzeitig einen solchen Titel?

Haben Sie das gelesen. Das Kellerloch. Ist das nicht ein bißchen, na sagen wir, arriviert?

Aporie
21.01.2002, 12:33
Verboten gut für ein erstes Posting. Gratuliere.

DREA
21.01.2002, 12:47
Mal abgesehen davon, dass das Ganze vergenueglich zu lesen ist. Auf die Formulierung "alles ausser Tampons puerieren" bin ich richtiggehend neidisch, VW.

rron
21.01.2002, 12:59
Hey, ich hab ja eine Jim Avignon-Swatch! Ich glaube, darauf ist er aber eher nicht stolz, oder?

DerCaptain
21.01.2002, 16:26
heute gemeldet... (http://www2.tagesspiegel.de/archiv/2002/01/20/ak-be-st-5513046.html)

paule9999
21.01.2002, 17:19
Sehr schöne Geschichte von

Don Wolf

Mir war Jim Avignon bisher völlig unbekannt.

Tristram Shandy
21.01.2002, 17:29
Erstposting? Das ist geschrieben wie nach 809 Postings...
Ihr seid mir vielleicht Pfeifen - das ist doch... ja, genau, den Stil kenne ich doch von...
Ich weiß bloß nicht, ob ich's verraten darf? Sag was!

rron
21.01.2002, 17:34
Hat sie doch selbst schon längst getan.

Verboten Wolf
21.01.2002, 17:36
Das hat Shandy richtig erkannt; besonders schwer kann es aber auch nicht gewesen sein, da ich meinen bevorstehenden Umzug in den neuen Wolfspelz bereits anderswo angekündigt hatte. Es ist übrigens recht schön, wieder von allen getätschelt und gehätschelt zu werden. Da soll noch mal einer sagen, die Neuen hätten es nicht gut bei uns!

Tristram Shandy
21.01.2002, 17:45
Hmm, vielleicht sollte ich mal ein bißchen mehr lesen, bevor ich wild rumposte.
Ich verdiene es, dass man mich abmantelt wie einen Neuling.

slowtiger
21.01.2002, 18:35
Mir hats gefallen. Das mag aber auch daran liegen, daß ich sowohl das Kellerloch als auch die CD kenne. Man freut sich halt, wenn man sein vertrautes Umfeld wiederentdeckt.

Und warum ist der Wolf verboten? Wahrscheinlich wegen seiner Zoten.

suess&saftig
02.06.2002, 21:41
"....besoffen wie ein Lurch...." - herrlich!

Sowohl der Zustand, als auch die mir nicht bekannt gewesene Formulierung für selbigen.

Regular Gonzales
06.04.2004, 14:28
Ich traf Jim Avignon im Büro von Gerhard Hahn, dem Geschäftsführer von Hahnfilm und Regiesseur von Dingen wie "Asterix in Amerika" und "Werner - Volles Rooäää".

Wir waren beide dort, um Hann für unsere Projekte zu begeistern und ihm die Finanzierung derselben schmackhaft zu machen. Jim hatte im Vorfeld des Treffens eine CD-ROM mit mehreren kleinen Spielen geschickt, die er entworfen hatte und die mit seiner Musik unterlegt waren.

Ich erzählte Jim die Geschichte vom Dauereinsatz unserer einzigen Büro-CD
(ich habe eine gemeinsame Vergangenheit mit Verboten Wolf im Kellerloch), und sie schmeichelte ihm auch dieses mal wieder.

Auf Avignons Frage hin, wie denn Herrn Hahn die Musik wohl gefiehle, antwortete der: "Musik in Spielen find ich nervig! Die hab ich gleich ausgeschaltet."

Bevor wir uns trennten forderte Jim Avignon seine CD-ROM zurück und reichte sie mir. Dabei drehte er seinen Kopf leicht in Richtung Hahn und sprach: "Er hört nämlich auch die Musik! Und ihm gefällt sie!"

Draussen tauschten wir dann noch Adressen aus. Aus den Projekten ist leider nie etwas geworden (ausser einem Hundefutter-Screensaver den ich für Hahnfilm anfertigte. Aber das ist eine andere, sehr traurige Geschichte, die mit Jugend und Geldnot zu tun hat)