Lego
07.01.2002, 22:50
Prolog:
Wir waren Musikschüler und hatten ein Problem. Jeder Musiker wird es kennen: Lampenfieber, die unbezwingbare Angst sich öffentlich bis auf's Mark zu blamieren, Hohn und Spott zu ernten, statt der erhofften Lorbeeren. Doch Unbezwingbar? Das kann doch nicht sein, sagten wir uns, und als Musikerkollegen hatten wir eine - für diese Spezies - typische Idee.
"Das kann man üben! Man kann alles üben! Wir proben die Blamage. Wir machen uns öffentlich zum Obst. Wir zeigen dem Bühnenkoller die Stirn und zwingen ihn mit weichen Knien in dieselben."
Getreu dem Motto "ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert", zimmerten wir uns einen infernalischen Fuhrpark an "Instrumenten". Das Material lieferten diverse Besuche auf Schrottplätzen, Mülltonnentauchgänge an den Hintertüren von Großküchen und dergleichen mehr. Absurde Müllschlagzeuge, zusammengestellt aus Rohren, Dosen, Blechen, Stangen, Wannen, Stöcken, Kram, Krempel und Kauderwelsch, waren das Ergebnis. Und wir probierten sie aus. An unseren Mitschülern und der versammelten Lehrerschaft, auf sogenannten Umweltkongressen und auf der Straße.
Doch die Sache ging völlig nach hinten los. Die Leute wussten so überhauptnicht, was sie von diesem grausigen Lärm halten sollten, das sie schlichtweg begeistert waren. Wir hielten das erst für eine Schutzreaktion und machten weiter, doch man feierte uns als Avantgarde. Scheiße. Wieder nicht geklappt mit dem Blamieren. Ignorantes Publikum!
Die Begegnung:
Das alles spielte sich in Duderstadt ab, einer kleinen Stadt in Südniedersachsen. Und im selben Jahr (1994) fand dort sowas wie eine regionale Gartenschau statt. Das bedeutete, dass für unzählige Millionen Pflastersteine aus Italien geordert wurden um die autobefreite Hauptstraße zu garnieren, alte Feuchtbiotope in schicke neue Parks verwandelt wurden und zur Einweihung der Ministerpräsident zu Besuch kam, um sich die Ergebnisse seiner Finanzvergabe zu beschauen.
Der Direktor unserer Schule wollte auch ganz avantgarde sein und stellte uns Krachmacher mitten auf eine große Wiese am Rande der Ehrenrunde und sich selbst an den Wegesrand. Sein Lampenfieber war ihm anzusehen. Er wollte unbedingt diese eine Hand schütteln, die, die heute in aller Ruhe Kriege führt.
Schröder kam in einem Tross schwarzer Anzüge. Auf Zeichen des Direx begannen wir eine kakophonische Interpretation der schönsten Melodien Stockhausens auf Konservendosen anzustimmen, so laut, dass in der Ferne Neubauten einstürzten und Hosen starben. Die lustwandelnde Politprominenz änderte sofort ihren Kurs, verließ den Weg, doch nich zur Flucht nach hinten, sondern geradewegs auf uns zu und ließ das geifernde Schuloberhaupt links liegen. Plötzlich stand er direkt neben mir, uns Gerhard, beäugte den Müllberg und klatschte mit - annähernd im Takt. Ich reichte ihm mit der Linken und breitem Grinsen eine aus Kronkorken gebaute Rassel, während ich mit der Rechten eine Zinkbadewanne traktierte. Ich hätte sie ihm geschenkt, doch er wollte sie nicht behalten, sondern reichte sie an Sozialministrer Hiller weiter, der seine helle Freude daran hatte. Der gnädige Gerhard gönnte ihm den Spaß. Nur Wochen später musste er seinen Hut nehmen.
Der Kanzler in spe blieb noch ein paar Minuten, doch unser herbeigeeilter Direktor wurde ihm wohl zu aufdringlich oder die Termine drängten, und sie zogen von dannen. Es war unser letzter Versuch uns zu blamieren. Der Segen unsrere Oberhäupter gab uns den Rest. Wer hatte hier wen blamiert?
Meine Stimme hat ihn vier Jahre später nicht mit zum Kanzler gewählt. Er hätte die Rassel schon annehmen müssen.
Wir waren Musikschüler und hatten ein Problem. Jeder Musiker wird es kennen: Lampenfieber, die unbezwingbare Angst sich öffentlich bis auf's Mark zu blamieren, Hohn und Spott zu ernten, statt der erhofften Lorbeeren. Doch Unbezwingbar? Das kann doch nicht sein, sagten wir uns, und als Musikerkollegen hatten wir eine - für diese Spezies - typische Idee.
"Das kann man üben! Man kann alles üben! Wir proben die Blamage. Wir machen uns öffentlich zum Obst. Wir zeigen dem Bühnenkoller die Stirn und zwingen ihn mit weichen Knien in dieselben."
Getreu dem Motto "ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert", zimmerten wir uns einen infernalischen Fuhrpark an "Instrumenten". Das Material lieferten diverse Besuche auf Schrottplätzen, Mülltonnentauchgänge an den Hintertüren von Großküchen und dergleichen mehr. Absurde Müllschlagzeuge, zusammengestellt aus Rohren, Dosen, Blechen, Stangen, Wannen, Stöcken, Kram, Krempel und Kauderwelsch, waren das Ergebnis. Und wir probierten sie aus. An unseren Mitschülern und der versammelten Lehrerschaft, auf sogenannten Umweltkongressen und auf der Straße.
Doch die Sache ging völlig nach hinten los. Die Leute wussten so überhauptnicht, was sie von diesem grausigen Lärm halten sollten, das sie schlichtweg begeistert waren. Wir hielten das erst für eine Schutzreaktion und machten weiter, doch man feierte uns als Avantgarde. Scheiße. Wieder nicht geklappt mit dem Blamieren. Ignorantes Publikum!
Die Begegnung:
Das alles spielte sich in Duderstadt ab, einer kleinen Stadt in Südniedersachsen. Und im selben Jahr (1994) fand dort sowas wie eine regionale Gartenschau statt. Das bedeutete, dass für unzählige Millionen Pflastersteine aus Italien geordert wurden um die autobefreite Hauptstraße zu garnieren, alte Feuchtbiotope in schicke neue Parks verwandelt wurden und zur Einweihung der Ministerpräsident zu Besuch kam, um sich die Ergebnisse seiner Finanzvergabe zu beschauen.
Der Direktor unserer Schule wollte auch ganz avantgarde sein und stellte uns Krachmacher mitten auf eine große Wiese am Rande der Ehrenrunde und sich selbst an den Wegesrand. Sein Lampenfieber war ihm anzusehen. Er wollte unbedingt diese eine Hand schütteln, die, die heute in aller Ruhe Kriege führt.
Schröder kam in einem Tross schwarzer Anzüge. Auf Zeichen des Direx begannen wir eine kakophonische Interpretation der schönsten Melodien Stockhausens auf Konservendosen anzustimmen, so laut, dass in der Ferne Neubauten einstürzten und Hosen starben. Die lustwandelnde Politprominenz änderte sofort ihren Kurs, verließ den Weg, doch nich zur Flucht nach hinten, sondern geradewegs auf uns zu und ließ das geifernde Schuloberhaupt links liegen. Plötzlich stand er direkt neben mir, uns Gerhard, beäugte den Müllberg und klatschte mit - annähernd im Takt. Ich reichte ihm mit der Linken und breitem Grinsen eine aus Kronkorken gebaute Rassel, während ich mit der Rechten eine Zinkbadewanne traktierte. Ich hätte sie ihm geschenkt, doch er wollte sie nicht behalten, sondern reichte sie an Sozialministrer Hiller weiter, der seine helle Freude daran hatte. Der gnädige Gerhard gönnte ihm den Spaß. Nur Wochen später musste er seinen Hut nehmen.
Der Kanzler in spe blieb noch ein paar Minuten, doch unser herbeigeeilter Direktor wurde ihm wohl zu aufdringlich oder die Termine drängten, und sie zogen von dannen. Es war unser letzter Versuch uns zu blamieren. Der Segen unsrere Oberhäupter gab uns den Rest. Wer hatte hier wen blamiert?
Meine Stimme hat ihn vier Jahre später nicht mit zum Kanzler gewählt. Er hätte die Rassel schon annehmen müssen.