PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Stockhausen, Karlheinz



Lilaxista
28.12.2001, 23:38
Ich find jetzt grad nicht den passenden Strang, sind wohl alle in Bearbeitung, daher einen neuen:

Im März 2000 machte ich ein Praktikum in der Hörspielabteilung in Baden-Baden.
Nach kurzer Begrüßung bekam ich ein eigenes Zimmerchen zugewiesen, in dem Tonbandgerät und elektrische Schreibmaschine standen. Sie wurden meine Arbeitswerkzeuge für die nächsten Wochen. Man gab mir zu tun und ließ mich machen, ganz angenehm. Mein Zimmer war warm und ich hatte einen schönen Ausblick: einerseits konnte ich die von Lothar verwüsteten Baden-Badener Hänge bestaunen, anderseits sah ich den die Aufnahmestudios und Hörspielredaktion verbindenden Glasgang, so dass jeder, der Dramaturgie oder Sekretariate aufsuchen wollte, an mir vorbei musste. So einige interessante Persönlichkeiten sah ich den Gang durchschreiten, nur die Kriegsblinden, die in dieser Zeit in Baden-Baden tagten hab ich irgendwie übersehen.

Das Praktikum machte jedenfalls Spaß, ich bekam Einblicke vor allem in die Arbeit der Dramaturgie, was allerdings fehlte war die Möglichkeit, einer Hörspielproduktion selbst beizuwohnen, keine Chance, denn ausgerechnet in diesem März wurde so fast gar nichts in den grandiosen Studios aufgenommen, stattdessen hatte sich ein anderer Gast in das tollste, größte und schönste Studio hineingesetzt und das für volle drei Wochen:
Karlheinz Stockhausen.

Statt aufregender Schauspieler und Regisseure (wie erhofft) sah ich nun jeden Morgen wenn ich kam und jeden Abend wenn ich ging: Stockhausen. Er trug immer weiße Kleidung und wurde stets von einem zierlichen weiblichen Persönchen mit schönen langen Haaren begleitet. Diese trug immer diverses Noten-Material mit sich herum. Beide verständigten sich wortlos miteinander, überhaupt hörte ich ihn nur selten etwas sagen, meist sah ich ihn einfach in diesem verglasten Studio sitzen, Tag für Tag. Was er dort machte ? Was wohl: Stockhausen hören natürlich. Er erledigte die Endabmischung seines zuletzt in Donaueschingen aufgeführten Teiles des Großprojektes LICHT.

Dass der Herr Stockhausen einen schönen Größenwahn kultiviert, sieht man ihm auch irgendwie an. Er wirkt vollkommen überzeugt von der Sinnhaftigkeit dessen, was er tut. Auch sein ihn umflatterndes Schmetterlingswesen verströmte den Eindruck vollkommener Bestimmtheit, sie war eine Auserwählte. Obwohl es mich ärgerte, dass der Kerl ganze drei Wochen das Studio besetzt hielt und Hörspielproduktionen verunmöglichte, schielte ich doch jeden Morgen mit einer gewissen Ehrfurcht auf die weiße Gestalt, die dort hinter meterlangen Mischpulten auf ihrem Sitz thronte und sich selbst gebannt lauschte.

Einmal kam er grade ins Foyer als ich an einem Tischchen saß und rauchte. Ich glaube er raucht nicht, das ist ihm vermutlich zu unwichtig. Trotzdem erwiderte er mein Hallo. Aber in Gedanken war er woanders, das merkte man.
Seit ich Stockhausen begegnet bin stelle ich mir immer vor, der liebe Gott spräche mit leicht kölschem Akzent.

PiaMia
29.12.2001, 20:46
Geändert um 6:28 Uhr??? Was war denn so schlimm daran, daß es Dich so früh aus dem warmen Bett an den kalten Computer reißt?

Jetzt jedenfalls gefällt es mir. Zwar weiß ich so gut wie nichts über den beschriebenen Herrn, aber die Bilder auf seiner Homepage passen zum "schönen Größenwahn".http://www.stockhausen.org

Bartholmy
29.12.2001, 23:45
Sehr hübsch habe ich den ersten Absatz bei ersten Lesen gleich zweimal missverstanden:

Erst dachte ich 'Lothar - verwüstete badische Hänge'? - 'Wieso soll den Lothar Späth in seiner Zeit als Ministerpräsident die Hänge Baden-Badens verwüstet haben?'

Weiter im Absatz wusste ich es immer noch nicht. Aber als dann der Satz von Kriegsblinden kam, war mir immerhin schlagartig klar, dass man die Kriegsblinden natürlich deshalb nach Baden-Baden schickt, weil sie die verwüsteten Hänge ja sowieso nicht sehen können, und es also auch egal ist, mit der Verwüstung.

Nicht klar war mir an diesem Punkt allerdings, warum du die Kriegsblinden nicht gesehen hast. Hätte es nicht eigentlich umgekehrt sein sollen?

Leider habe ich den Absatz dann noch ein zweites Mal gelesen. Und dann alles richtig verstanden.
Das erst Mal war aber doch schöner.

Tiffany Nudeldorf MD
30.12.2001, 00:05
Völlig undramatisch, quasi die Beschreibung eines überzeitlichen Phänomens und gerade deshalb schön zu lesen, Lilaxista.

Diese Wertung allerdings...

Obwohl es mich ärgerte, dass der Kerl ganze drei Wochen das Studio besetzt hielt und Hörspielproduktionen verunmöglichte, schielte ich doch jeden Morgen mit einer gewissen Ehrfurcht auf die weiße Gestalt, die dort [...] sich selbst gebannt lauschte.
...finde ich fragwürdig. Auch den (mit öffentlich-rechtlichen Geldern) ermöglichten Hörspielmachern könnten Geduld und ein feines selbstkritisches Ohr (oder zwei) mitunter nicht schaden. Die Tatsache, daß er das Studio "so lange" zur Verfügung hatte, spricht für den SWR.

Bartholmy
30.12.2001, 01:13
Hier wird etwas "fragwürdig" gefunden. Und das "Fragwürdige" wird dann auch noch kursiv betont?

Der Erfinder der Kursivschrift wusste schon, warum er seinen Grabstein anonym (wenn auch in Kursivschrift) gestalten ließ. Er würde sich sonst jetzt drunter umdrehen.
Nach dem Erfinder des Fragwürdigen wird noch gefahndet.

Ruebenkraut
30.12.2001, 01:25
Nee, nee, Tiffany hat recht. Sollen doch die Kriegsblinden mit ihrem Hörspielgeschwurbel ruhig mal zurücktreten, wenn es um echteKunst geht.

Tiffany Nudeldorf MD
30.12.2001, 01:42
Der Terminus fragwürdig ist ein Zugeständnis an die Höflichkeit des Forums. Dafür braucht man keine Friedhöfe umzugraben, Bartholmy - und jetzt verteidigen Sie bitte die Schönheit des Wortes verunmöglicht(e), von mir fluchend kursiv zitiert, anstatt hier Sekundärscharmützel anzuzettlen.

MarkusB
14.03.2002, 18:01
Ich hatte schon mehrmals die Gelegenheit, mit Karlheinz Stockhausen und auch mit seinen ständigen Mitarbeiterinnen Kathinka Pasveer und Suzanne Stephens (eine von den beiden ist wohl in diesem Beitrag gemeint) zu sprechen. Stockhausen war immer sehr nett und auskunftsfreudig, was seine Musik angeht. Auf was anderes würde ich ihn auch gar nicht ansprechen, warum auch? Er lebt für seine Kunst und lässt sich seit 50 Jahren auf diesem Weg nicht beirren, unabhängig von allen Modeströmungen. Das alleine finde ich schon bewundernswert.

Dr. No-Sports
15.03.2002, 17:16
Kann denn ein zierliches weibliches Persönchen, das einen leicht kölschen weissen Gott begleitet, anders heissen als "Kathinka Pasveer"?
Nein, wie schön!

Musik? Hm.

MarkusB
15.03.2002, 17:37
Schöner Name, nicht? Die Frau ist jedenfalls wirklich sehr sympathisch.

Gelungenes Foto der drei Protagonisten:
www.stockhausen.org/st_in_90s.html