Herr Cohn
18.12.2001, 03:28
Als pubertierender einsamer Mensch wohnte ich in einer Villengegend. Manchmal, wenn es möglich war, das heißt, wenn in dieser Stadt gerade eine Zeitlang keine politischen Morde stattgefunden hatten, ging ich mit dem Hund spazieren, möglichst nicht außerhalb der Straße, in der wir wohnten. Am Ende einer langen Mauer stand ein flaschenförmiger Baum mit grüner Rinde und dicken Dornen dran, von denen brach ich mir einen ab, der Hund setzte sich, und wir starrten auf die riesige Villa hinter der Straßenkreuzung. Warum der Hund hinstarrte, wusste ich nicht genau, vielleicht, weil es von dort nach Macht roch. Ich aber sah sie, die Macht. Vor dunkelgrün lackierten Eisenplatten standen breitbeinige Wachen, immer die Maschinenpistolen in der Armbeuge, von der Villa dahinter sah ich nur das Dach, es bestand aus edlen Ziegeln im Kolonialstil unter hohen Palmen.
Der Hund und ich lungerten in sicherer Entfernung und starrten, denn einmal war ein Tross Autos herangebraust und in vollem Tempo vom Eingangstor verschluckt worden, in der Mitte fuhr ein wahres Schlachtross von Karosse, schwarz natürlich, mit Heckflossen, Chrom noch und nöcher und verdunkelten Scheiben, und ich ahnte einen Schatten im Fond sitzend - el presidente. Ich hatte el presidente gesehen, den Jeder in der Schule nachmachte, der auf sich hielt, wenn kein Lehrer in der Nähe war. Die Pose, das Rudern der Arme, der hohle und gutturale Tonfall, die immergleichen Worte und das Rasen des Publikums, nachgeäfft durch ein kehliges Zischen. Aber dort vor der Straßenkreuzung mit Hund, lungernd, war mir nicht nach Nachmachen zumute, im Angesicht der brütenden Macht. Alles war ruhig, el presidente kam nicht, el caudillo, el maximo líder mit seinen superölig zurück gekämmten Haaren.
Einmal kehrte ich von der Schule zurück, dort hatte niemand el presidente nachgemacht, alle Flaggen hingen blauweißblau auf Halbmast, viele Flaggen und viele Masten, und die Leute standen auf der Straße und weinten. Ich machte das Radio an, auf allen Sendern lief Bachs Matthäuspassion oder Beethovens Missa Solemnis, jemand hatte den Fernseher angestellt und eine Menge Leute stand stumm davor. Dort lag el presidente in einem Sarg, unglaubliche Berge von Blumen ringsum, Menschengewusel und Stimmengewirr. Eine erstickte Stimme, die über eine Stunde ihren Tonfall nicht änderte, sprach pausenlos aus dem Off, ich höre noch dieses nasale "...el teniente general, Juan Domingo Perón..." Teniente schob der Sprecher so am Gaumen rum wie man "hach du Kuschelmuschel" sagt. Es entsprach nicht den Fernsehbildern, oder doch?, ab und zu langten Leute mit dem Arm über das Gesicht des toten el presidente und wischten es ab, mit großen Tüchern. Schwitzte er? Zerlief die Schminke?
Ich habe erst kürzlich gelesen, dass es drunten noch immer viele Peronisten gibt.
Der Hund und ich lungerten in sicherer Entfernung und starrten, denn einmal war ein Tross Autos herangebraust und in vollem Tempo vom Eingangstor verschluckt worden, in der Mitte fuhr ein wahres Schlachtross von Karosse, schwarz natürlich, mit Heckflossen, Chrom noch und nöcher und verdunkelten Scheiben, und ich ahnte einen Schatten im Fond sitzend - el presidente. Ich hatte el presidente gesehen, den Jeder in der Schule nachmachte, der auf sich hielt, wenn kein Lehrer in der Nähe war. Die Pose, das Rudern der Arme, der hohle und gutturale Tonfall, die immergleichen Worte und das Rasen des Publikums, nachgeäfft durch ein kehliges Zischen. Aber dort vor der Straßenkreuzung mit Hund, lungernd, war mir nicht nach Nachmachen zumute, im Angesicht der brütenden Macht. Alles war ruhig, el presidente kam nicht, el caudillo, el maximo líder mit seinen superölig zurück gekämmten Haaren.
Einmal kehrte ich von der Schule zurück, dort hatte niemand el presidente nachgemacht, alle Flaggen hingen blauweißblau auf Halbmast, viele Flaggen und viele Masten, und die Leute standen auf der Straße und weinten. Ich machte das Radio an, auf allen Sendern lief Bachs Matthäuspassion oder Beethovens Missa Solemnis, jemand hatte den Fernseher angestellt und eine Menge Leute stand stumm davor. Dort lag el presidente in einem Sarg, unglaubliche Berge von Blumen ringsum, Menschengewusel und Stimmengewirr. Eine erstickte Stimme, die über eine Stunde ihren Tonfall nicht änderte, sprach pausenlos aus dem Off, ich höre noch dieses nasale "...el teniente general, Juan Domingo Perón..." Teniente schob der Sprecher so am Gaumen rum wie man "hach du Kuschelmuschel" sagt. Es entsprach nicht den Fernsehbildern, oder doch?, ab und zu langten Leute mit dem Arm über das Gesicht des toten el presidente und wischten es ab, mit großen Tüchern. Schwitzte er? Zerlief die Schminke?
Ich habe erst kürzlich gelesen, dass es drunten noch immer viele Peronisten gibt.