graumauser
20.11.2001, 01:05
Ja, die Elfriede.
Sie ging schnurstracks auf die Achtzig zu, als ich sie kennenlernte.
Ich arbeitete damals in einer Bank, wie das in Frankfurt üblich war. Schwarze Hose, pastellener Sakko, Krawatte mit selbstdarstellerischem Motiv. Der Kopf, der aus dem Kragen kuckte, wollte eigentlich ganz woanders sein. Aber die Scheidung war durch, und die Dame wollte Bares.
Elfriede stand vor mir, und fragte, ob Geld gekommen sei. Es war nicht mein Job, Schalterdienst zu machen, aber eine Grippewelle trieb sogar Kreditverkäufer und Wertpapiermenschen an den Tresen. Nein, nichts gekommen, Konto überzogen, ein wenig. Ach, schade, bist du neu hier?
Wir kamen ins Plaudern. Wenn schon Tresen, denn schon, ich nutzte das aus, weil Elfriede mir sympathisch war. Frankfurterin, Mann längst gestorben, lebte mit Enkel in einem Stadtteil, der - je nach Windrichtung -vom Geruch der Kläranlagen und der Chemie parfümiert wurde.
Ich besuchte sie daheim, wenig später, offiziell; brachte ein Geburtstagssträußchen und ein Kärtchen. Einen Sekt auch, der war aber privat. Wir tranken Kaffee, Sekt, aßen Kuchen und plauderten. Der Nachmittag verflog, und ich meldete mich telefonisch ab, ringsherum.
Elfriede war eine Ur-Frankfurterin, sprach eine wunderbare Mundart. Nicht dieses Rothschild-Gebabbel, das die Rodgau Monotones sprechen. Wer mal einen ganz alten New Yorker gehört hat, der weiß, was ich meine: ein fein artikulierter, kehliger Singsang. Und sie erzählte, von sich, ihrer Familie, wie alles nach und nach den Bach runtergegangen war, und warum sie jetzt mit ihrem drogenabhängigen Enkel hier wohnte. Sie erzählte das mit der Grandezza einer Dame, mit hellwachen Augen, blitzendem Verstand, tänzelndem Humor, beißendem Sarkasmus.
Ich war fasziniert.
Wir sahen uns öfter, im nächsten halben, dreiviertel Jahr. Es gab immer viel zu reden, wir mochten uns, und, was ich anfangs nicht wußte: Elfriede arbeitete im Kino.
Sie besserte ihre karge Rente auf, an der Kinokasse in Frankfurt, schwarz wahrscheinlich. Ich wechselte mein Kino, und stand vor dem Film immer noch ein wenig an dem neonbestrahlten Glaskassenhäuschen, unterhielt mich mit Elfriede über Kino.
Sie war ein lebendes Lexikon. Eine Cinéastin. Ein Juwel.
Neonlicht macht die meisten von uns blaß, teigig und häßlich. Elfriede aber blühte, in ihrer Kanzel, wie eine Orchidee unter der Gewächshauslampe.
So standen wir, eines abends, Elfriede hatte mir bedeutet, daß der Film gleich losgehe, aber mich zog nichts von ihr weg.
Die Türen flogen auf, und ein Grüppchen von sechs, sieben Menschen purzelte ins Licht. In Ehren ergraute Lehramtsstudenten, beiderlei Geschlechts, dem Outfit nach fundamentalistisch grün orientiert - anders kann ich es nicht beschreiben. Dany war der Erste, zunächst, dann stellte er sich hinter die anderen.
Elfriede verkaufte nacheinander sechs Karten, Erwachsene, zwölf Mark das Stück. Dann war Dany dran, mein roter Dany, den ich flüchtig kannte, der mich aber geflissentlich übersah, weil ich noch Anzug trug, nach der Arbeit.
Dany war der siebte und letzte Mohikaner. Er legte Elfriede einen Pappschein auf den Tresen, und sagte: 'Student'.
Elfriede schaute ihn an. Ihre Zornesader schwoll - ich konnte es durch das Kassenglas sehen. 'Was willst du?' zischte sie, kaum hörbar, und fixierte den Dany.
'Student', sagte er noch einmal, mit schiefem Grinsen, und beifallheischend in Richtung seiner Kameraden blinzelnd. Denen war das aber unangenehm, offenbar. Sie drängten an mir vorbei, Richtung Film.
Da saß nun meine Elfriede, arm und stolz, einen Eintrag in der Schufa, weil sie ein Kochtopfset nicht pünktlich abbezahlt hatte -der Enkel hatte das Geld verhurt. Achtzig Jahre Weisheit und Lebenserfahrung. Achtzig Jahre Abstieg. Und ihr gegenüber stand Daniel Cohn-Bendit, jenseits der Vierzig, schlecht rasiert und gekämmt, schlampig gekleidet, schräg grinsend. 'Student'.
Elfriede nahm den Studentenausweis in die Hand. Sie begann, ihn zu inspizieren. Betrachtete ihn gründlich von allen Seiten. Hielt ihn ins Licht, verglich das Foto mit dem Original. Schüttelte dann das weiße Köpfchen. 'Was biste? Student? E Arschloch biste!' und schob den Ausweis wieder in Richtung des Roten Dany.
Ich nehme an, Dany wollte den Film wirklich ankucken. Er zahlte ohne ein weiteres Wort, und wischte an mir vorbei. Ich zwinkerte Elfriede grinsend zu, und ging auch durch den Vorhang.
Ich habe Elfriede nicht wiedergesehen. Als ich ging, hatte sie längst Feierabend, und einige Tage darauf ist sie gestorben, plötzlich, friedlich, daheim.
'E Arschloch biste' - aus ihrem Mund, in ihrem schönen Frankfurterisch, verächtlich und selbstbewußt - ich hätte mich geschämt, an Danys Stelle.
g.
Sie ging schnurstracks auf die Achtzig zu, als ich sie kennenlernte.
Ich arbeitete damals in einer Bank, wie das in Frankfurt üblich war. Schwarze Hose, pastellener Sakko, Krawatte mit selbstdarstellerischem Motiv. Der Kopf, der aus dem Kragen kuckte, wollte eigentlich ganz woanders sein. Aber die Scheidung war durch, und die Dame wollte Bares.
Elfriede stand vor mir, und fragte, ob Geld gekommen sei. Es war nicht mein Job, Schalterdienst zu machen, aber eine Grippewelle trieb sogar Kreditverkäufer und Wertpapiermenschen an den Tresen. Nein, nichts gekommen, Konto überzogen, ein wenig. Ach, schade, bist du neu hier?
Wir kamen ins Plaudern. Wenn schon Tresen, denn schon, ich nutzte das aus, weil Elfriede mir sympathisch war. Frankfurterin, Mann längst gestorben, lebte mit Enkel in einem Stadtteil, der - je nach Windrichtung -vom Geruch der Kläranlagen und der Chemie parfümiert wurde.
Ich besuchte sie daheim, wenig später, offiziell; brachte ein Geburtstagssträußchen und ein Kärtchen. Einen Sekt auch, der war aber privat. Wir tranken Kaffee, Sekt, aßen Kuchen und plauderten. Der Nachmittag verflog, und ich meldete mich telefonisch ab, ringsherum.
Elfriede war eine Ur-Frankfurterin, sprach eine wunderbare Mundart. Nicht dieses Rothschild-Gebabbel, das die Rodgau Monotones sprechen. Wer mal einen ganz alten New Yorker gehört hat, der weiß, was ich meine: ein fein artikulierter, kehliger Singsang. Und sie erzählte, von sich, ihrer Familie, wie alles nach und nach den Bach runtergegangen war, und warum sie jetzt mit ihrem drogenabhängigen Enkel hier wohnte. Sie erzählte das mit der Grandezza einer Dame, mit hellwachen Augen, blitzendem Verstand, tänzelndem Humor, beißendem Sarkasmus.
Ich war fasziniert.
Wir sahen uns öfter, im nächsten halben, dreiviertel Jahr. Es gab immer viel zu reden, wir mochten uns, und, was ich anfangs nicht wußte: Elfriede arbeitete im Kino.
Sie besserte ihre karge Rente auf, an der Kinokasse in Frankfurt, schwarz wahrscheinlich. Ich wechselte mein Kino, und stand vor dem Film immer noch ein wenig an dem neonbestrahlten Glaskassenhäuschen, unterhielt mich mit Elfriede über Kino.
Sie war ein lebendes Lexikon. Eine Cinéastin. Ein Juwel.
Neonlicht macht die meisten von uns blaß, teigig und häßlich. Elfriede aber blühte, in ihrer Kanzel, wie eine Orchidee unter der Gewächshauslampe.
So standen wir, eines abends, Elfriede hatte mir bedeutet, daß der Film gleich losgehe, aber mich zog nichts von ihr weg.
Die Türen flogen auf, und ein Grüppchen von sechs, sieben Menschen purzelte ins Licht. In Ehren ergraute Lehramtsstudenten, beiderlei Geschlechts, dem Outfit nach fundamentalistisch grün orientiert - anders kann ich es nicht beschreiben. Dany war der Erste, zunächst, dann stellte er sich hinter die anderen.
Elfriede verkaufte nacheinander sechs Karten, Erwachsene, zwölf Mark das Stück. Dann war Dany dran, mein roter Dany, den ich flüchtig kannte, der mich aber geflissentlich übersah, weil ich noch Anzug trug, nach der Arbeit.
Dany war der siebte und letzte Mohikaner. Er legte Elfriede einen Pappschein auf den Tresen, und sagte: 'Student'.
Elfriede schaute ihn an. Ihre Zornesader schwoll - ich konnte es durch das Kassenglas sehen. 'Was willst du?' zischte sie, kaum hörbar, und fixierte den Dany.
'Student', sagte er noch einmal, mit schiefem Grinsen, und beifallheischend in Richtung seiner Kameraden blinzelnd. Denen war das aber unangenehm, offenbar. Sie drängten an mir vorbei, Richtung Film.
Da saß nun meine Elfriede, arm und stolz, einen Eintrag in der Schufa, weil sie ein Kochtopfset nicht pünktlich abbezahlt hatte -der Enkel hatte das Geld verhurt. Achtzig Jahre Weisheit und Lebenserfahrung. Achtzig Jahre Abstieg. Und ihr gegenüber stand Daniel Cohn-Bendit, jenseits der Vierzig, schlecht rasiert und gekämmt, schlampig gekleidet, schräg grinsend. 'Student'.
Elfriede nahm den Studentenausweis in die Hand. Sie begann, ihn zu inspizieren. Betrachtete ihn gründlich von allen Seiten. Hielt ihn ins Licht, verglich das Foto mit dem Original. Schüttelte dann das weiße Köpfchen. 'Was biste? Student? E Arschloch biste!' und schob den Ausweis wieder in Richtung des Roten Dany.
Ich nehme an, Dany wollte den Film wirklich ankucken. Er zahlte ohne ein weiteres Wort, und wischte an mir vorbei. Ich zwinkerte Elfriede grinsend zu, und ging auch durch den Vorhang.
Ich habe Elfriede nicht wiedergesehen. Als ich ging, hatte sie längst Feierabend, und einige Tage darauf ist sie gestorben, plötzlich, friedlich, daheim.
'E Arschloch biste' - aus ihrem Mund, in ihrem schönen Frankfurterisch, verächtlich und selbstbewußt - ich hätte mich geschämt, an Danys Stelle.
g.