Aporie
19.11.2001, 16:59
Carl Bucher ist Maler und Bildhauer und bloß kein Promi, weil er sich nie an Orten aufhält, wo man sich aufhalten muß, damit man einer wird. Er arbeitet, wenn andere feiern, und wenn er arbeitet, geht ihn die Welt nichts an. Seine Egomanie grenzt an Autismus.
1968 wohnte er in jenem Haus am Central, das heute ein Hotel gleichen Namens ist. Seine Wohnung war auch sein Atelier, von dem aus er eine fantastische Aussicht hatte auf die Limmat, den Hauptbahnhof und den alten Globus. Kurz, es war ein Logenplatz auf das, was man später den Globuskrawall nannte, die heftigste Auseinandersetzung zwischen der Obrigkeit und der Zürcher Jugend. Ich beschränke mich auf einen Auszug aus dem Flyer, den ich am Freitag den 28. Juni 1968 in Händen hielt:
³Wir sind brave Kinder - wir bauen uns ein 'Altersheim'
Treffpunkt auf jeden Fall für alle: Samstag, den 29. Juni, um 19.00 Uhr vor dem Globus. Unbedingt mitnehmen: Baumaterial, Holz, Latten, Stangen, Bretter, Nägel, Hämmer usw.'
Mäßig originell aber effektiv, wie der darauf folgende Tag zeigte. Es erschienen mehr als tausend Jugendliche, und die Polizei ging ziemlich massiv vor. Ich entkam ihrer Knüppelei, aber nicht den Wasserwerfern. Gegen halb neun läutete ich tropfnaß vor Buchers Wohnungstür und trat ein als niemand öffnete. Bucher stand mit einer Gasmaske und einer Pistole in seinem Atelier und spritzte irgend ein farbiges Gift auf eine Holztafel, aus der später ein Kunstwerk werden sollte. (Heute hat er für alles Gefährliche einen Assistenten.) Ich sah, dass er in Trance war und ihn jemand darauf aufmerksam machen musste, was sich vor seinem Atelierfenster abspielte. Ach ja, sagte er und spritzte mit der Pistole kurz aus dem Fenster, dann wieder auf das Kunstwerk. So einer ist er.
Kennengelernt hatte ich Bucher übrigens durch einen Professor der Universität Zürich, unter dessen Leitung Mäuse Haschisch rauchen mußten. Vielleicht wurde mit dem Haschisch auch bloß die Nahrung der glücklichen Mäuse gewürzt, so genau weiss ich das nicht mehr. Jedenfalls führte dieser Professor immer etwas Mäusewürze mit sich und war unter den Studenten sehr beliebt und hatte überhaupt einen großen Bekanntenkreis.
Wir müssen jetzt leider einen Sprung nach New York machen, wiederum in die siebziger Jahre. Um keine Mißverständnisse entstehen zu lassen: Ich war in meinem Leben nur zweimal in New York und nachher nie mehr. Es werden also keine weiteren New York - Geschichten mehr kommen. Aber diese muß noch raus.
Bucher ist auch ein großer Erfinder und Tüftler. Zum Beispiel hat er eine phosphoreszierende Knautschmasse erfunden und sie unter der Bezeichnung Bucherlux patentieren lassen. Die ersten Ergebnisse seines Schaffens mit Bucherlux waren, als ich damals zufälligerweise in New York war, gerade in einer Ausstellung im Museum of Contemporary Crafts zu besichtigen, und Bucher hatte mit mir vereinbart, uns um vier Uhr in den Ausstellungsräumen zu treffen.
Er war noch nicht da, als ich eintraf, und ich beschloß , mich auf eigene Faust ein bißchen umzusehen. Ich trat in einen großen dunkeln Raum; die einzigen Lichtquellen bestanden aus Buchers knautschigen Lichtskulpturen und zwei oder drei Leuchtwänden aus Bucherlux. Wenn man sich davor stellte, ging von hinten ein Blitz los, als würde man gerade eine Radarfalle passieren. Zurück blieb der Schatten des Betrachters, und er blieb auch noch für eine Weile, wenn der Betrachter sich bereits entfernt hatte. Die Zeit hielt also an, vielleicht für zwei oder drei Minuten, wobei der Schatten immer mehr verblaßte. Ziemlich mystisch galaktisch das Ganze und sämtliche Poesie über die Flüchtigkeit des Schattens außer Kraft setzend.
Es waren nur wenige Besucher da um diese Zeit, aber schon von weitem sah ich auf einer der Leuchtwände den Schattenriß eines Mannes im Profil, ein Profil das mir irgendwie bekannt vorkam. Ich trat näher, und während ich zusah, wie der Schatten allmählich verblaßte, wurde mir schlagartig klar, dass da wo ich jetzt stand, noch vor wenigen Minuten, ja vielleicht Sekunden Woody Allen gestanden hatte. (In einer schlaflosen Nacht hatte ich einst, statt Schafe zu zählen in Gedanken eine Liste der Menschen gemacht, die ich gerne mal treffen würde. Woody Allen stand ziemlich oben. )
Ich mag Ausdrücke in der Art von ³wie angewurzelt stehen bleiben' nicht besonders, aber manchmal gerät man in seinem Leben tatsächlich mitten in derlei Platitüden. Irgendwann rannte ich dann doch los, um sämtliche Räume nach Woody Allen abzusuchen. Am Ausgang stieß ich mit Carl Bucher zusammen. ³Du glaubst es nicht, sagte er ohne einleitende Begrüßung, ³eben kam Kienholz aus dem Museum, er war total begeistert und will, dass ich seinen Schatten male.'
Hast Du vielleicht sonst noch jemanden gesehen?' fragte ich mit belegter Stimme. ³Nein, wieso?' sagte Bucher ³er war allein, das heißt, an seiner Seite stand ein schmächtiger kleiner Mann, der sich während unserer Unterhaltung höflich zurückhielt und jedesmal aufgeregt mit den Armen herumfuchtelte, wenn ein Taxi vorbeifuhr bis tatsächlich eins anhielt. So einen Assistenten möchte ich auch haben.'
1968 wohnte er in jenem Haus am Central, das heute ein Hotel gleichen Namens ist. Seine Wohnung war auch sein Atelier, von dem aus er eine fantastische Aussicht hatte auf die Limmat, den Hauptbahnhof und den alten Globus. Kurz, es war ein Logenplatz auf das, was man später den Globuskrawall nannte, die heftigste Auseinandersetzung zwischen der Obrigkeit und der Zürcher Jugend. Ich beschränke mich auf einen Auszug aus dem Flyer, den ich am Freitag den 28. Juni 1968 in Händen hielt:
³Wir sind brave Kinder - wir bauen uns ein 'Altersheim'
Treffpunkt auf jeden Fall für alle: Samstag, den 29. Juni, um 19.00 Uhr vor dem Globus. Unbedingt mitnehmen: Baumaterial, Holz, Latten, Stangen, Bretter, Nägel, Hämmer usw.'
Mäßig originell aber effektiv, wie der darauf folgende Tag zeigte. Es erschienen mehr als tausend Jugendliche, und die Polizei ging ziemlich massiv vor. Ich entkam ihrer Knüppelei, aber nicht den Wasserwerfern. Gegen halb neun läutete ich tropfnaß vor Buchers Wohnungstür und trat ein als niemand öffnete. Bucher stand mit einer Gasmaske und einer Pistole in seinem Atelier und spritzte irgend ein farbiges Gift auf eine Holztafel, aus der später ein Kunstwerk werden sollte. (Heute hat er für alles Gefährliche einen Assistenten.) Ich sah, dass er in Trance war und ihn jemand darauf aufmerksam machen musste, was sich vor seinem Atelierfenster abspielte. Ach ja, sagte er und spritzte mit der Pistole kurz aus dem Fenster, dann wieder auf das Kunstwerk. So einer ist er.
Kennengelernt hatte ich Bucher übrigens durch einen Professor der Universität Zürich, unter dessen Leitung Mäuse Haschisch rauchen mußten. Vielleicht wurde mit dem Haschisch auch bloß die Nahrung der glücklichen Mäuse gewürzt, so genau weiss ich das nicht mehr. Jedenfalls führte dieser Professor immer etwas Mäusewürze mit sich und war unter den Studenten sehr beliebt und hatte überhaupt einen großen Bekanntenkreis.
Wir müssen jetzt leider einen Sprung nach New York machen, wiederum in die siebziger Jahre. Um keine Mißverständnisse entstehen zu lassen: Ich war in meinem Leben nur zweimal in New York und nachher nie mehr. Es werden also keine weiteren New York - Geschichten mehr kommen. Aber diese muß noch raus.
Bucher ist auch ein großer Erfinder und Tüftler. Zum Beispiel hat er eine phosphoreszierende Knautschmasse erfunden und sie unter der Bezeichnung Bucherlux patentieren lassen. Die ersten Ergebnisse seines Schaffens mit Bucherlux waren, als ich damals zufälligerweise in New York war, gerade in einer Ausstellung im Museum of Contemporary Crafts zu besichtigen, und Bucher hatte mit mir vereinbart, uns um vier Uhr in den Ausstellungsräumen zu treffen.
Er war noch nicht da, als ich eintraf, und ich beschloß , mich auf eigene Faust ein bißchen umzusehen. Ich trat in einen großen dunkeln Raum; die einzigen Lichtquellen bestanden aus Buchers knautschigen Lichtskulpturen und zwei oder drei Leuchtwänden aus Bucherlux. Wenn man sich davor stellte, ging von hinten ein Blitz los, als würde man gerade eine Radarfalle passieren. Zurück blieb der Schatten des Betrachters, und er blieb auch noch für eine Weile, wenn der Betrachter sich bereits entfernt hatte. Die Zeit hielt also an, vielleicht für zwei oder drei Minuten, wobei der Schatten immer mehr verblaßte. Ziemlich mystisch galaktisch das Ganze und sämtliche Poesie über die Flüchtigkeit des Schattens außer Kraft setzend.
Es waren nur wenige Besucher da um diese Zeit, aber schon von weitem sah ich auf einer der Leuchtwände den Schattenriß eines Mannes im Profil, ein Profil das mir irgendwie bekannt vorkam. Ich trat näher, und während ich zusah, wie der Schatten allmählich verblaßte, wurde mir schlagartig klar, dass da wo ich jetzt stand, noch vor wenigen Minuten, ja vielleicht Sekunden Woody Allen gestanden hatte. (In einer schlaflosen Nacht hatte ich einst, statt Schafe zu zählen in Gedanken eine Liste der Menschen gemacht, die ich gerne mal treffen würde. Woody Allen stand ziemlich oben. )
Ich mag Ausdrücke in der Art von ³wie angewurzelt stehen bleiben' nicht besonders, aber manchmal gerät man in seinem Leben tatsächlich mitten in derlei Platitüden. Irgendwann rannte ich dann doch los, um sämtliche Räume nach Woody Allen abzusuchen. Am Ausgang stieß ich mit Carl Bucher zusammen. ³Du glaubst es nicht, sagte er ohne einleitende Begrüßung, ³eben kam Kienholz aus dem Museum, er war total begeistert und will, dass ich seinen Schatten male.'
Hast Du vielleicht sonst noch jemanden gesehen?' fragte ich mit belegter Stimme. ³Nein, wieso?' sagte Bucher ³er war allein, das heißt, an seiner Seite stand ein schmächtiger kleiner Mann, der sich während unserer Unterhaltung höflich zurückhielt und jedesmal aufgeregt mit den Armen herumfuchtelte, wenn ein Taxi vorbeifuhr bis tatsächlich eins anhielt. So einen Assistenten möchte ich auch haben.'