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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Borges, Jorge Luis



Herr Cohn
13.11.2001, 16:10
Anfang der Siebziger ging ich in Buenos Aires zur Schule. Dort las man im Unterricht Jorge Luis Borges, vom dem hatte ich noch nichts gehört, und er interessierte mich so wenig wie die anderen Kinder. Doch die Lehrerin bestand darauf, dass wir eines seiner Gedichte auswendig lernten, und wehe, jemand stockte beim Aufsagen. Puh, ein ganzes Gedicht! Und so eins! Es war sehr 'surrealistico' und ich verstand nur Bahnhof. Heute kann ich noch ein paar Zeilen daraus und finde sie sehr schön trotz ihrer Spärlichkeit. Oder wegen?
Zur Weihnachtsfeier war ich in einer riesigen Villa voller Leute. Die Klimaanlage lief nicht und es war so heiß, dass sich die Wachskerzen auf dem Tannenbaum bogen. Ich stand etwas verloren in der Menge, mit glaube ich einem Glas kaltem Saft in der Hand, da sah ich in an der Seite in einem Fauteuil einen beunruhigenden alten Herrn sitzen. Er trug eine brokatene Weste und ein Jackett, hatte die Beine mit den zweifarbigen Schuhen unten dran übereinander geschlagen. Seine Haare waren lang und weiß, über der Vogelnase saß eine große und ganz schwarze Brille. Er plauderte liebenswürdig mit jemandem, der neben seinem Sessel stand. Ich fühlte mich unbehaglich, als ich ihn so sitzen sah, der Mann war unheimlich. Jemand fasste mich von hinten, schob mich nach vorn und ich hörte, dass ich dem Herrn guten Tag sagen sollte. Widerwillig reichte ich ihm die Hand, aber er streckte die seine nicht aus. Das Gesicht mit der schwarzen Brille bewegte sich hin und her, was war das. Schließlich hatte ich irgendwie doch seine Hand in der meinigen, es war eine freundliche Hand, wie merkwürdig! Er sagte etwas zu mir hin, sehr liebe Worte mit einer Stimme, ich habe noch fast ihren Ton im Ohr. Was er mir sagte, weiß ich nicht mehr, schade. Sein Spanisch war jedenfalls ganz anders als das der Lehrer in meiner Schule.
Erst ungefähr zehn Jahre später erzählte mein Vater zufällig von einem Gespräch mit Jorge Luis Borges, damals in Buenos Aires. Da wär ich doch gern dabeigewesen, überlegte ich. Irgendwo fand ich ein Foto von ihm und mir war, den kenne ich doch? Dann fiel es mir Stück für Stück wieder ein.

Bartholmy
13.11.2001, 16:25
Eine vergessene und einem dann viel später elternseitig und mit photografischer Unterstützung wieder aufgetauchte Geschichte. Hübsch.
Wobei solche Fälle dann den Nachteil haben, dass die Details etwas leiden, weil der Erinnerungsprozess sie ziemlich plattwalzt. Ich hätte gerne noch etwas mehr Borges gehabt.
Ist die Doppeldeutigkeit des einleitenden Satzes: 'Dort las man im Unterricht Jorge Luis Borges, vom dem hatte ich noch nichts gehört, und er interessierte mich so wenig wie die anderen Kinder.' beabsichtigt? Wie auch immer - es ist eine sehr schöne Doppeldeutigkeit.

Tiffany Nudeldorf MD
13.11.2001, 16:33
Suchen Sie uns denn auch noch das Gedicht bitte? Oder wenigstens die paar spanischen Sparzeilen daraus. - Wäre es nicht phantastisch gewesen, wenn Ihr Schulbuch auch Photos von den Dichtern enthalten hätte? Wahrscheinlich hätte Borges Sie und Ihre Kameraden dann schon viel früher unheimlich beeindruckt, und Ihre ganze Geschichte - also diese hier meine ich - wäre anders verlaufen, irgendwie mit weniger Verzögerung drin.

Fanny
PS: Aber Hochachtung! Borges! Gab es ihn also doch.
(Beitrag wurde von Tiffany Nudeldorf MD am 13.11.2001 um 15:36 Uhr bearbeitet.)

Herr Cohn
13.11.2001, 18:01
Ich habe nur das eine Bild von Borges, wie er auf seinem Sessel sitzt. Dann das Gesicht und die Stimme. Es gab ihn.
Fanny,ich werde das Gedicht im Buchladen suchen und für Sie einfügen. Die Schulbücher waren nur so Hefte, Fotos waren gar nicht üblich, dorten.

@Bartholmy: Die Doppeldeutigkeit war nicht Absicht. Jetzt seh ich sie auch! Sie passt nicht. Man muss halt besser aufpassen.

DonDahlmann
13.11.2001, 18:10
Fanny und Herr Cohn, bitte folgen sie unauffällig.
http://www.alles-bonanza.net/forum/showthread.php?s=&threadid=2676

Aporie
13.11.2001, 18:43
O, die Sittenpolizei greift ein. Ich fand die Unterhaltung zwischen Fanny und Herrn Cohn, jedenfalls in diesem Strang, durchaus geschichtebezogen.Da muss ich mich wohl mit Herrn Cohn argentinisch unterhalten, damit mir nicht das gleiche Schicksal blüht.
Tengo mis dudas en el hecho que los Ches pequenitos ya podrian occuparse en la escuela con Borges, ni hablar de entenderlo. Pero mi ha gustado mucho como Vd ha descrito el caracter de Borges hablando de sus zapatos bicolores.
De todas formas su modo de cuentar se ha mejorado mucho desde la ultima vez.

Herr Cohn
13.11.2001, 19:11
Estoy feliz de aver comprendido cada simpatica palabra de Vd! Sed nemo sequitur. Et vale!

vinzi
13.11.2001, 19:19
Borges hab ich in guter, wenn auch schwacher Erinnerung. Vielleicht bin ich aber auch voreingenommen. Da hat mir doch mal eine junge Dame (Hispanistin...heisst das so??) ihre Liebe in einem Brief gestanden, in dem sie auch eine Passage aus Borges kopierte... es ging, wenn ich mich recht erinnere, um die Reflektion darüber 'wer ich bin'. War irgendwie schwer melancholisch und philosophisch. Leider hab ich die Passage nicht mehr im Kopf.
Aporie, es wird nicht gesagt, wie alt die Schüler waren, warum also zweifeln sie? Von Verstehen der Gedichte war auch nicht die Rede, nur von auswendig Lernen. Aber sie sind ja sicher auch ein aufmerksamer Leser.
Zumindest danke für den spanischen Kurztext. Ob ich den Original Borges auch noch so gut verstehen würde, ist fraglich.

Nachtrag: Ganz vergessen. Mir gefällt ihre Geschichte Herr Cohn. Das nachträgliche Stück-für-Stück-Einfallen der Geschichte spiegelt sich in der bruchstückhaften Erinnerung an die Borges Texte wieder. Schöne Analogie, finde ich.

(Beitrag wurde von vinzi am 13.11.2001 um 18:22 Uhr bearbeitet.)

Herr Cohn
13.11.2001, 19:29
Dankeschön! Vielleicht hat er zu mir französisch gesprochen, gesellschaftlich usw hätte das gepasst, aber davon verstand ich nicht das Mindeste.
Borges' Bruchstücke sind die besten.

Ignaz Wrobel
13.11.2001, 19:37
Tadellose Geschichte, schlicht und ergreifend! Vielleicht sollten Sie sich eine zeitlang aufs Geschichte schreiben beschränken, Herr Cohn? Das Gedicht fände ich in diesem Zusammenhang auch interessant.
Aporie: Viva Zapata! Hossa! Fiesta, Fiesta Mexicana...

DonDahlmann
13.11.2001, 19:39
Ach wie süss. Der Sprache bin ich durchaus mächtig. Das hat auch nichts mit Sittenpolizei zu tun, sondern ist nur ein dezenter Hinweis mancherlei Gespräche in anderen Foren zu führen zu können. Immerhin habe ich es Ihnen eingerichtet.Wenn Sie sich die Mühe machen würden und aufmerksam dieses Forum zu studieren, werden sie feststellen, das es durchaus schon einige Stränge gibt, in denen man sich rein privat unterhalten kann. Der WG-Strang zum Beispiel.
Mich hat die Borges Geschichte auch erfreut, nicht nur wegen der Schuhe.

Ignaz Wrobel
13.11.2001, 19:45
Halt! Da war Latein dazwischen, Cohn, ich hab's genau gesehen! Hab ich was gewonnen?

Herr Cohn
14.11.2001, 02:37
Sie gewinnen ein herzliches summa cum laude. Spanisch wusste ichs nicht mehr. Dann hilft man sich.
(Beitrag wurde von Herr Cohn am 14.11.2001 um 01:41 Uhr bearbeitet.)

Mariola Brillowska
15.11.2001, 03:36
Der Autor ist natürlich ein Star. Wurde er gut ins deutsche übersetzt. Ich las ihn vor mehr als 20 Jahren auf polnisch.
W pokoju nie bylo nic. Poza nocnikiem barokowym. Jestem tym autorem czy jetem kims innym? Najspierw sikam do srebrnego pojemnika, posluchaj jak brzmi moj strumien, potem rozpinam dopiero potem zauwaz rozporek. Przyjemnie. Noc pozostanie fantastyczny. Gwiazdy lsnia. Ty i ja. Wiecej nic nie potrzebujemy.

Herr Cohn
15.11.2001, 17:31
Poza nocnikiem barokowym - ich rate: Prosa aus barocker Nacht
Noc pozostanie fantastyczny - nachts pausiert die fantasie nienie
(Beitrag wurde von Herr Cohn am 15.11.2001 um 16:33 Uhr bearbeitet.)

Depressiver Comedybaer
15.11.2001, 17:43
Dö mös Nö möö tö süma sööö palö grömm grömm.
Dös ös Bärensprache und haißt sovial wia:
Ain Bär kann nöch so gut stickän, aber dafüa kann er bessa feian.

Mariola Brillowska
15.11.2001, 17:54
Lieber Herr Cohn, sie habe es Richtig erratten, aber hat Borges tatsächlich Barok Konzert geschrieben, wo sich alles um den Silbernen Nachttopf dreht. Oder war das Grazias wie er heißt Marquez, ich habe alles vergessen, die Südamerikaner waren in Polen sehr in Mode vor 20 Jahren. Jetzt sind es Klassiker. Aus dem Deuschen wurden nur Auszüge von Gras übersetzt, aus Der But, ich fand das damals sehr fantasievoll, bis ich in Deutschland Günters Graphiken gesehen habe. Ab da kommte ich den Autor nicht mehr erst nehmen. Wie die Ästhetik mir mir regiert... Warum sind Schriftsteller immer so beschnautzt und bäuchig, tragen blöde Brille gestrickte Jahken, ziehen Pantofeln hinter sich ihre ihre Frauen haben lange Ponies. Viellecht weil sie alle die Welt der Schönheit, die Welt um sich nicht shen, sie erfinden Bilder, doch die Bilder um sie herum, die Bilder die sie sind, blicken sie nicht. Das ist der Schrifstellersyndrom. Du stehst vor einer roten Tomate und suchst nach ihr.

Herr Cohn
15.11.2001, 17:57
Grass hat Depressionen, ist links, was soll man da machen
(Beitrag wurde von Herr Cohn am 15.11.2001 um 16:58 Uhr bearbeitet.)

Mariola Brillowska
15.11.2001, 21:40
Weiß ich auch nicht. Er soll sich selbst anschauen und sagen, ich möchte Platz machen für die Jüngeren. Für seinen Enzyplopädieeintrag, den er frei macht, muß auch nicht haben, denn jeder kennt Gras, könnten 100 Progressivere Autoren stoltz auf sich sein, noch zu den Lebzeiten ihrer Eltern gefeiert werden, nicht zum Sozilaamt rennen müssen, denn die Eltern würden ihnen dann doch gerne kleine Renten überweisen wollen. Man braucht keine Stiftungsreform, man braucht Wichtigtuereireform. Gras und der polnische Paps, die sollen erstmal zu mir kommen, ich möchte sie auf das Tribunal vorbereiten. Kann mit beiden gut sprechen, komme aus der Gegend, die Gras so namentlich in Blechtrommel und der But beschrieb, Paps könnte ich mit meiner Tamponpackung reizen, wenn er nicht zuhören will, da biete ich ihm zwei tAMPONS ALS so Ohrenstopfer an. In Griechenland benutzen Omas OBes als Nasenleckstoper. Was solls. Ich denke ist Freitag, ist aber Donnerstag, ich gehe raus, ich werde am Donnerstag den Freitag feiern.

Herr Cohn
15.11.2001, 22:00
Ich schmeiß mich weg vor Lachen, der Paule mit Tampons als Ohrenstöpseln, würe gerne noch eins draufsetzen, aber kann nicht, muss zu sehr lachen

vinzi
16.11.2001, 00:00
Gras kannste eh' rauchen.

Herr Cohn
16.11.2001, 03:25
Aber selber macht er das nicht, obwohl er seit 30 Jahren so aussieht

Mariola Brillowska
16.11.2001, 14:31
Mann ich bin so schlecht mit Fotorüber schicken. Aslo beschreibe ich es. Im Sommer, diesen noch, war ich mit Glria und Nicole, 15 und 16, in Sopot, jeder kennt doch Sopot. Na ja, es gab große Werbeflächen mit Wojtylla. Gloria und Nicole bauten eine richtig riesigen Joint aber richtig fett, klebten dem Paps an den Mund und ließen sich davon fotographieren. Die Fotos mit den Mädels und auch ohne sind super geworden. Schmuckstück in meinem Familienalbum. Denke, nächsten Sommer, da fahren wir wieder nach Sopot und es wird bestimmt gerade die Zeit der Papstrauer sein, der Typ ist fällig, da machen wir geile photos mit Tampons. Welche marke ist die oberober ober größte? Damen sind gefragt. Sonst baue ich eine Atrappe. Kein Problem. Ich bastele zu gerne. Wiktor, mein polnischer Bekannte, ein gewißer Massen Borderliner in Wahrnehmung, behaupet, daß Paps noch richtig tickt. Aber wie er da vom Stuhl runterhängt, das ist einwenig traurig. Denn er war ja früher schon fitter. Weder hatte er eine Unfall wie Sibile Berg, noch ist er von Anfang an nur der Kopf im Rollstuhl, wie heißt er noch, irgendein Bestseller Autor aus GB?

vinzi
16.11.2001, 16:44
Stephen Hawkins? Der schreibt seine Bücher glaub ich mit dem linken Augenlid oder sowas, der kann ja sonst nix mehr bewegen.

Mariola Brillowska
16.11.2001, 17:06
Genau, der ist das. Kann er gut schreiben, ich meine bewegen?

Herr Cohn
17.11.2001, 02:08
Stephen Hawking schreibt klar und illusionslos. Wie er das trotz seiner Krankheit macht! Er hat sein Buch sogar verfilmt, mit ihm selbst in der Hauptrolle, er sieht anrührend-verschmitzt-einsam aus, wie macht er das! Sein Gesicht ist glaub ich schon ganz gelähmt. Und jetzt zurück zu Paule dem letzten? Och nee.

Klede
17.11.2001, 02:13
Er hat sein Buch sogar verfilmt, mit ihm selbst in der Hauptrolle
Er war zwar im Film, aber Regie gefuehrt hat Errol Morris, von dem man alles sehen sollte.

Mariola Brillowska
17.11.2001, 02:14
Neulich auf einer Party haben wir uns wie in die Unterhosen geschaut, die religiösen Profession gestanden. Das Problem ist sich als Atheist zu bekennen. Gibt es Atheisten. Ich halte sie für Rationalisten. Auf alle Fälle bin ich Katholisch. Gerne. Ich stehe totall auf Blut und Sex und Lügen und Hundezungen in den Zangen.

Herr Cohn
17.11.2001, 02:29
Weihrauch, Geißeln, die heilige Exorbitantia und leider gibts da Rückenmarkswurmbrand beim Masturbieren.
Es gibt Rationalisten, die trotzdem merkwürdig protestantisch sind! Die trennen das eine vom anderen und aus beidem wird dann nichts mehr.
Für Hawking gilt das nicht, der steht da völlig drüber.
Borges soll auch katholisch gewesen sein. Aber für die Zeit hat er sich am meisten interessiert, auf dämonische Weise.
(Beitrag wurde von Herr Cohn am 17.11.2001 um 01:36 Uhr bearbeitet.)

Herr Cohn
17.11.2001, 14:02
Ich sollte ja das Borgesgedicht suchen und einfügen, das damals in der Schule usw. Gestern in der Riesenbuchhandlung Thalia waren nur zwei Borges-Bücher! Wir sind hier im Dorf. Eins der Bücher hab ich gekauft, tolle eindringliche Gedichte, ich hatte keine Ahnung, leider sind sie alle 1973 bis 1977 geschrieben und ich habe Borges im Dezember 1972 gesehen (Gedicht ist nicht dabei). Bevor ich weitersuche, füge ich hier mal ein ganz besonderes Borgesgedicht ein: Erst spanisch, weiter unten deutsch (Buch ist zweisprachig)

Yo, de ni^no, tem’a que el espejo
Me mostrara otra cara o una ciega
M‡scara impersonal que ocultar’a
Algo sin duda atroz. Tem’ asimismo
Que el silencioso tiempo del espejo
Se desviara del curso cotidiano
De las horas del hombre y hospedara
En su vago conf’n imaginario
Seres y formas y colores nuevos.
(A nadie se lo dije; el ni^no es t’mido.)
Yo temo ahora que el espejo encierre
El verdadero rostro de mi alma,
Lastimada de sombras y de culpas,
El que Dios ve y acaso ven los hombres.
Als Kind fürchtete ich, dass mir der Spiegel
ein andres Gesicht böte oder eine
unpersönliche Maske, die etwas
zweifellos Grässliches verbörge. Auch
fürchtete ich, die stille Zeit des Spiegels
könnte abweichen vom alltäglichen
Lauf der Stunden des Menschen, und in seinen
vagen imaginären Grenzen neue
Geschöpfe und Formen und Farben bergen.
(Ich sagte es Keinem; das Kind ist schüchtern.)
Heute fürcht ich, dass der Spiegel das wahre
Gesicht meiner Seele enthalten könnte,
beeinträchtigt von Schatten und von Schuld,
das Gott sieht, das vielleicht die Menschen sehen.

(Beitrag wurde von Herr Cohn am 17.11.2001 um 13:05 Uhr bearbeitet.)

Mariola Brillowska
17.11.2001, 14:38
Danke, Herr Cohn für das Gedicht. Meine Berührung mit spanischer Poesie ist eben als ich das erste Mal Arrabals gedichte, die Mutter im Nacken, will mir das Ei rausnehmen, in diesem Sinne, habe das Band nicht hier, habe auf polnisch gelesen, aber erst da wußte ich, Poesie kann mich beeindrucken. Dann habe ich das erste Mal einen freien Text geschrieben. Wenn man ein Gefühl und einen Raum und einen Zustand beschriebt, ohne Auftrag und konkreten Ziel. Aber da klingelte es schon an meiner Tür, und ich mußte zum tAXI NACH UNTEN; lebete im siebten Stock. Das taxi fuhr mich zum Bahnhof. Der Zug fuhr mich nach Warszawa. Von da aus nahm ich den Flieger nach Frankfurt. Dort hat es mir die Sprache verschlagen. Jetzt komme ich langsam zurück, taue auf.
Mit dreißig, glaube ich oder ab dreißig, oder ab vierzieg bekommt man das Gesicht, was man verdient hat. Wenn ich alte verkniffene Menschen sehe, frage ich mich immer, wiese. Denn alle Kinder sind mehr oder weniger schön, hübsch, rein. Aber dann, wie behalte ich das Kind in mir, die Jugend. Natürlich wird die Haut älter, aber das ist nicht das gesicht. Es gibt bestimmte Falten auf der Stirn, uh uh. Die ich nicht haben möchte. Zornfalten. Oder diese Einritze, wie abgeblich von der Galle. Oder nach unter hängende Mundwinkel. Ich kenne eine Frau damit und ich traue ihr nicht. Sie lacht sogar nach unten. Ich mag sie nicht näher kennenlernen.

Tiffany Nudeldorf MD
17.11.2001, 15:18
Danke fürs Borgesgedicht Suchen, Herr Cohn!
Das Ersatzgedicht hat auch was, wäre aber damals bei Ihnen in der Schule vielleicht nicht gelesen worden. - Da steht tatsächlich 'die etwas zweifellos Grässliches verbörge.' ? Schönes Wort, war mir noch nie aufgefallen, ich borges mir mal aus. ( vgl. auch Anthony Börges )
Bin zu albern, höre auf. Nicht hinterhertreten, bitte, oder -spucken!

Fanny
(Beitrag wurde von Tiffany Nudeldorf MD am 17.11.2001 um 14:19 Uhr bearbeitet.)

neda
17.11.2001, 15:35
ja danke, herr cohn, für das gedicht. da teilt sich der lastende blick gottes mit bis zum unbehagen vor den zweifarbigen schuhen. aber vielleicht hat ja auch der kindergott eine letztlich freundliche hand gehabt.

Herr Cohn
18.11.2001, 02:12
Fanny: Mit verbörge wollte der Übersetzer wohl das abstraktere verberge vermeiden, im Deutschen gelingt das.
Neda: Das ist verschachtelt! Hm, Borges graute es vor 'dem wahren Gesicht(s)einer Seele', er hat es oft mit Spiegeln und der Zeit, die dort drinnen anders vergeht und nicht vergeht. Ich schlage das Borgesbuch irgendwo auf und da steht: '...der Weg ist unausweichlich (fatal) wie der Pfeil, aber in den Rissen (las grietas) ist Gott, der lauert (que acecha)'. Kein freundlicher Gott, da kriege ich das Grausen. Wer solches schreibt, mag Kinder!
(Beitrag wurde von Herr Cohn am 18.11.2001 um 01:13 Uhr bearbeitet.)

Klede
18.11.2001, 05:01
Frau Nudeldorf und Herr Cohn, Ihre Geschichten lese ich immer sehr gerne, aber wenn ich mir Ihre Forumsdialoge so durchlese, kommt es mir manchmal vor, als hoerte ich zwei Strebern im Deutsch-Leistungskurs zu.

Tiffany Nudeldorf MD
18.11.2001, 11:43
Das ist ja fast so schlimm wie ein LK mit nur einem Streber.
Klede, Sie weckten mich um 4 Uhr 1 aus einem bösen Traum. Dafür tausend Dank. Ich sitze ab jetzt hinten bei den bösen Buben. Herrn Cohn streife ich nur noch manchmal sanft am Ohr, wenn ich zwischendurch raus gehen muß - und das muß ich oft, seit ich nicht mehr strebe.

Fanny
(Beitrag wurde von Tiffany Nudeldorf MD am 18.11.2001 um 10:44 Uhr bearbeitet.)

neda
18.11.2001, 15:01
freundliche Hand, freundlicher Cohn-Kindergott, freundlicher Gott - ja, es fällt einem sehr schwer, angesichts des sadistischen Borges-Gottes zu glauben, dass irgendein Gott auf irgend eine Weise freundlich sein könnte. 'Die Hand war freundlich' freilich in Ihrer Geschichte ist eine beruhigende Wende.
Nach dieser Diskussion: eine beruhigende Wende, ein erwachsener Satz.
Oder doch Anlass zur wahren Beunruhigung?
(Wie das jetzt wieder alles überchochmezt dahingesülzt klingt! Sie jedenfalls waren freundlich zu meiner Bianca-Jagger-Notiz).

Herr Cohn
18.11.2001, 18:26
'überchochmezt' muss ich mir merken. Ë propos, Kledes Deutschleistungskursus scheint noch nicht so lange her zu sein. - Bei Hiob ist Gott sadistisch aber weiß es selber nicht, ist das sadistisch, schwierige Frage. Er hat den Satan ausgeblendet und dessen Einflüsterungen gern geschluckt. Wo blendet Borges aus? Ich hab noch keine Stelle gefunden...