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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Felix, Paola & Kurt (Begegnung mit der wahren Liebe auf dem Hausberg von Zürich)



Aporie
12.11.2001, 11:47
Zürich hat einen Hausberg. Das ist nicht etwa der Zürichberg. Hausberge sind dazu da, dass man sie besteigt, ein bißchen auf die Stadt hinunter guckt, vielleicht etwas vespert, nachdem man auf einem kleineren oder größeren Spaziergang die saubere Waldluft eingeatmet hat. Wenn man auf dem Zürichberg spaziert , stehen da überall Villen herum, und man riecht höchstens den Reichtum aus den Fenstern, wenn die Dienstmädchen gerade lüften. Letzteres ist jedenfalls Sibylle Berg schon mal passiert, obwohl sie sonst nichts mit dem Zürichberg zu tun hat. Sonst hieße er wohl bald Sibylleberg. Zürich ist nämlich in dieser Beziehung sehr nett zu den Deutschen. Deshalb gibt es auch eine Hölderlin-, eine Goethe-, eine Klopstock-, eine Uhland- und eine Kinkelstrasse. (Fischer hat es erst zu einem Weg gebracht, aber vielleicht läuft er ja mal mit seiner Leibwache auf der Bahnhofstrasse, wenn er wegen den guten Italienern dieser Stadt mit der Luftwaffe Zürich besucht.)
Nein, der Hausberg Zürichs liegt genau auf der anderen Seite und heißt Uetliberg.
Von meiner Wohnung aus habe ich zu Fuß nicht mehr als drei Minuten zu einem neuen schmucken S-Bahnhof, von dem ich wiederum in fünfundzwanzig Minuten geradewegs bis zur Bergstation fahren kann.
Vorletzte Woche hat mich das schamlos schöne Oktoberwetter auf den Uetliberg gelockt. Am Berg selbst bin ich eigentlich nicht sonderlich interessiert, ich gucke auch nicht auf die Stadt hinunter; es gibt genug Menschen, die hochnäsig auf Zürich herab sehen. Mir ging es mehr um einen besinnlichen Spaziergang im Wald, den es auch gibt dort oben. Meistens spaziere ich allein, aber ich muß trotzdem hinzufügen, dass Wälder für mich etwas Erotisches haben. Ich weiss nicht genau warum. Vielleicht der weiche, nachgiebige, außerordentlich fußfreundliche Boden, die sanften, fast schon eleganten Bewegungen der Äste im Wind, das Spiel von Licht und Schatten, der würzige Geruch, der mich irgendwie an den Geruch von Schamhaar erinnert. Aber all dies kann auch sein, weil ich -wie fast jedermann- auch schon mal im Wald gevögelt habe. Das prägt.
Jedenfalls war ich allein auf diesem Spaziergang und machte einen schlappen Versuch, diese wunderbare Einsamkeit zu genießen, in der sich nur die im Wind schaukelnden Zweige berührten. Mit anderen Worten: Ich philosophierte über das Alleinsein, über seine Nachteile und Vorteile. Ich denke, auch wenn die Nachteile des Alleinseins überwiegen, kann man von Vorteilen eines Lebens zu zweit bloß unter gewissen nur selten zu erreichenden Umständen reden. Z.B. mit Claudia Schiffer oder Laetitia Casta an seiner Seite. Aber selbst dann würde das keinen Deut ändern an den Fährnissen der Instabilität von Zweierbeziehungen. Der Mensch ist seinem Wesen nach zur Einsamkeit verurteilt. In widrigen Fällen sogar beim Geschlechtsakt. Im übrigen braucht man sein Augenmerk bloß auf die Inkongruenz des eigenen Denkens und Fühlens zu richten, um sich darüber im klaren zu werden, dass es zwischen unterschiedlichen Hirnen und Herzen niemals eine Kongruenz geben kann.
Liebe möchte ja Kongruenz erzwingen, denke ich und lausche dazu dem Tirilieren eines mir unbekannten Vogels. Aber natürlich funktioniert das nur so lange, als der eine es für ein Geschenk hält, dass der andere so ist wie er ist. Früher oder später erfährt er das als Zumutung und möchte nur noch kompromißlos sich selbst sein. Er möchte (wie Lottmann) begehrt werden für das, wofür er sich selbst hält, für die Fiktion seiner selbst. Er möchte die absolute Zustimmung zu seinem eigenen egozentrischen Weltentwurf, in den er den andern schon ungefragt untergebracht hat.
Vielleicht wird jetzt jemand von euch einwenden, der Mensch sei schließlich ein soziales Wesen, ohne Austausch mit einem anderen würde er verkümmern. Dass ich nicht lache! Kürzlich las ich, dass sich Paare im Durchschnitt ganze drei Minuten pro Tag über ihre persönlichen Gefühle und Probleme austauschen, aber zweiunddreißig Minuten über Stefan Raab und Harald Schmitt, wenn nicht gar über Karl Moik, jedenfalls über Leute, die sie nur aus dem Fernsehen kennen.
Solcher Art zog also die Liebe nur als kleine melancholische Gefühlswölkchen an mir vorbei, und ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich im Kreis herum gelaufen war. Durch die Stämme hindurch sah ich bereits die Bergstation. Während ich mich bückte und meinen linken Schuh auszog, um meine Socke von piekenden Tannnadeln zu befreien, kam ich zu dem Schluß, dass das Leben mit bedeutend weniger Komplikationen aufwartet, wenn man es allein verbringt. Darin können Sie mir möglicherweise auch zustimmen, wenn sie eine Frau sind, dieser Sachverhalt ist nicht geschlechtsspezifisch.
Der eine oder die andere von euch mag ja nun sagen: ³Aber was ist denn mit dem Sex?'

³Na und,' sage ich da, ³muß man deshalb gleich mit einem anderen ein Paar bilden?' Was nämlich die Freuden des Geschlechtslebens in der Partnerschaft anbelangt, ist anzumerken, dass sich Paare über den dafür geeigneten Zeitpunkt oft uneinig sind. Für den, der sich im Bett auf die andere Seite drehen muß, ist das weit unangenehmer, als wenn überhaupt kein Geschlechtspartner zur Verfügung steht.
Von der purgatorischen Wirkung meines Waldspaziergangs überzeugt, wollte ich gerade der Einsamkeit des Waldes entsagen und mich wieder unter die Leute mischen. Da hörte ich das Knacken von Zweigen. Ich blickte auf und sah zwei Baumstammlängen vor mir ein möglicherweise schon etwas in die Jahre gekommenes Paar, also einen Mann und eine Frau. Sie wandten mir den Rücken zu, und der Mann zeigte mit ausgestrecktem Arm irgendwohin. Da hätte ich natürlich bereits Verdacht schöpfen sollen. Wenn ein Mensch wahllos irgendwo hinzeigt, ist äußerste Vorsicht geboten. George W. Bush tut es, Gerhard Schröder tut es, Toni Blair tut es, Silvio Berlusconi tut es. Vor allem tun sie es, wenn sie in Rudeln auftreten. So hebt man sich nachher auf dem Bild von den anderen ab. Es war aber keine Kamera zugegen. Nicht einmal eine versteckte. Der Mann zeigte vielleicht auf jenen seltenen, einsam tirilierenden Vogel in den Baumwipfeln, und die Frau gab ihm gleich darauf ein Küßchen, worauf der Mann sie an sich zog. Alles ganz harmlos, außer dass sich mir das Paar bei dieser von zweifelsfreier Zuneigung begleiteten Interaktion kurz im Profil zeigte.
Was soll ich sagen? Ich sah zwei Personen, bei denen ich als Schweizer sonst vor Scham sofort weggucke. Ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, eilte ich auf die Bergstation zu und setzte mich in den bereits wartenden Zug, konnte es aber, als er anfuhr, doch nicht lassen, noch kurz aus dem Fenster zu gucken, ob Kurt Felix und Paola noch immer miteinander turtelten. Es war jedoch nichts mehr von ihnen zu sehen. Trotzdem kamen meine Überlegungen über die Liebe zwischen zwei Menschen auf der Talfahrt ganz schön ins Wanken. Hält Paola es für ein Geschenk, dass Kurt Felix so ist wie er ist? Oder hält Kurt Felix es für ein Geschenk, dass Paola so ist wie sie ist? Oder fühlen sich gar beide beschenkt?
Auf den verschlungenen Waldpfaden der Liebe stellt man das Denken besser ein.


(Beitrag wurde von Aporie am 12.11.2001 um 10:50 Uhr bearbeitet.)

Frau H aus B
12.11.2001, 12:08
Beste Schweizer Qualität. Besonders gut gefallen mir die Zeiger.

Tiffany Nudeldorf MD
12.11.2001, 12:14
Eine Kleinigkeit vielleicht, aber gehen Sie doch auch mal in der Stadt spazieren. Nicht, um auf andere Gedanken zu kommen - denn die sind ja schön und angenehm zu lesen -, sondern um sich die kleine Erläuterungstafel unter dem Straßenschild Kinkelstraße genau anzusehen. Der Sprung von 'Kinkel' zu Fischer war nämlich sehr salopp, sozusagen unlauter. (Zu Ihrer Ehrenrettung: auch Johann Gottfried Kinkel war ein Deutscher, sie haben also nicht wirklich verfälscht.)
Das merke ich als Deutsche nur deshalb an, weil _Klaus_ Kinkel uns wohl peinlicher ist als Ihnen Kurt Felix und Paola.

Fanny
(Beitrag wurde von Tiffany Nudeldorf MD am 12.11.2001 um 11:21 Uhr bearbeitet.)

Ignaz Wrobel
12.11.2001, 12:18
Aporie, Sie Stadtmelancholiker!
Also ich verkneife mir die Literaturkritik, die nimmt zur Zeit atmosphärisch ungünstige Ausmaße an. Schön, daß Sie noch ein wenig üben bis zur endgültigen Canetti-Geschichte!
Wenn dazu die zwei Schweizer Unerträglichen herhalten müssen, meinetwegen! Daß die im wahren Leben so sind wie im TV wundert mich nicht, darin besteht ja ihr Erfolg. Dadurch sollten Sie sich nicht verunsichern lassen. Die Wahrheit ist: Das Leben ist ein Jammertal, die Liebe eine Fiktion. Die Frage ist nur: Wo ertrinkt man schöner: Im Zürichsee, im Canal Grande oder im Atlantik? War es nicht der Schweizer Le Corbusier, der in irgend einem Meer verschwand? Ich nehme an, Sie wissen sowas.

Aporie
13.11.2001, 01:06
Wem sagen Sie das, Wrobel? Schliesslich bin ich, was das ungünstige Ambiente angeht, Täter und Opfer in Personalunion.
Künftig werde ich über Literatur nur noch kolportieren, was ich aus den Hausfrauengesprächen vor dem Leihbibliothekschalter mitbekomme.
Le Corbusier ist in der Schweiz verhältnismäßig früh dem Meer der Vergessenheit überantwortet worden, weil man ihn hier keine Wohnsilos bauen ließ. Friede seiner Masche.
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Jetzt, da sie davon reden Frau Tiffany: Finden Sie nicht auch, dass Kurt Felix und Klaus Kinkel einander immer mehr gleichen? Jedenfalls seit man die Kameras vor ihnen versteckt.

DREA
13.11.2001, 01:06
Verdammt, Aporie! Jetzt haben Sie mir mit Ihrer von milder Resignation und weisen Einsichten durchzogenen, wortreichen Erzaehlung einen dicken Strich durch meine Vorurteilsrechnung gemacht. Hatte mir fest vorgenommen, Sie nach dem Umzug wegen entnervender Herrenreiterei und geschmaecklerischer Noelerei auf meine 'Ignore' Liste zu setzen. Das werde ich nun erst einmal lassen muessen, denn stimmungsvolle, gedanklich weitschweifige Geschichten wie die obige wuerde ich nur ungerne verpassen.
Dies war ein Lob. Bitte sagen Sie jetzt nichts.

Herr Cohn
13.11.2001, 01:06
Ich habe gerade wenig zu tun und überlege, einen <remix> zu schreiben. Soll man? Fährnisse der Instabilität, Geschlechtsakt, Tirilieren, Dienstmädchen, Lottman, Fernsehen, Karl Moik, Gefühlswölkchen, Socke, geschlechtsspezifisch, Paar, Bett, purgatorisch, Baumstammlängen, wahllos, Berlusconi, Küßchen, Interaktion, Schweizer, Kurt, Denken. Weiter unten kommt Personalunion und Leihbibliotheksschalter (schreibt sich übrigens wirklich mit 2s, dochdoch). Und die Vergessenheit, Masche auch. Aus dem Remix wird heute nichts, mir ist eingefallen, ich muss noch bügeln. Nur das Nennen von Tiffany fand ich gut! Die ist nett.

vir
13.11.2001, 01:06
Der Zürichberg zwischen Zoo/Allmend Fluntern, Irchel/Schwamendingen, Stettbach und Dolder ist ein einziger, wunderbar dichter Buchen-, Eschen- und Fichtenwald. Dort sind auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt sehr viel weniger Sommerfrischler, Jogger, Spaziergänger, Mountainbiker und sonstige Meditationsunterbrecher anzutreffen als gegenüber - deshalb muss Aporie etwas anderes vorgehabt haben als das Sinnieren, als er auf den schauerlichen Uetliberg fuhr. Ich bin sicher, er suchte die Liebe. Da er aber keine Fotomodelle vorfand, war er gezwungen, sich das Alleinsein wieder schönzudenken.

Aporie
21.11.2001, 01:35
@juri
http://www.alles-bonanza.net/forum/showthread.php?s=&threadid=11197
sorry, im Strang vertippt
(Beitrag wurde von Aporie am 20.11.2001 um 12:37 Uhr bearbeitet.)

Disco Bratfisch
01.11.2003, 16:43
Gegen Ende der 80er Jahre war ich zusammen mit meiner damaligen Freundin im Herbst auf Amrum. Beim Überqueren einer Strasse kam uns ein Paar entgegen. Sie schmiegte sich dicht an ihn und hatte beide Arme um den seinen geschlungen. Als sie nur noch wenige Schritte von uns entfernt waren, stolperte er. Mit seinem Fuss blieb er irgendwo hängen, drohte vornüber zu kippen, fing sich mit ein paar getrippelten Ausfallschritten, wobei er jedoch die Dame, die sich unverwandt und in stützender Absicht an seinen Arm klammerte, nach vorne mitriss, wodurch nun wiederum sie ins Straucheln geriet und schliesslich, in erbärmlicher Pose, mit den Handflächen voran auf das Kopfsteinpflaster fiel. Er eilte hinzu, Mitleidiges und Bedauerndes keuchend, sie aber stiess seine helfende Hand rüde beiseite. Wir waren inzwischen einige Meter entfernt und mussten schon mit verdrehten Hälsen über die Schulter zurückschauen, um Paola und Kurt Felix noch sehen zu können. Als uns das dann zu peinlich wurde, schauten wir weiter geradeaus.

bettyford
01.11.2003, 16:54
Ich hab euch doch gesagt, dass auch ein paar Gute rüberschwappen werden! Disco Bratfisch, eine coole paparazzierung, sind sie zufälligerweise süß?

honz
01.11.2003, 17:10
ja vor allem gut untergebracht, eine weitere Version der Fallstricke der Liebe, Apo wird sich freuen, er freut sich immer, wenn seine Geschichten mit Verstand gewuchtet werden.