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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Beckstein, Günter und andere (Ende der Veranstaltung)



Hilde
11.11.2001, 17:12
Vor einer Woche fand in Nürnberg ein ziemlich wichtiges Ereignis statt, nämlich die Eröffnung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände.
Viele wichtige Personen des öffentlichen Lebens waren geladen bis hin zum Bundespräsidenten und dem bayerischen Ministerpräsidenten. Die Eröffnungsveranstaltung wurde 1 1/2 Stunden lang live im Bayerischen Fernsehen übertragen.
Während Johannes Rau seine Rede hielt, überlegte ich mir, dass dies ja eigentlich nur ca. 2 km von mir entfernt stattfindet und es doch eine Schande wäre, da nicht mal kurz hinzuschauen. Außerdem interessierte mich, was die Stadt Nürnberg damit meint, dass man zwar angemessene aber nicht übertriebene Sicherheitsvorkehrungen treffen möchte.
Ich erwartete 'angesichts der Ereignisse vom 11. September' eine Trutzburg an Sicherheit und wurde aufs angenehmste enttäuscht. Insgesamt bekam ich 2 grünweiße Mannschaftswagen zu Gesicht, eine Handvoll grün Uniformierter, wobei nicht etwa die grimmigsten sondern eher die freundlichsten rausgesucht worden waren, und des weiteren die üblichen schwarzgekleidete Herren in ebenso erträglicher Anzahl. Das sicherheitsrelevante Gelände war mit 2 rotweiß gestreiften Plastikbändern eher markiert als abgesperrt.
Es hatten sich 2 Protestgruppen aufgebaut, einmal die Abtreibungsgegner mit dem geschmacklosen Thema Babycaust und eine Menschenrechtsgruppe zur Verhinderung von ungerechtfertigter Abschiebung, des weiteren eine überschaubare Anzahl Schaulustiger.
Alles wartete auf den Auftritt der Prominenten. Der Zu- und natürlich auch Abgang zum Dokumentationszentrum führt über eine gangwayartige Treppe, die meiner Schätzung nach etwa 30 bis 40 Stufen zählt, vielleicht symbolische 33 oder 39, ich weiß es nicht und hatte noch keine Gelegenheit, dies nachzuzählen.
Als eine der ersten erschien Renate Schmidt auf der Showtreppe. Sie schritt oder vielmehr eierte die Treppe hinunter, da sie offensichtlich in ihren hochhackigen Schuhen schlecht laufen konnte. Dazu trug sie ein prall sitzendes schwarzes Kostüm mit kniekurzem Rock und des weiteren eine merkwürdige z-förmige Lackhandtasche.
Ihre einstmals lockigen wuschigen Haare trägt sie jetzt als festbetonierten Pagenkopf. Diese Renate Schmidt also kam die Treppe herunter, würdigte die Zuschauer keines Blickes, schaute nur angespannt vor sich hin, erlaubte sich einen kurzen Blickabschweif auf die aufgestellten Protestplakate und stöckelte Richtung Parkplatz davon. Es muss für sie die reinste Qual gewesen sein, denn sie war völlig allein und hatte niemanden dabei, der diese Szene hätte auflockern können.
Es kamen noch viele Prominente die Treppe herunter. Und einer schritt herunter im offenen dunklen Mantel und dabei fiel mir sofort eine Eigenschaft auf, die für mich bisher noch nie so deutlich dargestellt worden war: souverän. Nein, es war nicht der Bundespräsident, nein, es war nicht Stoiber, es war Hans-Jochen Vogel. Er nahm sofort Kontakt auf mit den Zuschauern, blickte sie an, lachte und winkte, und er bekam spontan Applaus, worüber er sich offensichtlich freute, mit einer Geste bedankte, und dann legte er den Zeigefinger an die Lippen und deutete auf den ihn begleitenden Herrn. Leider erkannte ich den Begleiter nicht, er kam mir zwar irgendwie bekannt vor, klein, untersetzt, dichtes schwarzes Haar und Knautschgesicht, aber eben doch unerkannt. So kann ich auch nicht die Bedeutung der Pscht-Geste deuten. Vielleicht wollte Vogel andeuten, dass sein Begleiter noch recht ergriffen ist und nicht gestört werden möchte.
Die Zeit verrann, viele Prominente hatten die Veranstaltung schon verlassen, und es standen nur noch 2 fette BMWs mit Münchener Nummer in Wartestellung. Es dauerte noch gehörige Zeit, bis endlich Günter Beckstein als einer der letzten die Treppe runtereilte. Er hatte wohl ein Heimspiel gehabt und mit dem Oberbürgermeister noch a Seidla getrunken. Er schusselte noch ein wenig herum, holte von hinten aus seinem BMW einen Stapel dicker Aktenordner und setzte sich damit auf den Beifahrersitz. Auch er hatte keinen Blick fürs Publikum übrig, aber das macht fast gar nichts, die meisten waren eh schon sauer, dass es so lange gedauert hatte.
Der Beckstein hat übrigens eine verdammte Ähnlichkeit mit Peter Maffay.


(Beitrag wurde von Hilde am 11.11.2001 um 16:15 Uhr bearbeitet.)

Herr Cohn
11.11.2001, 17:30
Hätt ich auch gern gesehen. Jetzt ist mir, als hätte ich es gesehen, z.B. die mulmige Dame Schmidt! Parteitagsgelände, dort hat doch der Architekt 'durch einen quergebauten Glasflügel die ungute Monumentalität des Gebäudes dekonstruktivistisch zerstört', so ähnlich stand es irgendwo zu lesen. Ist es dort so merkwürdig danebengegangen wie das Jüdische Museum in Berlin?

Hilde
11.11.2001, 18:33
Nein, die Sache ist wohl gelungen, sowohl architektonisch als auch inhaltlich, ich werde mir das Doku-Zentrum bald selber ansehen.
Und die Dame Schmidt hat mich deshalb so irritiert, weil sie sonst eher leutselig und ansprechbar ist, sie hatte wohl einen sauschlechten Tag. Auf einer Veranstaltung in ihrer Heimatstadt mit sovielen Politikern keinen Ansprechpartner zu finden, muss sie doch sehr getroffen haben.

Herr Cohn
11.11.2001, 19:25
Dann muss ich mir das in Nürnberg bald ansehen. Nach Berlin bin ich deshalb extra gefahren. Von außen nicht übel, auch das Treppenhaus ist surrealistisch, aber weiter drinnen schien mir alles von Pappe. Ich weiß nicht, ob ein Besuch sich überhaupt lohnt. Leider!

(Beitrag wurde von Herr Cohn am 11.11.2001 um 18:28 Uhr bearbeitet.)

Milchkannchen
13.11.2001, 12:52
Mit der Dame Schmidt hatte ich eine Begegnung der dritten Art: Es war Samstag abends und sie sollte 'Stargast' einer eigenartigen Veanstaltung sein mit anschliesender Diskussion. Offen und Bürgernah. Haha.
Ich hatte die Aufgabe die Dame hinter der Bühne zu begrüßen und sie zu den jeweiligen Auftritten zu geleiten. Hier Auszüge aus dem Script des Abends:
Ich:'Guten Abend, herzlich Willkommen, ich bin...'
Sie:'jaja, das tut nichts zur Sache, ich brauche eine Lampe und einen Tisch zum Arbeiten. Wenn ich gewusst hätte, was das für ein Laden ist.....' Grumelnde Laute.
Ich:'Sofort, jaja, (devotes geducke) wenn Sie jetzt bitte auf die Büh...'
Sie:'Ich weiss was ich zu machen habe, seien sie doch ruhig. Wenn einer der Trottel (!) da draußen das Wort Bundespräsident in den Mund nimmt steh ich auf und geh, dass das klar ist'
Die Dame betritt die Bühne, lächelt, gibt die Bürgernahe...erzählt sogar vom Tod ihres Mannes. Geht ab. Lächeln erlischt, sobald der Scheinwerfer aus ist.
Ich:'Danke Frau Schmidt, hier drüben gibt es...'
Sie:'Für so einen Affenzirkus gibt es keine Entschuldigung.'
Ab. Endgültig. Hoffentlich für immer. Auf und davon.

Herr Cohn
13.11.2001, 14:45
Pfeffer! Pfeffer!

vir
13.11.2001, 17:19
Danke, Hilde, für die aufmerksame Schilderung der Geschehnisse. Noch viel grösseren Dank aber für das direkte und klare Deutsch, das wegen der diversen minderbegabten Sprachartisten hier völlig zu verschwinden droht.

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Ultra posse nemo tenetur

Herr Cohn
13.11.2001, 17:48
Das stimmt einen trist, Herr Doktor

Hilde
14.11.2001, 14:03
@virchow,
ich freue mich ehrlich über Ihr Lob, das ich einfach mal so nehme als nicht ironisch gemeint.
Ich schreibe so wie ich kann, zu einem anderen Schreibstil müsste ich mich zwingen und das will ich natürlich nicht. Jedenfalls beruhigt es mich ein wenig, dass doch jemand Gefallen daran findet.
Ich bin zur Zeit ein bisschen ironiemüde.