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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Popstars aus Dubai (Eight Miles High - der Remix aus Dubai)



Pomito
08.11.2001, 16:58
Flughafen Dubai, mitten in der Nacht.
Um 3Uhr morgens soll der Flieger starten, der mich und meine Begleitung nach Bangkok tragen wird. Im vorderen Orient fliegt man rund um die Uhr, per definitionem zu wahrhaft unchristlichen Zeiten.
Von den Wänden lächeln gnädig die Mitglieder der Herrscherfamilie auf die teils dösenden, teils aufgeregt schnatternden Reisenden. Während der Flug Frankfurt-Dubai von hellgrauhaarigen, dunkelgrautragenden Graugeiern auf Businesstrip bestimmt war, zeichnet sich die typische Bangkok-Reisegesellschaft durch eine exotische und bunte Mischung aller möglichen Rassen, Physiognomien und Beinkleider aus. Ich warte auf einen Fluggast, der einen Käfig mit einem lebenden Waran dabei hat, aber soviel arabischen-asiatischen öffentlichen Personen-Fernverkehr will man mir dann doch nicht gönnen.
Plötzlich ändert sich die Stimmung in dem engen Wartetrakt. Eine fünfköpfige Gruppe mittelalter Herren mit seltsam geformten Handgepäckstücken redet auf das Personal der Airline ein. Der Inhalt der Unterhaltung bleibt mir zwar fremd, aber ich bemerke, wie meine Mitreisenden deutliche Anzeichen von Aufregung zeigen. Die Herren scheinen prominent zu sein und sie scheinen es zu wissen, denn sie behandeln das Personal selbstbewußt-fordernd. Das Publikum tuschelt und fixiert die jovial-lautstarken Neuankömmlinge verstohlen.
Schließlich einigt man sich und die Herren nehmen Platz. Ein Mitglied der Gruppe scheint eine Art Sprecher zu sein, er führt kleine Botengänge aus, ordert Getränke, verhält sich aber gegenüber seinen vier Begleitern servil. Die Herren scherzen viel.
Das Boarding beginnt und arabisch-chaotisch drängt alles in die bereitstehende Maschine. Nach einigem Hin und Her findet man den zugewiesenen Platz, verstaut das Handgepäck und genießt den Start mittels Videokamera, die am Bugfahrwerk angebracht ist und das Abheben live auf Bildschirme überträgt, die sich in der Rückenlehne des Vordersitzes befinden. Nach der üblichen Mini-Mahlzeit bereiten sich die meisten Passagiere auf eine Runde Schlaf vor.
Ich auch.
Ich schlafe.


Und werde geweckt durch fremdartige Klänge: Drei Reihen vor mir sitzen die Mitglieder der oben erwähnten Reise-Gruppe. Sie machen Musik auf Instrumenten, deren Namen ich nicht kenne, die man aber aus Bollywood-Filmen kennt. Ich kenne auch den Namen der Gruppe nicht, aber sie versteht ihr Handwerk: Schmachtende Weisen, schwungvolle Gassenhauer erklingen an Bord der Düsenmaschine. Um 5 Uhr morgens. Die Passagiere wachen auf und werden zu Zwangszuhörern. Die musizierenden Herren singen viel und laut und sie scherzen immer noch viel.
Schließlich sieht sich das Kabinenpersonal genötigt, einzuschreiten. Man weist auf die nachtschlafende Zeit hin und bittet um Mäßigung. Großes Hallo, abgelehnt. Aus dem vorderen Teil der Maschine eilt der fünfte Mann herbei, offenbar der Manager der vier Hallodris. Er reist 1. Klasse. Worte des Bedauerns zu den Autoritäten der Lüfte und der Versuch, die nahöstliche Variante von Guns'n'Roses zu beschwichtigen. Wie störrische Kinder entlocken sie ihren Instrumenten noch anderthalb Takte, zupfeln noch mal an dieser Saite und blasen noch mal in jene Flöte, um dann zu verstummen. Manager ab. Flugpersonal versöhnt.
Nach zehn Minuten rieche ich Zigarettenrauch. Auf einem Nichtraucherflug. Wir ahnen es: Renitente Rockstars rauchen rebellisch. Alle vier. Ein letztes Aufbäumen gegen die Kretins von Emirates Airways, eine neue Geste des 'Wir sind big in Dubai, ihr Nullen - und jetzt rocken wir Bangkok!'
Wie gesagt, ich kenne den Namen der Band nicht. Aber sie waren GROSS. Sie hatten die Wüste zum Blühen gebracht und wollten das jedem zeigen. Um 5 Uhr morgens. Hätten wir richtige TV-Geräte an Bord gehabt, sie hätten die Dinger aus der Maschine geworfen.

Peter Bean
08.11.2001, 17:06
Einfach nur: WOW! Groß!

Milchkannchen
08.11.2001, 17:19
Groß, wirklich! Vor allem, weil mir quasi das Gleiche passiert ist. 1994 auf dem Flug von Bahrain nach Stockholm. Ich glaube allerdings, dass es bei mir keine prominente Combo war, sondern einfach Passagiere, die ihre orientalische 'Mundorgel' auspackten und gemeinsam die orientalische Variante von 'Die Affen rasen durch den Wald' sagen.
Um 4 Uhr morgens. Ich weiss heute noch nicht, ob dieses Erlebnis gut war oder nicht.
Ihre Geschichte aber, Pomito, ist ein Genuß.

bastifantasti
08.11.2001, 17:37
Sehr schön Pomito. Ich musste sofort daran denken, wie wir in der S-Bahn geraucht haben, nachdem wir Köln gerockt hatten.

Tristram Shandy
08.11.2001, 17:47
Rock'n Roll auf orientalisch - ganz groß, Pomito.
Vielleicht war es mein türkischer Freund Ibrahim Tatlises mit seiner Combo?

slowtiger
08.11.2001, 18:00
Wunderschön. Ich bemerke vor allem wohlwollend die wirklich fließende, an keiner Stelle stockende oder sperrige Sprache.

DerCaptain
08.11.2001, 18:02
Hach, Kinder, ist das schön. Das entschädigt wirklich für den vielen Quatsch der letzten Wochen. Pomito, ich mag sowas.
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standard disclaimer: Ich finde das neue Forum gut und habe unseren Hausmeister lieb.

DerCaptain
08.11.2001, 18:03
Und das Beste: Man erfährt nichtmal den Namen der Band. Los, Tex, lies das!
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standard disclaimer: Ich finde das neue Forum gut und habe unseren Hausmeister lieb.

Pomito
08.11.2001, 18:23
Freut mich, dass euch mein Reisebericht gefällt. Hatte lange Zeit Skrupel, eine Promigeschichte zu schreiben, in der kein Name erwähnt wird.
@basti: Reisen bildet. Seit dem Bangkoktrip habe ich regelrecht den Zwang, offen in geschlossenen Verkehrsmitteln zu fumieren.
@Tristram: Dem Aussehen nach waren's keine Türken - ich tue mich aber generell schwer, die Angehörigen aller Volksstämme zwischen Bosporus und Bangkok zu kategorisieren.

Goodwill
08.11.2001, 21:35
1000 und 1 Dank für diese Geschichte.
Der Flughafen Dubai ist mir als bizarrer Unort ein Begriff. Das Gebäude hat die Form eines gigantischen Flugzeugflügels, der in die Wüste gefallen ist. Das einzige Buch, das es dort dutyfree und in allen 50 Weltsprachen zu kaufen gibt, ist die aufregende Biografie des dubaier Herrschers. Ich glaube, auf dem Cover ist er mit seinem Lieblingspferd abgebildet. Pausenlos surren Elektro-Bodenputzautos über den Marmor. In der Mitte des Baus stehen goldene Palmen im Maßstab 1 zu 1 und mit Kitschfaktor 10. An einem Tisch verkaufen chronisch lächelnde Asiatinnen Lose für eine Rolls-Royce-Tombola. Preis: So um 500 $ pro Stück. Dafür stehen die Gewinnchancen aber auch bei etwa 1:300. Auf einer Tafel die bisherigen Gewinner. Etliche Namen sind zweimal verzeichnet.
Der perfekte Ausgangspunkt für eine Reise wie Ihre, Pomito.
(Beitrag wurde von Goodwill am 08.11.2001 um 20:49 Uhr bearbeitet.)

Angelika Maisch
08.11.2001, 21:52
Wenn schon alle nach Bangkok fahren müssen, dann sollen sie wenigstens solche Andenken mitbringen wie Pomito.

James Dean Brown
08.11.2001, 22:01
Sagenhaft. Geschichten aus zweitausendundeiner Nacht. In arabisch sprechenden Ländern lärmt man viel und gerne. Musikinstrumente, Autohupen, Radios, Fernseher oder der Ton vom Freiluftkino werden 24 Stunden lang bis zum Anschlag aufgedreht. Um das Getöse zu übertönen, führt man ausufernd bis hysterisch Unterhaltungen mit mächtig entwickelten Stimmbändern. Ich wünschte mir auf einem Langstreckenflug derartige Abwechslungen, denn der kollektive Schlafzwang zu vorgegebener Zeit - ich als einziger wach, weil mir die Kniescheiben in den zu engen Sitzreihen brechen - dehnt die Zeit in der Luft ins Unerträgliche. Wahrscheinlich müsste ich weinen vor Glück.

Yvonne Caldenberg
09.11.2001, 01:04
Schöne Geschichte.
Und gleich auch noch dabei eins zwischen die Ohren gängiger Slogans:
'Kulturimperialismus? Fliegnse ma von Dubai nach Dingsda, da sind berühmte ffugfzu-Bands an Bord, die randalieren, sind Stars und du kennst sie nicht, keinen Schimmer.'
So geht es doch, in der echten Welt. Schön. Wirr. Lustig.

Sabeta
10.11.2001, 03:49
eight miles high - hoch mit pomito.