ChristianYSchmidt
05.11.2001, 23:37
Martin Walser weiß alles übers Entenfetten ö zwei Damen wissen nichts
Genau auf dem Platz, auf den sich später der Schriftsteller setzen wird, sitzt im Moment noch der Amerikaner. Er hat sich den bestimmten Artikel redlich verdient, denn er sieht genau so aus wie jemand, mit dem man in einer deutschen Fernsehserie die Rolle des Amerikaners besetzen würde. Er ist dick und sein schwarz-weißes Poloshirt hat an den weißen Stellen ein paar braune Flecken, die vom letzten Essen herrühren. Der Ami trinkt Bier. Als er ausgetrunken hat, murmelt er: -Another bottle. Langsam trinkt er auch diese Flasche leer. - Where is the restroom, fragt er sodann den Kellner. Der, seinem Akzent nach ein Ostdeutscher, versteht nicht. - Der Herr sucht die Toilette, sage ich, denn ich sitze am Fensterplatz desselben Tisches, dem Ami schräg gegenüber, und helfe gerne. Gleichzeitig deutet der Amerikaner erklärend auf seinen Hosenschlitz und gratzelt, das Bier in seinem Bauch müsse da jetzt dringend wieder raus. Ah, schreit der Kellner durch den ganzen ICE-Bordrestaurantswaggon, Toilette. Ich dachte immer, das heißt TualettÎ auf Englisch. Gestikulierend weist er dem Mann den Weg. Der Amerikaner steht umständlich auf und geht, nicht ohne ein paar Silbermünzen auf dem Tisch zu hinterlassen.
Zehn Minuten später steht der Schriftsteller an meinem Tisch. Der Schriftsteller ist Martin Walser, er sieht also genauso aus wie jemand, mit dem man in einer deutschen Fernsehserie die Rolle des Schriftstellers besetzen würde. Über sein Auftauchen bin ich nicht sonderlich überrascht. Ich hatte Walser schon in Frankfurt auf dem Bahnsteig stehen sehen und dumpf geahnt (ich locke nicht nur Enten, sondern auch solche Typen an), daß er heute noch an meinem Speiesewagentisch stehen und fragen würde: - Ist hier frei? Die Frage kannte ich also schon, fehlt nur noch meine Antwort: - Ich weiß nicht genau. Gerade ist jemand gegangen. Aber wahrscheinlich kommt der nicht wieder. Was rede ich da? Hmm. Vielleicht will ich, daß Walser sich setzt? Immerhin ist der Schriftsteller nicht allein, sondern in Begleitung von zwei Frauen. Das könnte interessant werden.
Die eine, ungefähr 35, hat dunkle Haare und trägt dazu passend künstlerschwarze Kleidung. Sie setzt sich neben mich. Bald weiß ich, daß sie Martina heißt. Lustig: Martina und Martin Walser. Die andere ist um die Fünfzig, irgendwie blond bis silbergrau, und hat für die Dauer dieser Fahrt keinen Namen. Sie wird mir die nächsten anderthalb Stunden gegenüber sitzen. Walser trägt - wie immer - eine wallend graue Dichtermähne, buschige Augenbrauen und ö wie manchmal ö eine flotte beige Wildlederjacke. Er setzt sich zielsicher auf den Platz des dicken Amerikaners.
Das will der Kellner, der vielleicht immer noch an seinen Restroom-Fauxpas denkt (oder an den 11. September, was weiß denn ich), nicht zulassen: - Und wenn der Herr gleich wiederkommt? - Warten wirâs ab, sagt Walser. - Und das hier, er zeigt auf das Geld, können sie gleich mitnehmen. - Ich werde doch kein fremdes Geld nehmen, sagt der ehrlichste, vielleicht aber auch schlichteste ostdeutsche Kellner der Welt. Die Münzen müssen, darauf besteht er, liegen bleiben.
Walser macht es sich bequem, schnappt sich die Speisekarte und beginnt sofort mit einer kleinen Dichterlesung. Das heißt, er liest seinen beiden Damen die Speisekarte vor. Die hören aufmerksam zu. - Räucherlachs mit Rührei. Gebackene Kartoffel. Zartes Putensteak, trägt Walser mit badenselndem Akzent (oder was auch immer) vor. - Asiatische Reispfanne. Krautwickel. Also, der Schriftsteller macht eine Kunstpause, für mich fängt das hier erst bei der Penne mit Tomatensauceâ an. Aha, ein Gourmet, denkt die etwas dümmere, weil reflexartig funktionierende ironische Abteilung in meinem Kopf. Doch dann bestellen alle drei die Pfälzer BratwürstchenÎ von BiolandÎ sowie Bier vom Faß, und es denkt: Bier, um 13 Uhr. Respekt. Der Kellner freut sich über etwas anderes: - Die Bioländer also. Sehr gut. Kaum ist er gegangen, amüsiert sich der Schriftsteller und sein weiblicher Anhang. - Bioländer sagt der. Hihihi.
Mit der Heiterkeit ist es vorbei, als der Kellner mit drei Flaschen RadebergerÎ wiederkommt. Walser protestiert. Faßbier hätte er bestellt. - Das ist aus, sagt der Kellner.- Radeberger aber ist auch sehr gut, schlichtet die dunkle Martina. Mißmutig fügt sich Walser, ergänzt dann aber schnell: - Wenn Helga dabei wäre, dann hätte der Mann aber was erlebt. Wer ist Helga? Walsers Frau, der Kellnerschreck vom Bodensee? Ich weiß es nicht. Nur, daß sie an diesem Tisch keinen Platz mehr gefunden hätte, das ist sicher.
Die Bioländer (hihihi) aber schmecken. - Besser als die Wiener auf der Buchmesse, sagt Walser, denn da kommt er (genauso wie ich) ja gerade her. Die Damen, die da auch waren, stimmen zu. Dafür sei aber die Luft im 1. Klasse-Wagen viel schlechter als in den neuen Frankfurter Messehallen. Das findet jedenfalls Martina. Sie hat, das kommt jetzt peu a peu heraus, erst Kopfschmerzen bekommen, dann beim Schaffner in Luftangelegenheiten protestiert und schließlich zum Aufbruch in den Speisewagen gedrängt. Walsers silbergraue Begleitung ist sich, was die Luftqualität angeht, nicht so sicher. Auch der Schriftsteller deutet an, Martina habe sich da vielleicht was eingebildet. Der nächste Streit liegt in der Luft: um ö wie großartig ö Luft. Und Walser tut alles, um ihn anzuheizen. - Immer recht geben, sagt er lächelnd zu der Silbergrauen. - Frauen immer recht geben. Das habe ich in meinem Leben so gelernt. Und wie man Frauen auf die Palme bringt, das auch.
Martina versucht mit ein paar lockeren Sätzen, ihren Ärger zu verbergen, aber mir macht sie nichts vor. Doch dann, mit einem Mal, wird sie ganz wunderbar gerettet. Der Schaffner kommt und bestätigt, die Klimaanlage in besagtem Wagen habe, - tut mir leid -, einen kleinen Defekt. Die Frischluftproduktion sei um 20 Prozent (oder so was in der Art) gefallen. Triumphierend schaut Martina in die Runde. - Ja, ja, brummelt Walser nach dem Abgang des Schaffners, der hat den ganze Zug nach dir abgesucht. Wollte bloß noch mal mit dieser gutaussehenden Frau sprechen. Mehr stecke doch hinter der defekten KlimaanlageÎ einfach nicht.
Fünfzig Pfennig für Martinas Gedanken, denke ich nicht wirklich, aber Martina denkt überhaupt nicht daran, groß zu denken. Sie weicht aus, kommt ganz wie von selbst aufs Wetter zu sprechen. Genauer: Sie beginnt das ganze, bisher verstrichene Wetterjahr zu referieren, Monat für Monat. Es dauert eine Weile, bis ich wieder zuhöre. Da ist sie schon beim Juli. Der sei in Ordnung, der August aber dann zu heiß und der September schließlich zu kalt und feucht gewesen. Weil das sowieso jeder weiß, kann dazu auch die Silbergraue jetzt mal was beisteuern. - Ich kenne jemanden, sagt sie, der lebt auf einem Bauernhof und betreibt Wettervorhersage, indem er seine Tiere beobachtet. Dabei hat er festgestellt, daß sich das Wetter grundsätzlich alle 40 Tage ändert. 40 Tage, ein biblischer Zyklus. In diesem August fiel ihm auf, daß seine Enten plötzlich damit begannen sich einzufetten. Und tatsächlich sei es dann ja auch sehr kalt geworden und habe in einem durch geregnet, wenn auch nicht exakt 40, sondern eher 35 Tage. Aber die 40 Tage, das ist ja auch nur ein Näherungswert, der sich auf die Bibel... ö Die Enten hätten sich auch so gefettet, sagt Walser trotzig. Damit ist das Thema vom Speisewagentisch.
Eine Schande sei ja auch, bemerkt der Schriftsteller nach einer Pause, daß die Bahn die Speisewagen abzuschaffen gedenke. - Ja, antwortet die Silbergraue, schon heute gibt es in Interregios keine Flasche Wasser mehr zu kaufen. - Falsch, sagt Walser, in manchen Interregios doch. Zum Beweis nennt er einen Interregio, der irgendwo im deutschen Südwesten verkehrt, und in dem man sehr wohl.... Toll. Walser weiß wirklich alles.
Der Alleswisser schaut nun ganz kurz aus dem Fenster. Ein Stück Hessen fliegt vorbei. Deutschland, denke ich, denkt jetzt der Schriftsteller. Aber auch ich kann in seiner Gegenwart nicht recht haben: Walser denkt nämlich nicht an Deutschland, sondern schon wieder an sich. Und spricht darüber zu den Frauen: ö Ich bereite gerade mit einem Theaterregisseur eine kleine szenische Lesung vor. Fünfzehn bis zwanzig Minuten. Hauptsächlich Schiller. Dafür habe ich habe die ganzen rechtsradikalen Stellen aus Kabale und LiebeÎ, Don CarlosÎ usw. rausgesucht. Das finden die beiden Damen nun wirklich hochinteressant. Welche Stellen er denn meine? - Zum Beispiel: Sire, gewähren Sie Gedankenfreiheit!, antwortet Walser quietschvergnügt. Ich sehe ihm an, wie er jetzt glaubt: Da habe ich aber jetzt einen hochironischen, verdammt provokanten Coup gelandet. Und diesmal habe ich recht.
Die Bioländer sind verspeist, es geht ans Zahlen. Die Münzen des Amis liegen noch immer auf dem Tisch. Walser betrachtet sie noch einmal und brasselt versonnen: ö Geldmystik! Dann steht er auf, verabschiedet sich von mir und geht, gefolgt von seinen Damen. Bewundernd sehe ich dem großen alten sabbernden Sack der deutschen Literatur nach, würde ich gerne schreiben. Aber Walser hat gar nicht wirklich gesabbert, und ich habe ihm nicht nachgesehen.
Der Kellner kommt und räumt den Tisch auf. - Das Geld, sage ich, das können sie nun aber wirklich einstecken. - Gut, sagt der Kellner, aber nur, wenn sie bezeugen, daß der Herr von vorhin wirklich gegangen ist. Aber was ich sie noch fragen wollte: Wie hieß noch mal Toilette auf Englisch? ö Restroom! ö Aha. Das kommt wahrscheinlich von ResteÎ. Ist ja logisch. Die wird man da ja los. ö Nein. Das kommt von to restÎ. Ausruhen. ö Ach so. Darum: Restaurant. Weil man sich da auch ausruht. - Nein, will ich sagen. Jedenfalls nicht in diesem Bordrestaurant. Ich halte dann aber doch die Klappe.
Genau auf dem Platz, auf den sich später der Schriftsteller setzen wird, sitzt im Moment noch der Amerikaner. Er hat sich den bestimmten Artikel redlich verdient, denn er sieht genau so aus wie jemand, mit dem man in einer deutschen Fernsehserie die Rolle des Amerikaners besetzen würde. Er ist dick und sein schwarz-weißes Poloshirt hat an den weißen Stellen ein paar braune Flecken, die vom letzten Essen herrühren. Der Ami trinkt Bier. Als er ausgetrunken hat, murmelt er: -Another bottle. Langsam trinkt er auch diese Flasche leer. - Where is the restroom, fragt er sodann den Kellner. Der, seinem Akzent nach ein Ostdeutscher, versteht nicht. - Der Herr sucht die Toilette, sage ich, denn ich sitze am Fensterplatz desselben Tisches, dem Ami schräg gegenüber, und helfe gerne. Gleichzeitig deutet der Amerikaner erklärend auf seinen Hosenschlitz und gratzelt, das Bier in seinem Bauch müsse da jetzt dringend wieder raus. Ah, schreit der Kellner durch den ganzen ICE-Bordrestaurantswaggon, Toilette. Ich dachte immer, das heißt TualettÎ auf Englisch. Gestikulierend weist er dem Mann den Weg. Der Amerikaner steht umständlich auf und geht, nicht ohne ein paar Silbermünzen auf dem Tisch zu hinterlassen.
Zehn Minuten später steht der Schriftsteller an meinem Tisch. Der Schriftsteller ist Martin Walser, er sieht also genauso aus wie jemand, mit dem man in einer deutschen Fernsehserie die Rolle des Schriftstellers besetzen würde. Über sein Auftauchen bin ich nicht sonderlich überrascht. Ich hatte Walser schon in Frankfurt auf dem Bahnsteig stehen sehen und dumpf geahnt (ich locke nicht nur Enten, sondern auch solche Typen an), daß er heute noch an meinem Speiesewagentisch stehen und fragen würde: - Ist hier frei? Die Frage kannte ich also schon, fehlt nur noch meine Antwort: - Ich weiß nicht genau. Gerade ist jemand gegangen. Aber wahrscheinlich kommt der nicht wieder. Was rede ich da? Hmm. Vielleicht will ich, daß Walser sich setzt? Immerhin ist der Schriftsteller nicht allein, sondern in Begleitung von zwei Frauen. Das könnte interessant werden.
Die eine, ungefähr 35, hat dunkle Haare und trägt dazu passend künstlerschwarze Kleidung. Sie setzt sich neben mich. Bald weiß ich, daß sie Martina heißt. Lustig: Martina und Martin Walser. Die andere ist um die Fünfzig, irgendwie blond bis silbergrau, und hat für die Dauer dieser Fahrt keinen Namen. Sie wird mir die nächsten anderthalb Stunden gegenüber sitzen. Walser trägt - wie immer - eine wallend graue Dichtermähne, buschige Augenbrauen und ö wie manchmal ö eine flotte beige Wildlederjacke. Er setzt sich zielsicher auf den Platz des dicken Amerikaners.
Das will der Kellner, der vielleicht immer noch an seinen Restroom-Fauxpas denkt (oder an den 11. September, was weiß denn ich), nicht zulassen: - Und wenn der Herr gleich wiederkommt? - Warten wirâs ab, sagt Walser. - Und das hier, er zeigt auf das Geld, können sie gleich mitnehmen. - Ich werde doch kein fremdes Geld nehmen, sagt der ehrlichste, vielleicht aber auch schlichteste ostdeutsche Kellner der Welt. Die Münzen müssen, darauf besteht er, liegen bleiben.
Walser macht es sich bequem, schnappt sich die Speisekarte und beginnt sofort mit einer kleinen Dichterlesung. Das heißt, er liest seinen beiden Damen die Speisekarte vor. Die hören aufmerksam zu. - Räucherlachs mit Rührei. Gebackene Kartoffel. Zartes Putensteak, trägt Walser mit badenselndem Akzent (oder was auch immer) vor. - Asiatische Reispfanne. Krautwickel. Also, der Schriftsteller macht eine Kunstpause, für mich fängt das hier erst bei der Penne mit Tomatensauceâ an. Aha, ein Gourmet, denkt die etwas dümmere, weil reflexartig funktionierende ironische Abteilung in meinem Kopf. Doch dann bestellen alle drei die Pfälzer BratwürstchenÎ von BiolandÎ sowie Bier vom Faß, und es denkt: Bier, um 13 Uhr. Respekt. Der Kellner freut sich über etwas anderes: - Die Bioländer also. Sehr gut. Kaum ist er gegangen, amüsiert sich der Schriftsteller und sein weiblicher Anhang. - Bioländer sagt der. Hihihi.
Mit der Heiterkeit ist es vorbei, als der Kellner mit drei Flaschen RadebergerÎ wiederkommt. Walser protestiert. Faßbier hätte er bestellt. - Das ist aus, sagt der Kellner.- Radeberger aber ist auch sehr gut, schlichtet die dunkle Martina. Mißmutig fügt sich Walser, ergänzt dann aber schnell: - Wenn Helga dabei wäre, dann hätte der Mann aber was erlebt. Wer ist Helga? Walsers Frau, der Kellnerschreck vom Bodensee? Ich weiß es nicht. Nur, daß sie an diesem Tisch keinen Platz mehr gefunden hätte, das ist sicher.
Die Bioländer (hihihi) aber schmecken. - Besser als die Wiener auf der Buchmesse, sagt Walser, denn da kommt er (genauso wie ich) ja gerade her. Die Damen, die da auch waren, stimmen zu. Dafür sei aber die Luft im 1. Klasse-Wagen viel schlechter als in den neuen Frankfurter Messehallen. Das findet jedenfalls Martina. Sie hat, das kommt jetzt peu a peu heraus, erst Kopfschmerzen bekommen, dann beim Schaffner in Luftangelegenheiten protestiert und schließlich zum Aufbruch in den Speisewagen gedrängt. Walsers silbergraue Begleitung ist sich, was die Luftqualität angeht, nicht so sicher. Auch der Schriftsteller deutet an, Martina habe sich da vielleicht was eingebildet. Der nächste Streit liegt in der Luft: um ö wie großartig ö Luft. Und Walser tut alles, um ihn anzuheizen. - Immer recht geben, sagt er lächelnd zu der Silbergrauen. - Frauen immer recht geben. Das habe ich in meinem Leben so gelernt. Und wie man Frauen auf die Palme bringt, das auch.
Martina versucht mit ein paar lockeren Sätzen, ihren Ärger zu verbergen, aber mir macht sie nichts vor. Doch dann, mit einem Mal, wird sie ganz wunderbar gerettet. Der Schaffner kommt und bestätigt, die Klimaanlage in besagtem Wagen habe, - tut mir leid -, einen kleinen Defekt. Die Frischluftproduktion sei um 20 Prozent (oder so was in der Art) gefallen. Triumphierend schaut Martina in die Runde. - Ja, ja, brummelt Walser nach dem Abgang des Schaffners, der hat den ganze Zug nach dir abgesucht. Wollte bloß noch mal mit dieser gutaussehenden Frau sprechen. Mehr stecke doch hinter der defekten KlimaanlageÎ einfach nicht.
Fünfzig Pfennig für Martinas Gedanken, denke ich nicht wirklich, aber Martina denkt überhaupt nicht daran, groß zu denken. Sie weicht aus, kommt ganz wie von selbst aufs Wetter zu sprechen. Genauer: Sie beginnt das ganze, bisher verstrichene Wetterjahr zu referieren, Monat für Monat. Es dauert eine Weile, bis ich wieder zuhöre. Da ist sie schon beim Juli. Der sei in Ordnung, der August aber dann zu heiß und der September schließlich zu kalt und feucht gewesen. Weil das sowieso jeder weiß, kann dazu auch die Silbergraue jetzt mal was beisteuern. - Ich kenne jemanden, sagt sie, der lebt auf einem Bauernhof und betreibt Wettervorhersage, indem er seine Tiere beobachtet. Dabei hat er festgestellt, daß sich das Wetter grundsätzlich alle 40 Tage ändert. 40 Tage, ein biblischer Zyklus. In diesem August fiel ihm auf, daß seine Enten plötzlich damit begannen sich einzufetten. Und tatsächlich sei es dann ja auch sehr kalt geworden und habe in einem durch geregnet, wenn auch nicht exakt 40, sondern eher 35 Tage. Aber die 40 Tage, das ist ja auch nur ein Näherungswert, der sich auf die Bibel... ö Die Enten hätten sich auch so gefettet, sagt Walser trotzig. Damit ist das Thema vom Speisewagentisch.
Eine Schande sei ja auch, bemerkt der Schriftsteller nach einer Pause, daß die Bahn die Speisewagen abzuschaffen gedenke. - Ja, antwortet die Silbergraue, schon heute gibt es in Interregios keine Flasche Wasser mehr zu kaufen. - Falsch, sagt Walser, in manchen Interregios doch. Zum Beweis nennt er einen Interregio, der irgendwo im deutschen Südwesten verkehrt, und in dem man sehr wohl.... Toll. Walser weiß wirklich alles.
Der Alleswisser schaut nun ganz kurz aus dem Fenster. Ein Stück Hessen fliegt vorbei. Deutschland, denke ich, denkt jetzt der Schriftsteller. Aber auch ich kann in seiner Gegenwart nicht recht haben: Walser denkt nämlich nicht an Deutschland, sondern schon wieder an sich. Und spricht darüber zu den Frauen: ö Ich bereite gerade mit einem Theaterregisseur eine kleine szenische Lesung vor. Fünfzehn bis zwanzig Minuten. Hauptsächlich Schiller. Dafür habe ich habe die ganzen rechtsradikalen Stellen aus Kabale und LiebeÎ, Don CarlosÎ usw. rausgesucht. Das finden die beiden Damen nun wirklich hochinteressant. Welche Stellen er denn meine? - Zum Beispiel: Sire, gewähren Sie Gedankenfreiheit!, antwortet Walser quietschvergnügt. Ich sehe ihm an, wie er jetzt glaubt: Da habe ich aber jetzt einen hochironischen, verdammt provokanten Coup gelandet. Und diesmal habe ich recht.
Die Bioländer sind verspeist, es geht ans Zahlen. Die Münzen des Amis liegen noch immer auf dem Tisch. Walser betrachtet sie noch einmal und brasselt versonnen: ö Geldmystik! Dann steht er auf, verabschiedet sich von mir und geht, gefolgt von seinen Damen. Bewundernd sehe ich dem großen alten sabbernden Sack der deutschen Literatur nach, würde ich gerne schreiben. Aber Walser hat gar nicht wirklich gesabbert, und ich habe ihm nicht nachgesehen.
Der Kellner kommt und räumt den Tisch auf. - Das Geld, sage ich, das können sie nun aber wirklich einstecken. - Gut, sagt der Kellner, aber nur, wenn sie bezeugen, daß der Herr von vorhin wirklich gegangen ist. Aber was ich sie noch fragen wollte: Wie hieß noch mal Toilette auf Englisch? ö Restroom! ö Aha. Das kommt wahrscheinlich von ResteÎ. Ist ja logisch. Die wird man da ja los. ö Nein. Das kommt von to restÎ. Ausruhen. ö Ach so. Darum: Restaurant. Weil man sich da auch ausruht. - Nein, will ich sagen. Jedenfalls nicht in diesem Bordrestaurant. Ich halte dann aber doch die Klappe.