MC Hausmacherleberwurscht
25.10.2001, 17:23
Ich wollte einen Nagel nehmen und den Song von der Platte kratzen. Ich war echt sauer. Was verdammt sollte ich nur mit 'Fred vom Jupiter' anfangen und vor allem mit den Doraus und den Marinas? Von der Walze der Neuen Deutschen Welle voll erfasst, fühlte sich der Song an, als habe man in den Wassermassen die Badehose verloren und würde nun mit entblößtem Geschlechtsteil im seichten Auslauf der Welle über das schmerzhafte Strandgeröll gezogen. Ich war 14, hatte Akne und es war nicht die Zeit für surrealen Elektro-Pop.
In der S-Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof sitzt nun also Andreas Dorau. Ganz steif, den Körper an die kalte Wand des Abteils gepresst, so als wolle er verhindern, dass der wildfremde Sitznachbar ihn berühren kann. Dorau trägt eine graue Jacke, darunter einen rosafarbenen Kapuzenpulli, an den Beinen eine furchtbar angesagte Agentur-Pluderhose mit Kreppverschluss-Taschen in oliv, selbstredend schwer rare Nike-Sneaker in gleicher Farbe. Seine Beine wirken parallel ausgerichtet. Wie eine alte Großmutter hat er die mit gelben Plastikrändern abgefasste, olivfarbene Retro-Sporttasche mit rauchig-gelbem 'Nike'-Schriftzug auf seinen Knien abgestellt. Die Henkel der Tasche stehen steif in die Höhe, wie die M-Bögen bei McDonalds. Unter ihnen hindurch hat Dorau beide Arme gelegt, er lässt sie auf dem Reißverschlussrücken der Tasche ruhen, seine Hände baumeln so auf der Taschenvorderseite herunter, während die Finger einem nur Dorau bekannten Takt auf dem dumpfen Kunstleder trommeln.
Dorau gegenüber sitzt seine Begleitung. Eine jener Damen die eigentlich potthässlich sind, sich aber mit allen Insignien der Trendigkeit versehen um wenigstens so auszusehen, wie die anderen Frauen in der Werbung. Auch sie hat eine Retrosporttasche auf den Knien, allerdings mit 'Motor Music'-Schriftzug und outet sich so als Fashion-Victim und Doraus Produktmanagerin zugleich. Sie redet auf Dorau ein, der nickt bloß. Verhuscht und ein wenig ängstlich wirft er einem Crack-Junkie mit Mega-Affen, der eine Sitzgruppe weiter sitzt, verstohlene Blicke zu. Dreht der gleich durch? Nimmt er mir meine Tasche weg?
Die Produktmanagerin verläßt kurz vor dem HBF das Abteil. Dorau nickt zum Abschied. Dann ist er allein. Und wirkt plötzlich so verletzlich, in seinem rosa Kapuzenshirt. Ein kleiner Junge auf Butterfahrt zu Omma. Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm.
Mein Blick fällt auf sein Haupt. Dorau hat blonde Haare, blonder als blond man es sich vorstellen kann. Allerdings hat er nicht viele davon. Die Tonsur hat sich bei ihm längst zum Flächenprinzip gemausert. Angesichts der drohenden Platte verfällt Dorau in althergebrachte und ebenso klägliche Täuschungsmanöver. Ich erinnere einen Sportlehrer, der ähnlich verfuhr. Der ließ sich den linksseitigen Haarkranz bis über die Schulter lang wachsen und kämte die dünnen Flusen dann einfach nach rechts über die Billiardkugel. Verstärkt durch mehrere Lagen Haarspray entwickelte er ein Schulsport taugliches Frisurenbrett. Und es bedurfte eines hardcorevolley am Netz geschlagenen Vorhand-Slices meines Freundes Sven, um das Brett abzulösen. Der Ball traf den Mann an der Schläfe, er ging wie ein Sack Reis zu Boden, das Brett stand für Sekunden im 90 Grad Winkel nach oben, ehe es über die Seite in einem Stück gen Boden sank, die glatte Birne entblössend.
Dorau hat dutzende, dünne, haarsprayverklebte, wahrscheinlich mit einem flachen Gesäßtaschenkamm absolut waagrecht auf dem Kopf von links nach rechts geordnete Strähnen, die seine Kahlheit bedecken. Es ist ein bannendes Schaupiel. Ich starre auf die kunstvolle Klebetechnik, will gerade beginnen, die exakte Strähnenzahl zu ermitteln, da hält der Zug. Erstmals bewegt sich Dorau, löst die angestrengte Parallelität seines Leibes und beugt den Oberkörper nach vorne. Er blickt gegen das S-Bahn-Fenster, das die Dunkelheit des Tunnels zum Spiegel gemacht hat. Mit der Hand stupst er die Haarpracht ein wenig links, ein wenig rechts des Scheitels und schließlich über der Tonsur, wie zur Versicherung der Standhaftigkeit. Er steht auf, lächelt sanft, wohl selbstzufrieden und geht seiner Wege wie ich die meinen.
Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich 'Fred' heute ganz gut leiden mag. Dass ich damals den Nagel weglegte, weil ich wußte, dass ich es eines Tages bereuen könnte. Mitten in diese Gedanken hinein machte mein Telefon piep.
In der S-Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof sitzt nun also Andreas Dorau. Ganz steif, den Körper an die kalte Wand des Abteils gepresst, so als wolle er verhindern, dass der wildfremde Sitznachbar ihn berühren kann. Dorau trägt eine graue Jacke, darunter einen rosafarbenen Kapuzenpulli, an den Beinen eine furchtbar angesagte Agentur-Pluderhose mit Kreppverschluss-Taschen in oliv, selbstredend schwer rare Nike-Sneaker in gleicher Farbe. Seine Beine wirken parallel ausgerichtet. Wie eine alte Großmutter hat er die mit gelben Plastikrändern abgefasste, olivfarbene Retro-Sporttasche mit rauchig-gelbem 'Nike'-Schriftzug auf seinen Knien abgestellt. Die Henkel der Tasche stehen steif in die Höhe, wie die M-Bögen bei McDonalds. Unter ihnen hindurch hat Dorau beide Arme gelegt, er lässt sie auf dem Reißverschlussrücken der Tasche ruhen, seine Hände baumeln so auf der Taschenvorderseite herunter, während die Finger einem nur Dorau bekannten Takt auf dem dumpfen Kunstleder trommeln.
Dorau gegenüber sitzt seine Begleitung. Eine jener Damen die eigentlich potthässlich sind, sich aber mit allen Insignien der Trendigkeit versehen um wenigstens so auszusehen, wie die anderen Frauen in der Werbung. Auch sie hat eine Retrosporttasche auf den Knien, allerdings mit 'Motor Music'-Schriftzug und outet sich so als Fashion-Victim und Doraus Produktmanagerin zugleich. Sie redet auf Dorau ein, der nickt bloß. Verhuscht und ein wenig ängstlich wirft er einem Crack-Junkie mit Mega-Affen, der eine Sitzgruppe weiter sitzt, verstohlene Blicke zu. Dreht der gleich durch? Nimmt er mir meine Tasche weg?
Die Produktmanagerin verläßt kurz vor dem HBF das Abteil. Dorau nickt zum Abschied. Dann ist er allein. Und wirkt plötzlich so verletzlich, in seinem rosa Kapuzenshirt. Ein kleiner Junge auf Butterfahrt zu Omma. Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm.
Mein Blick fällt auf sein Haupt. Dorau hat blonde Haare, blonder als blond man es sich vorstellen kann. Allerdings hat er nicht viele davon. Die Tonsur hat sich bei ihm längst zum Flächenprinzip gemausert. Angesichts der drohenden Platte verfällt Dorau in althergebrachte und ebenso klägliche Täuschungsmanöver. Ich erinnere einen Sportlehrer, der ähnlich verfuhr. Der ließ sich den linksseitigen Haarkranz bis über die Schulter lang wachsen und kämte die dünnen Flusen dann einfach nach rechts über die Billiardkugel. Verstärkt durch mehrere Lagen Haarspray entwickelte er ein Schulsport taugliches Frisurenbrett. Und es bedurfte eines hardcorevolley am Netz geschlagenen Vorhand-Slices meines Freundes Sven, um das Brett abzulösen. Der Ball traf den Mann an der Schläfe, er ging wie ein Sack Reis zu Boden, das Brett stand für Sekunden im 90 Grad Winkel nach oben, ehe es über die Seite in einem Stück gen Boden sank, die glatte Birne entblössend.
Dorau hat dutzende, dünne, haarsprayverklebte, wahrscheinlich mit einem flachen Gesäßtaschenkamm absolut waagrecht auf dem Kopf von links nach rechts geordnete Strähnen, die seine Kahlheit bedecken. Es ist ein bannendes Schaupiel. Ich starre auf die kunstvolle Klebetechnik, will gerade beginnen, die exakte Strähnenzahl zu ermitteln, da hält der Zug. Erstmals bewegt sich Dorau, löst die angestrengte Parallelität seines Leibes und beugt den Oberkörper nach vorne. Er blickt gegen das S-Bahn-Fenster, das die Dunkelheit des Tunnels zum Spiegel gemacht hat. Mit der Hand stupst er die Haarpracht ein wenig links, ein wenig rechts des Scheitels und schließlich über der Tonsur, wie zur Versicherung der Standhaftigkeit. Er steht auf, lächelt sanft, wohl selbstzufrieden und geht seiner Wege wie ich die meinen.
Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich 'Fred' heute ganz gut leiden mag. Dass ich damals den Nagel weglegte, weil ich wußte, dass ich es eines Tages bereuen könnte. Mitten in diese Gedanken hinein machte mein Telefon piep.