Aporie
24.10.2001, 16:01
Ein Bekannter von mir (er heißt übrigens Tobler) hat ein Haus im Hinterland der Costa Brava. In selbiges flatterte vor zwei Jahren eine Einladung zum Osterfestbrunch im Ch‰teau von Richard von Radschlag-Harr (da ich vielleicht wieder mal dorthin will, ist der Name leicht verändert). Weil ich damals Ostern im Landhaus meines Bekannten verbrachte, durfte ich mitgehen.
Richard von Radschlag-Harr ist Altnazi und Künstler in der Nachfolge von Arno Braeker. Die Gäste an seinem alljährlich stattfindenden Osterbrunch, raunte Tobler mir zu, würden vornehmlich aus dem hier über Ostern weilenden deutschen Geldadel stammen. Durchsetzt mit tatterigen Fascho-Generälen aus der Franco-Zeit, fügte er hinzu. Aber nicht genug: Das Ch‰teau sei eigentlich kein Ch‰teau, sondern ein ehemaliges Pfarrhaus, das Richard von Radschlag-Harr unter Mithilfe illegal eingewanderter marokkanischer Arbeitssklaven zu einem bizarren Lustschlößchen ausgebaut habe. Eine monströse Miniatur von Schloß Schwanstein, was man sonst nur in den Disneylands dieser Welt antreffe. Die Fenster des im Bürgerkrieg verwüsteten Parterres seien zugemauert, eine angeklebte Freitreppe führe direkt ins Obergeschoß. Da sie nicht hochgezogen werden könne, würden falsche Wehrtürmchen in die unschuldige Landschaft drohen. Sie seien, wie mir mein Freund versicherte, mit Lautsprechern bestückt, aus denen bei Richard von Radschlag-Harrs Abwesenheit seine brüchige Stimme ab Tonband vor den im Laubwerk versteckten Selbstschussanlagen warne. Kurz: Dort hinzugehen bedeutete für mich, in jeder Hinsicht Feindesland zu betreten.
Richard von Radschlag-Harr stand auf der winzigen Plattform am Ende der Freitreppe, als wir das Gelände betraten. Er trug eine kanariengelbe Hose und einen weinroten Blazer mit Goldknöpfen. Als er meinen Freund entdeckte, stieg er in kleinen Trippelschrittchen die Freitreppe hinunter. Für einen alten Herrn recht rüstig, besonders wenn man bedenkt, dass das architekturgesetzliche Verhältnis Stufenhöhe -Absatz = 1:1,8 von Richard von Radschlag-Harr wegen Platzmangel oder aus Gründen eigener Knausrigkeit verkehrt umgesetzt worden ist. Die Treppe ist also so schwer begehbar wie die Stufen eines Inkatempels. Nur alles en miniature, so dass auf jeder Stufe gerade der Schuhabsatz Platz hat. Er schaffte den Abstieg jedoch, ohne vornüberzufallen, schüttelte meinem Freund und mir die Hand und machte sich sogleich wieder an den Aufstieg. Offenbar handelte es sich um eine rituelle Angelegenheit, denn er begrüßte auch die nach uns eintreffenden Gäste auf die gleiche Weise. Vielleicht wollte er auch nur seine Alertheit oder die leichte Begehbarkeit der fehlkonstruierten Treppe demonstrieren.
Ein Gang durch Richard von Radschlag-Harrs Ch‰teau gleicht der Fahrt durch eine Geisterbahn, nur dass man zu Fuß gehen muß. Um eine Besichtigung der Räumlichkeiten zu erleichtern, standen alle Türen offen. Auch die zum Schlafzimmer, in dem natürlich ein Bett mit Baldachin stand, das nach Auskunft meines Freundes samt Richard von Radschlag-Harr nebst Ehefrau eines Nachts durch den morschen Boden ins Parterre fiel. Jedenfalls baumelte als stummer Zeuge noch immer ein Gipsarm von der Decke. Um das Gestein nicht abbröckeln zu lassen, waren die meisten Wände mit einem billigen roten Samt locker bespannt. Davor standen neben Büsten von der Hand des Hausherrn größere und kleinere Partikulare von Kirchenaltaren, die nach den Erklärungen meines Bekannten von Richard von Radschlag-Harrs Beutezügen durch die sich leerenden Kirchen des postfaschistischen Spaniens stammen. Es gibt Menschen, die unabhängig von Zeitwenden immer Profiteure sind.
Die Hausbar war in einem Beichtstuhl untergebracht. Daneben hing ein mit R.v.R.H. signiertes Bild eines Fauns, der sich an einer Nymphe zu schaffen macht. Was einer gewisse Originalität das Wort sprechen mag. Aber der Rittersaal, in dem das Ganze stand, sah im übrigen aus wie man sich ein Mac Donalds aus dem 14. Jahrhundert vorstellt. Wegwerfarchitektur, wo immer man hinblickte.
Nach der Besichtigung begaben wir uns wieder ins Freie, wo mir sofort auffiel, dass die einzige wirklich hübsche Frau in einem Grüppchen stand, das sich um R.v.R.H. gebildet hatte. Sie hatte eine dieser riesigen Sonnenbrillen auf, die nicht nur die Krähenfüße, sondern die ganze obere Gesichtshälfte verdecken. Während Tobler eine Runde drehte, gesellte ich mich hinzu, was nicht weiter auffiel. Aber plötzlich zwinkerte R.v.R.H. in meine Richtung und zupfte an einem Stoffetzen neben ihm. Er gehörte zu einer abenteuerlich hergerichteten Mittvierzigerin, die offenbar ihre ganze Garderobe mit sich herumtrug. Mehrere sich überlagernde Textilien, darunter eine härene Tunika, ein weißes Männerhemd und eine violette Häkelstola. An einer um den Hals gelegten Kette baumelte Eßbares aus der näheren Umgebung: Knoblauch, gedörrte Zwetschgen und eine getrocknete rote Pfefferschote, wie sie manchmal am Rückspiegelhalter italienischer Taxis hängen. Sah jedenfalls aus wie ein Hundepenis im Erregungszustand. Darf ich Ihnen Herrn .... (er nannte einen x-beliebigen Namen, jedenfalls nicht meinen) vorstellen, sagte R.v.R.H. zu der Stoffinstallation. Viola, sagte die Mittvierzigerin und streckte ihre Hand aus. Als ich sie ergriff, tat sie so, als hätte ich sie zu mir herangezogen. Sie nahm sofort Tuchfühlung mit mir auf. Gleichzeitig öffnete sie den Mund zu einem völlig überzogenen Lächeln, das bereitwillig Einblick bis zu ihrem speicheligen Halszäpfchen bot. Ich war jetzt ihr Ansprechpartner. Schon im zweiten Satz erfuhr ich, dass sie Künstlerin ist. Ein weiter Begriff, den sie wohl verwendet hatte, um mich zum nachzufragen zu zwingen. Ich vermutete Töpferin, sagte aber: Malerin? Nein, Töpferin, sagte sie schlagfertig. Schliesslich erfuhr ich, dass sie neuerdings Gipsgüsse mache von Freunden und Dorfbewohnern, die sie dann aber mit Tonerde füllt, um Köpfe daraus zu formen. Zum Schluß malt sie das Ganze an. Mit surrealen Farben, fügte sie hinzu. Ich warf ihr einen verständnisinnigen Blick zu, obwohl etwas in mir aufschrie. Sie musterte mich aus sehr blauen Augen. Sie haben einen interessanten Kopf, sagte sie dann. Ich bekam sofort ein Guillotine-Gefühl und lockerte meinen Kragen. Aber wahrscheinlich war das einfach ihre Art, Männer anzubaggern. Ich lächelte zerstreut und lenkte meinen Blick auf die Schöne neben R.v.R.H. , das heißt, genau gesagt auf ihre Marzipanbrüste, die aus dem Ausschnitt lugten. Wäre ich jetzt Töpfer, ließe sich mit ihr vielleicht über einen Gipsabguss reden, kam es mir hoch. Aber in diesem Augenblick löste sich das Objekt meiner Begierden aus der Gruppe. Ich warf einen entschuldigenden Blick auf mein leeres Glas und entfernte mich gleichfalls. Die Schöne hatte offensichtlich das gleiche Ziel. Sie machte die paar Schritte zum Getränkebuffet, als wäre R.v.R.Hâs Magerwiese ein Pariser Laufsteg. Ich folgte ihren wiegenden Hüften. Die Gläser waren bereits mit Getränken unterschiedlicher Farbe gefüllt. Durch die dunkle Sonnenbrille sah wahrscheinlich alles aus wie kalter Kaffee. Die Schöne schob also ihren riesigen Blendschutz ins Blondhaar. Dann griff ihre zierliche Hand nach einem Glas Sangria. Ich stand mittlerweile so nah neben ihr, dass sich unsere Blicke zwangsläufig trafen. Das heißt: der ihre sah einfach durch mich hindurch, obwohl ich den meinen mit einem zusätzlichen Lächeln verzierte. Das war der Tag, an dem ich bei Claudia Schiffer abblitzte. Sie hat übrigens wirklich Krähenfüße.
(Die Geschichte ist zu lang, ich weiss. Aber ich werde sie später redigieren.)
(Beitrag wurde von Aporie am 24.10.2001 um 15:07 Uhr bearbeitet.)
Richard von Radschlag-Harr ist Altnazi und Künstler in der Nachfolge von Arno Braeker. Die Gäste an seinem alljährlich stattfindenden Osterbrunch, raunte Tobler mir zu, würden vornehmlich aus dem hier über Ostern weilenden deutschen Geldadel stammen. Durchsetzt mit tatterigen Fascho-Generälen aus der Franco-Zeit, fügte er hinzu. Aber nicht genug: Das Ch‰teau sei eigentlich kein Ch‰teau, sondern ein ehemaliges Pfarrhaus, das Richard von Radschlag-Harr unter Mithilfe illegal eingewanderter marokkanischer Arbeitssklaven zu einem bizarren Lustschlößchen ausgebaut habe. Eine monströse Miniatur von Schloß Schwanstein, was man sonst nur in den Disneylands dieser Welt antreffe. Die Fenster des im Bürgerkrieg verwüsteten Parterres seien zugemauert, eine angeklebte Freitreppe führe direkt ins Obergeschoß. Da sie nicht hochgezogen werden könne, würden falsche Wehrtürmchen in die unschuldige Landschaft drohen. Sie seien, wie mir mein Freund versicherte, mit Lautsprechern bestückt, aus denen bei Richard von Radschlag-Harrs Abwesenheit seine brüchige Stimme ab Tonband vor den im Laubwerk versteckten Selbstschussanlagen warne. Kurz: Dort hinzugehen bedeutete für mich, in jeder Hinsicht Feindesland zu betreten.
Richard von Radschlag-Harr stand auf der winzigen Plattform am Ende der Freitreppe, als wir das Gelände betraten. Er trug eine kanariengelbe Hose und einen weinroten Blazer mit Goldknöpfen. Als er meinen Freund entdeckte, stieg er in kleinen Trippelschrittchen die Freitreppe hinunter. Für einen alten Herrn recht rüstig, besonders wenn man bedenkt, dass das architekturgesetzliche Verhältnis Stufenhöhe -Absatz = 1:1,8 von Richard von Radschlag-Harr wegen Platzmangel oder aus Gründen eigener Knausrigkeit verkehrt umgesetzt worden ist. Die Treppe ist also so schwer begehbar wie die Stufen eines Inkatempels. Nur alles en miniature, so dass auf jeder Stufe gerade der Schuhabsatz Platz hat. Er schaffte den Abstieg jedoch, ohne vornüberzufallen, schüttelte meinem Freund und mir die Hand und machte sich sogleich wieder an den Aufstieg. Offenbar handelte es sich um eine rituelle Angelegenheit, denn er begrüßte auch die nach uns eintreffenden Gäste auf die gleiche Weise. Vielleicht wollte er auch nur seine Alertheit oder die leichte Begehbarkeit der fehlkonstruierten Treppe demonstrieren.
Ein Gang durch Richard von Radschlag-Harrs Ch‰teau gleicht der Fahrt durch eine Geisterbahn, nur dass man zu Fuß gehen muß. Um eine Besichtigung der Räumlichkeiten zu erleichtern, standen alle Türen offen. Auch die zum Schlafzimmer, in dem natürlich ein Bett mit Baldachin stand, das nach Auskunft meines Freundes samt Richard von Radschlag-Harr nebst Ehefrau eines Nachts durch den morschen Boden ins Parterre fiel. Jedenfalls baumelte als stummer Zeuge noch immer ein Gipsarm von der Decke. Um das Gestein nicht abbröckeln zu lassen, waren die meisten Wände mit einem billigen roten Samt locker bespannt. Davor standen neben Büsten von der Hand des Hausherrn größere und kleinere Partikulare von Kirchenaltaren, die nach den Erklärungen meines Bekannten von Richard von Radschlag-Harrs Beutezügen durch die sich leerenden Kirchen des postfaschistischen Spaniens stammen. Es gibt Menschen, die unabhängig von Zeitwenden immer Profiteure sind.
Die Hausbar war in einem Beichtstuhl untergebracht. Daneben hing ein mit R.v.R.H. signiertes Bild eines Fauns, der sich an einer Nymphe zu schaffen macht. Was einer gewisse Originalität das Wort sprechen mag. Aber der Rittersaal, in dem das Ganze stand, sah im übrigen aus wie man sich ein Mac Donalds aus dem 14. Jahrhundert vorstellt. Wegwerfarchitektur, wo immer man hinblickte.
Nach der Besichtigung begaben wir uns wieder ins Freie, wo mir sofort auffiel, dass die einzige wirklich hübsche Frau in einem Grüppchen stand, das sich um R.v.R.H. gebildet hatte. Sie hatte eine dieser riesigen Sonnenbrillen auf, die nicht nur die Krähenfüße, sondern die ganze obere Gesichtshälfte verdecken. Während Tobler eine Runde drehte, gesellte ich mich hinzu, was nicht weiter auffiel. Aber plötzlich zwinkerte R.v.R.H. in meine Richtung und zupfte an einem Stoffetzen neben ihm. Er gehörte zu einer abenteuerlich hergerichteten Mittvierzigerin, die offenbar ihre ganze Garderobe mit sich herumtrug. Mehrere sich überlagernde Textilien, darunter eine härene Tunika, ein weißes Männerhemd und eine violette Häkelstola. An einer um den Hals gelegten Kette baumelte Eßbares aus der näheren Umgebung: Knoblauch, gedörrte Zwetschgen und eine getrocknete rote Pfefferschote, wie sie manchmal am Rückspiegelhalter italienischer Taxis hängen. Sah jedenfalls aus wie ein Hundepenis im Erregungszustand. Darf ich Ihnen Herrn .... (er nannte einen x-beliebigen Namen, jedenfalls nicht meinen) vorstellen, sagte R.v.R.H. zu der Stoffinstallation. Viola, sagte die Mittvierzigerin und streckte ihre Hand aus. Als ich sie ergriff, tat sie so, als hätte ich sie zu mir herangezogen. Sie nahm sofort Tuchfühlung mit mir auf. Gleichzeitig öffnete sie den Mund zu einem völlig überzogenen Lächeln, das bereitwillig Einblick bis zu ihrem speicheligen Halszäpfchen bot. Ich war jetzt ihr Ansprechpartner. Schon im zweiten Satz erfuhr ich, dass sie Künstlerin ist. Ein weiter Begriff, den sie wohl verwendet hatte, um mich zum nachzufragen zu zwingen. Ich vermutete Töpferin, sagte aber: Malerin? Nein, Töpferin, sagte sie schlagfertig. Schliesslich erfuhr ich, dass sie neuerdings Gipsgüsse mache von Freunden und Dorfbewohnern, die sie dann aber mit Tonerde füllt, um Köpfe daraus zu formen. Zum Schluß malt sie das Ganze an. Mit surrealen Farben, fügte sie hinzu. Ich warf ihr einen verständnisinnigen Blick zu, obwohl etwas in mir aufschrie. Sie musterte mich aus sehr blauen Augen. Sie haben einen interessanten Kopf, sagte sie dann. Ich bekam sofort ein Guillotine-Gefühl und lockerte meinen Kragen. Aber wahrscheinlich war das einfach ihre Art, Männer anzubaggern. Ich lächelte zerstreut und lenkte meinen Blick auf die Schöne neben R.v.R.H. , das heißt, genau gesagt auf ihre Marzipanbrüste, die aus dem Ausschnitt lugten. Wäre ich jetzt Töpfer, ließe sich mit ihr vielleicht über einen Gipsabguss reden, kam es mir hoch. Aber in diesem Augenblick löste sich das Objekt meiner Begierden aus der Gruppe. Ich warf einen entschuldigenden Blick auf mein leeres Glas und entfernte mich gleichfalls. Die Schöne hatte offensichtlich das gleiche Ziel. Sie machte die paar Schritte zum Getränkebuffet, als wäre R.v.R.Hâs Magerwiese ein Pariser Laufsteg. Ich folgte ihren wiegenden Hüften. Die Gläser waren bereits mit Getränken unterschiedlicher Farbe gefüllt. Durch die dunkle Sonnenbrille sah wahrscheinlich alles aus wie kalter Kaffee. Die Schöne schob also ihren riesigen Blendschutz ins Blondhaar. Dann griff ihre zierliche Hand nach einem Glas Sangria. Ich stand mittlerweile so nah neben ihr, dass sich unsere Blicke zwangsläufig trafen. Das heißt: der ihre sah einfach durch mich hindurch, obwohl ich den meinen mit einem zusätzlichen Lächeln verzierte. Das war der Tag, an dem ich bei Claudia Schiffer abblitzte. Sie hat übrigens wirklich Krähenfüße.
(Die Geschichte ist zu lang, ich weiss. Aber ich werde sie später redigieren.)
(Beitrag wurde von Aporie am 24.10.2001 um 15:07 Uhr bearbeitet.)