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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Charell, Marlene und ihr Mann (Der Patient)



yellowshark
23.10.2001, 15:51
Der Patient


Zum ersten Mal sah ich ihn, als die Proben für eine Zirkusgala begannen, die in der Dortmunder Westfalen-Halle mit Marlene Charell als Moderatorin für das Fernsehen aufgezeichnet werden sollte.
Ich hatte für ein paar Tage einen Job als Kamerahilfe und wunderte mich über den älteren, weißhaarigen Mann, der offensichtlich keine Aufgabe hatte und, in grellbunte Ballonseide und neueste, weiße Turnschuhe gekleidet, mich an einen der rekonvaleszenten Freigänger erinnerte, die oft in der Umgebung von Krankenhäusern und Reha-Kliniken zu sehen sind und mich denken lassen, "Ach, Gott, wie lächerlich das aussieht, warum sagen denn die Angehörigen nichts", obwohl es überheblich klingt und mein Gewissen es verbietet.
Er schien. wie ich, die Nähe Frau Charells zu suchen und raschelte ständig um uns herum.
Als die Proben abends beendet waren, sah ich ihn beim Hinausgehen allein auf dem Rand der Manege sitzen, er sah verloren aus, sicherlich war er erschöpft.
Ich teilte meine Beobachtung zwei Sanitätern mit: Ob man sich nicht vielleicht kümmern solle? Sie waren den ganzen Tag lang nicht beansprucht worden und willigten freudig ein.
Bevor ich die Halle endgültig verließ, schaute ich mich noch einmal um und sah, wie ihm die Sanitäter von beiden Seiten mit aufmunternd-unterstützender Geste einen Arm anboten, hatte aber den Eindruck, dass er unwillig und mürrisch, ja sogar störrisch reagierte.
Etwas später erzählte man mir, dass er Marlene Charells Ehemann war und kaum Deutsch sprach.
Am nächsten Tag tauchte er wieder auf und warf mir giftige Blicke zu, ich schaute aber immer ganz freundlich zurück.
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ys
(Beitrag wurde von yellowshark am 23.10.2001 um 14:54 Uhr bearbeitet.)

U_Sterblich
23.10.2001, 15:58
Und was war deine Rolle im Zirkus? Die Haifischnummer? Jedenfalls hat die Geschichte wieder echte Yellowshark-Qualitäten, wer es nicht glauben mag, soll sie ruhig mal lesen.
Außerdem verlas ich mich bei 'er saß am Manegenrand' und las stattdessen 'Manegenrad', deshalb sah ich ihn auf einem Einrad einsam im Kreis fahren und dachte an den traurigen Dreschebären.
(Beitrag wurde von U_Sterblich am 23.10.2001 um 15:00 Uhr bearbeitet.)

nu del wolga
23.10.2001, 17:12
Ein kleines Meisterwerk. Atmosphärisch und unaufgeregt humorvoll.
Sehr fein.

Walter Schmidtchen
23.10.2001, 17:43
Komisch, ich hab auch Rad gelesen, liegt wohl an dem Zirkus.
Yss Geschichten sind immer wie kleine Filme, mit diesen Filmchen war ich immer sehr zufrieden
(ausser dem mit Roland Kaisers Gemahlin)

Walter Schmidtchen
23.10.2001, 17:45
Guter Tag übrigens heute: Capt, Basti, ys.

Aporie
23.10.2001, 17:48
Gute Geschichte. Schön erzählt.

Tigerin
09.03.2002, 14:04
Auch heute noch gerne (wieder)gelesen. Einfach schön.