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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Prey, Hermann 1980



lokalmatador
15.10.2001, 12:34
Mein kleiner Auftritt auf dieser sonnigen Hochebene im WWW erfolgt mithilfe eines geliehenen Juwels. Ich fand es im Nachlass meiner Mutter, zwischen Urlaubsfotos, und es scheint mir fast vollkommen der Idee vom höflichen Paparazzo zu entsprechen. Die Begegung fand am Mittwoch, den 27.8.1980 statt, an einem magisch schönen Ort, dem Stift Ossiach am Ossiacher See in Kärtnten, und zwar während des so genannten Carinthischen Sommers.
Ich übergebe also das Wort meiner Mutter und ändere oder kommentiere nichts, so wie es sich gehört:
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Beim Haupteingang der Stiftskirche ist mit hohen Scheinwerfern alles überhell erleuchtet.
Eine Fernsehkamera nimmt den Einzug der Konzertbesucher auf. Als das dem Ende zugeht treten wir durch die Seitenpforte des Friedhofes wieder in den Außenhof des Stiftes, wo reges Leben herrscht. Sendewagen des Österreichischen Fernsehens und viele bunte Wagen des Schweizerischen Fersehens. In einem davon sehen wir später den Mitschnitt des Konzertes in der Kirche. Ebenso können wir das ganze Konzert hören, da in einem offenen Wagen der Ton aufgenommen und ausgesteuert wird. (Es sollen vier Kameras und und einige Mikrofone zugleich aufnehmen, sagt Ch.)
Wir fragen die jungen Österreicher, wo H. Prey reingeht, bzw. rauskommt, wie lange es dauern wird usw.. Dann holen wir uns eine Bank von der Reitkoppel, stellen sie direkt vor die Aufnahmewagen und zugleich den Seiteneingang der Kirche. Da wir erhöht sitzen überblicken wir alles gut.
Die einzelnen Musiker des London Symphony Orchesters sehen wir kommen. Claudio Abbado leitet das Konzert. Dann sehen wir H.Prey oben in einem erleuchteten Fenster, er singt einige Töne, dann beginnt das Bachkonzert, er singt die Kantate ³Ich habe genugã.
In der Pause sehen wir ihn durch die offene Tür im Vorraum plaudern, und als schon fast alle herausgetretenen Musiker wieder in der Kirche sind, tritt er allein nochmals heraus. Es ist ein sternenklarer Sommerabend, der Mond kommt bald, wir gehen auf der Pferdekoppel spazieren und hören weiter von H. Prey ³Ich will den Kreuzstab gerne tragenã, BWV 56. Danach, und nach langem Applaus, folgt noch ein Brandenburgisches Konzert - doch das hören wir nicht mehr ganz.
Nachdem er beendet hat, tritt er oder besser stürmt er aus dem Seitenausgang, fast stößt er mit mir zusammen (ich war jetzt unten auf dem Weg vor den Sendewagen spazierengegangen, weil die Wiese oben so feucht an die Füße war). Er spricht zu einem Herren, der drei Meter entfernt steht: ³Das haben wir ganz gut hingekriegt, nur einmal warâs bißchen verrutscht, das haben sie doch gehört? Ach, ich wollte ja der Maskenbildnerin noch was gebenã, und zu seiner Frau gewandt, die dazu getreten war: ³Machst du das mal bitte?ã Der Herr sagt sofort: ³Das machen wir, lassen Sie, das machen wir.ã
Günter und ich sind fast die einzigen, die solange vor der Kirche blieben. Nun geht H. Prey an uns vorbei und sagt: ³Der Mond kommt über den Berg für die Verliebten.ã Vorn am Torbogen steht sein Citroen, da zieht er Frack und Frackhemd aus, steht mit nacktem Oberkörper und sagt: ³Jetzt möchte ich baden gehen!ã Dann streift er einen Pullover über, seine Frau nimmt einen weißen Beutel nach vorn ins Auto. Er setzt sich ans Steuer und fährt mit offenem Fenster ganz langsam an uns vorbei. Wir winken, wünschen gute Fahrt, ³es war wunderschön,ã sage ich noch. Er nickt aus dem Fenster und sagt: ³Auf Wiedersehenã, dann sucht er sich mühsam den Weg durch die parkenden Autos. (STA-HP 55)
Wir sind fast sprachlos, als er weg ist und der Mond scheint auf die herrlichen Höfe und Anlagen des Stiftes, aus der Kirche hören wir noch, jetzt von Ferne, das Brandenburgische Konzert.
Ein Abend in Ossiach - wir gehen noch ins Stiftshotel etwas trinken (ich Kamillentee), Prof. Stingl, der Pastor läuft ein paar mal hin und her, für heute ist alles irgendwie anders. Die Fähre nach Bodensdorf bringt die letzten Konzertbesucher nach drüben, lange sieht man die Lichter über dem dunklen See.
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(Beitrag wurde von lokalmatador am 15.10.2001 um 12:30 Uhr bearbeitet.)

Edding Kaiser
16.10.2001, 01:14
Draussen ist so ein schöner Herbsttag. Ich denke, ich werde meine Mutter mal wieder anrufen, 'Hallo, Mutter, hier ist Dein Junge' sagen und dann wird sie Lachen und wir gucken - jeder in seiner Stadt - in das Herbstlaub während wir uns unterhalten. Wir sind nämlich ziemliche Kitschnudeln, Mutter und ich.
Ich finde die Geschichte schön und weiss nicht so recht, warum sie mich traurig macht.

Easy line
16.10.2001, 01:20
Die Trauer kommt durch den Gedanken an die Mutter. Ich rufe die meine gleich an. (wählt)Ach, geht ja nicht, sie ist gerade auf Rhodos! Schade, aber toll. Karlo Tobler, vielleicht erreichen Sie wenigstens die Ihre? Oder Lokalmatador. Rufen Sie bitte alle Ihre Mütter an. Bei mir geht es gerade nicht. Danke.

Zeppo
16.10.2001, 01:52
Soll ich meine liebe Mutter anrufen? Und mir erzählen lassen wie es damals war - bei den Hauskonzerten mit der Pianistin Elli Nay oder Ney oder Nai? Nein, ich möchte das doch lieber nicht hören. Hat denn diese Dame nicht auch für Nazimenschen geklimpert? Ich frag ja nur ...

Doctor Subtilis
16.10.2001, 01:52
Elli Ney, ja genau! Ich sollte meine Großmutter anrufen. Da gab es eine Geschichte mit Zwiebeln!

Angelika Maisch
16.10.2001, 01:52
Als zwei Mütter bin ich faktisch gezwungen hier was herzuschreiben. Ich habe genug?
Nicht von dieser anrührenden Geschichte.
Jetzt geht und ruft eure Mütter und Großmütter und Leihmütter an.

Ignaz Wrobel
16.10.2001, 01:52
Meine Mutter hat in ihrer Jugend Hitler zugewinkt und dann irgendwann in den 70ern von Horst Tappert auf einem Hotelflur Komplimente bekommen. Ansonsten hat sie sich immer nur für die Zähne von Prominenten interessiert, ich kenne niemanden, der so gut falsche von echten Zähnen, bzw. von gut gemachten falschen Zähnen unterscheiden kann. Das ist bei ihr der das entscheidende Kriterium, ob jemand wirkliche Größe hat oder nicht. Mütter. Man sollte sie öfter anrufen.
(Beitrag wurde von Ignaz Wrobel am 15.10.2001 um 14:15 Uhr bearbeitet.)

Goodwill
16.10.2001, 01:52
Bei dieser Geschichte aus dem Nachlass der Mutter bleiben doch einige Fragen offen:
Stammt sie aus einem ererbten Tagebuch?
Was ist ein Carinthischer Sommer?
Egal, ob diese Fragen jemals beantwortet werden: Mich macht die Begegnung mit Prey ganz melancholisch. Ein Bericht aus dem Herbst des Lebens.

Frau H aus B
16.10.2001, 01:52
Ja, aber aus dem goldenen Herbst. Wunderschön.

Ruebenkraut
16.10.2001, 01:52
Ich lese gerade meinem Kinde 'Das fliegende Klassenzimmer' als Gutenachtgeschichte vor. Der Stil erinnert ein wenig an die Geschichte hier.
(Hatte ganz vergessen, dass Kästner so eine leicht rührselig-romantische Ader hat, an einigen Stellen kommen einem echt die Tränen)

Die Wucht
16.10.2001, 01:52
Du schickst Dein Kind um viertel vor drei ins Bett, Rübe, nachmittags?
Warum muss ich jetzt nur an Prof. Prügelpeitsch von Otto Waalkes denken?

Edding Kaiser
16.10.2001, 01:52
Rübe: An der Stelle, wo der Justus im Park spazierengeht und die Spuren von Martin im Schnee findet und ihm dann die 20 Mark... Ogott, jetzt muss ich schon beim Gedanken daran... Und wie Martin dann nach Hause kommt und die Mutter... Schluck. Ich glaub, ich geh jetzt raus aus dem Büro, runter zum See und stöber mit den Füssen durchs Laub. Hach, wie wird mir.

Ruebenkraut
16.10.2001, 01:52
@Die Wucht, besserwissern kann ich auch: Ich benutzte 'gerade' in der Bedeutung, dass Teile dieses Buches 'zur Zeit' allabendlich zum Vortrag kommen. Schließlich kann man es nicht an einem Abend vorlesen (trockener Mund und 'gähn'). Ich bin aber sicher, Du hattest verstanden und wolltest nur Deinen Postingzähler um einen Schritt erhöhen, isses nich so, Wucht?
@Tobler: Genau! Schnief!
(Beitrag wurde von Ruebenkraut am 15.10.2001 um 17:00 Uhr bearbeitet.)

Ignaz Wrobel
16.10.2001, 01:52
Ist das diese Schmonzette, die mal in den 70er oder so (jedenfalls schon in Farbe) mit Joachim Fuchsberger als kumpelhaftem Pauker verfilmt wurde? Und sein Schulfreund (auch so ein üblicher Verdächtiger der Zeit) haust als unerkannter Lebenskünstler und bester Freund der Jungen (es gab in dem Film, glaube ich, nur Jungen, oder?) in einem Eisenbahnwaggon? Was unterschied eigentlich die 70er von den 50ern in Deutschland? Außer den Miniröcken, aber die kamen da glaube ich, nicht vor.

Ullysses
16.10.2001, 01:52
richtig, bester Wrobel, dieses Schmonzette als Film war wirklich traurig. Dieser Fuchsbergerfreund tauchte übrigens auch als Bösewicht in diesen 'DUDU' Filmen auf - auch mit Fuchsberger. Und später in diversen Tatorten, mittlweile muß er wohl an Alkohol gestorben sein. Zumindest sah er immer so aus.
Aber die Verfilmung der fünfziger Jahre vom Klassenzimmer ist schön! Das muss hier mal gesagt werden.

Die Wucht
16.10.2001, 01:52
Nein, den Schauspieler, dessen Namen auch ich nicht kenne, habe ich erst letztens (vor ca. 2 Monaten) bei 3 nach 9 gesehen. Er hat mit Patricia Kaas einen elsässischen Pfannkuchen gebacken, Schnaps getrunken und geraucht. Er hat schließlich noch für das Rauchen in der Öffentlichkeit plädiert.
Egal. Wie dem auch sei: Der Mann lebt.
Rüben-Schätzchen, sei doch nicht gleich so empfindlich. Du bist bestimmt ein ganz lieber, süßer Papi, der von anderen Frauen begierig gemustert wird, wenn er mit seinem Kind unterwegs ist.

Ullysses
16.10.2001, 01:52
Das ist schön, dass er lebt und auch dass er für das Rauchen in der Öffentlichkeit eingetreten ist!

cosmokramer
16.10.2001, 01:52
Der Mann heißt Heinz Reincke (Im Film 'Nichtraucher', bzw. 'Dr. Uthofft'), wurde im Mai 76 und erfreut sich meines Wissens bester Gesundheit.

naja
16.10.2001, 01:52
Wrobel, wofür hat Ihre werte Frau Mutter von Tappert auf dem Flur Komplimente gemacht bekommen? Doch nicht fürs Winken 40 Jahre zuvor, oder? Und was ist mit Tapperts Zähnen?

lokalmatador
16.10.2001, 01:52
Ach. Ich hatte mir solche Sorgen gemacht ...
Erst mal @ Goodwill:
- Die Geschichte steht auf einem tagebuchartigen Zettelbündel, das an der entsprechenden Stelle ins Familienfotoalbum - ein mit braunem, kleingeblümten Stoff bezogener Aktenordner - eingelegt war. (Natürlich gibt es keine Fotos von der Begegnug, dafür zahllose vom Ort derselben.)
- Der Carinthische Sommer ist ein jährlich stattfindendes Festival, dem gewidmet, was man heute E-Musik nennt. Das reizvolle daran ist, dass Künstler, die normalerweise nur in großen Hallen und mit agenturgeschliffenen Programmen zu hören sind hier in einem eher übersichtlichen Rahmen und mit originell handgeschnitztem Programm auftreten können. Jedenfalls war das damals so. Näheres unter (aha!) http://www.carinthischersommer.at
Ich war übrigens während dieses Abends im Bett und las, was ich wenige Tage vorher zum 13. Geburtstag bekommen hatte. (TML - ich weiß nicht, was. 'Cajus ist ein Dummkopf ' von H. Winterfeld vielleicht?)
'Das Fliegende Klassenzimmer' war es nicht. Das wurde erst vier Monate später mein Lieblingsbuch.



(Beitrag wurde von lokalmatador am 15.10.2001 um 19:28 Uhr bearbeitet.)