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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gore, Martin



Second
11.10.2001, 10:48
Es wird etwa Mitte 1984 gewesen sein. Ein Freund schlug vor, mal ein langes Wochenende in Berlin zu verbringen. Städte besichtigen gehörte damals noch nicht so sehr zu meinen Interessen, aber Berlin, klar, würde sicherlich auch gute Kneipen haben. Und vielleicht würden wir ja auch mal in den Ostteil der Stadt wechseln.
Die Fahrt in einer offenen 2 CV war dann schon ganz witzig, allerdings hatten wir ein wenig Sorge, ob die garstigen Grenzer an der Transitautobahn unsere Punk-Kasetten filzen würden (waren das wirklich nur Gerüchte?). Auf die Mitnahme einer Spex verzichteten wir aus dem gleichen Grund.
Wir hatten tatsächlich ein paar schöne Tage in der Stadt, wenn auch der Eindruck der Mauer in der Realität ein überraschend deprimierender war.
Letzter Tag: U-Bahnhof Friedrichstrasse. Ich erinnere, dass es dort unten mehrere Warteschlangen gab, welche in kleinen Holzverschlägen endeten. Die Leute gingen einzeln hinein, kamen aber nicht wieder raus.
Etwa 5 Meter vor und eine Reihe rechts von uns fiel mir eine voluminöse, blondgefärbte Lockenmähne auf. Der Typ war ganz in schwarz gekleidet, ich meine mich an spitze Schuhe und einen Nietengürtel zu erinnern.
Obwohl ich Depeche Mode damals komplett Scheisse fand, erkannte ich Martin Gore. Das war mein erster leibhaftiger Prominenter und daher fiel meine Reaktion nicht ganz so locker aus. Ich glaube wir machten zunächst mal blöde Witze und benahmen uns einigermassen dämlich: Absolutes Desinteresse vortäuschen aber immer mal wieder kurz aus den Augenwinkeln hinblinzeln, dabei ja vorsichtig sein, dass sich die Blicke nicht treffen. Dazu hätte sich MG allerdings auch mal ganz umdrehen müssen, was er nicht tat.
Irgendwann war MG dann an der Reihe und betrat den Holzverschlag... und kam nach weniger als 60 Sekunden (jetzt würde ich gerne 'rückwärts' sagen, aber so war es denn nun doch nicht!) wieder raus. Vermutlich hatten auch die Grenzer ihn erkannt und entschieden, dass sie heute mal keine Pop-Stars reinlassen. Das seine Papiere einfach nicht in Ordnung waren, wäre uns zu banal gewesen. Für uns damals insgeheim natürlich ein Grund zur Schadenfreude, sorry Martin.
Leider kann ich nicht mehr sagen wie sein Gesichtsausdruck war, als er an uns vorbei ging. Wir jedenfalls wurden rein gelassen.
Der Ostteil war dann ungemein deprimierend.
Eigentlich wollte ich noch das Käsefrühstück im schwarzen Café loben, aber jetzt ist es eh zu spät.

Lotta Krach
11.10.2001, 11:26
Mir gefällt, daß die Warteschlangen in kleinen Holverschlägen endeten.
Wirklich.

Goodwill
11.10.2001, 14:43
Ich wage mal die These, dass Martin Gore wegen seines englischen Passes Probleme bei der Einreise über die Friedrichstraße hatte. Die Briten hatten doch einen eigenen Grenzübergang bzw. Checkpoint, wenn ich nicht irre. Irre ich? Jedenfalls ist dieser Text der erste Beleg für Ost-Tristesse und Mauer in diesem Forum. Es heißt ja, Prominente bekämen immer einen Platz im Restaurant. Toll. Aber in den Osten fahren war offensichtlich schwieriger. Seit es die DDR nicht mehr gibt, gibt es also auch keinen Grund mehr, nicht prominent zu werden.

das L
11.10.2001, 15:02
Vielleichr reichte es nicht aus, nur prominent zu sein, man mußte schon ein bischen mehr zeigen können.
Jetzt was für die Allgemeinbildung, Goodwill:
Checkpoint Charlie war die Grenze zwischen amerikanischem und russi...äh...sowjetischem Sektor. Friedrichstraße war aber im allgemeinen der Ausländergrenzübergang.
Vielleicht hat Herr Gore ja auch nur eine Autogrammkarte beim Grenzer vorgelegt und diese taube Grenznuß dachte im breitesten sächsisch: 'Dos is jo ä främlendisches Raisedokumend, där Gabbidalist gommt hier ni rain!'

Frau H aus B
11.10.2001, 15:13
Pappenkontrolle, ich würde gerne mal Ihre Papiere sehen.

Ruebenkraut
11.10.2001, 15:56
Goodwill, hier mehr davon:
http://www.alles-bonanza.net/forum/showthread.php?s=&threadid=1268
und http://www.alles-bonanza.net/forum/showthread.php?s=&threadid=1273
(Beitrag wurde von Ruebenkraut am 11.10.2001 um 14:56 Uhr bearbeitet.)

Ullysses
11.10.2001, 19:16
@ das L, seit wann reden Berliner Grenzer sächsisch?

das L
11.10.2001, 19:32
Ich glaube, in Ostberlin waren 60% der Bevölkerung zugereiste Sachsen

Ullysses
11.10.2001, 19:46
Glauben mag etwas anderes sein, als Wissen

Goodwill
11.10.2001, 20:01
Danke, Ruebenkraut, für den Service der Verlinkung und die schönen Texte, die sich dahinter auftun.
Herrschaften, wer nach Seconds Beschreibung wieder einmal etwas Lust auf deutsch-deutschen Grusel mit Absurditätsfaktor 7 hat, dem lege ich die Links ans Herz.