chuck
08.10.2001, 23:16
Großem, ja grandiosem Scheitern geht oft ein Gefühl der Allmacht voraus - man spürt eine berauschende Unanfechtbarkeit und Leichtigkeit, schmeckt dem Ganzen aber im selben Moment schon die Vorahnung der Niederlage ab. Was man meist erst in der Rückbetrachtung so richtig merkt.
Aber kommen wir zur Geschichte, die ich hier ausschweifend erzählen will. Vor ein paar Jahren, irgendwann Mitte der 90er, verbrachte ich mit meiner damaligen Lebensteilhaberin eher spontan ein paar Tage auf Mallorca, was sich als Freizeitbeschäftigung anbot, denn die damalige Lebensteilhaberin arbeitete bei einer Fluglinie und wir bezahlten für die Tickets nicht mehr als für ein Schönes-Wochenende-Billet.
Wer Mallorca bereist, setzt sich sogleich einer hohen Prominentensichtungswahrscheinlichkeit aus, schließlich wird die Insel im Dutzend von Schiffers, Beckers, Wellenbrinks, Elstners und Douglas' bewohnt, die allesamt irgendwann auswärts essen, spazieren gehen oder Schuhe kaufen und dabei auf Volk treffen. Das Bewusstsein dieser Prominentenkonzentration war indes nicht annähernd in der Lage, mich auf das vorzubereiten, was ich an diesem Freitag erleben sollte.
Die damalige Lebensteilhaberin und ich hatten beschlossen, abends in Valdemossa zu essen; wir kennen dort ein schlichtes, hübsches Restaurant an einer Ausfallstraße am Berg mit einer ganz exquisiten Aussicht.
Während sich die Vorfreude auf fette, schwarz geschmorte Blutwurst einzunisten begann, bemerkten wir ein erstes Anzeichen darauf, dass dieser Abend nicht ganz so wie vermutet verlaufen würde: Auf der Serpentinenstraße von Palma nach Valdemossa fuhren wir alle fünfzig Meter an einem Polizisten der Guardia Civil vorbei, der wie ein Komparse einer spanischen Adaption von Mad Max gekleidet und mit einem Automatikgewehr behängt war und sein Honda-Crossmotorrad mit nervösen Gasstößen bei Laune hielt. Das, so beschlossen wir, ohne es auszusprechen, sei vermutlich eine Übung und kein Grund zur Sorge.
Als wir jedoch den kleinen Feldweg gefunden hatten, der zum Restaurant führt, stand dort ein Mensch, den wir beim besten Willen nicht mehr unbestaunt zur Kenntnis nehmen konnten: Ein sehr großer, muskulöser Afro-Amerikaner mit einem ausgesprochen gut sitzenden schwarzen Anzug, weißem Hemd, dezenter Krawatte und mit einem wachen, intelligenten Gesicht. Und: Mit einem Knopf im Ohr. Einem Knopf im Ohr! Er sagte: "This road is closed". Das, fanden wir, war ja nun wie in einem schlechten Film. Wurde hier der Präsident der Vereinigten Staaten erwartet oder was? "So the restaurant is closed, too?" fragte ich. Der Beamte fasste sich mit der linken Hand an den Knopf im Ohr, der wahrscheinlich gerade "ten minutes to go" oder "we have code green" oder so was sagte und nickte.
Während wir uns über das klischeehafte Äußere von Leibwächtern und CIA-Beamten und das vermutlich kurz bevorstehende Eintreffen des amerikanischen Präsidenten unterhielten, traf der amerikanische Präsident ein. Bill Clinton und seine Gattin wurden begleitet von ihren Gastgebern, dem spanischen König Juan Carlos und dessen Gattin. Das ganze Eintreffen dauerte zehn Minuten und umfasste eine Kolonne mit allem drum und dran: Motorradfahrer, Vorauslimousinen, ein schwarzer Van mit Elektronik, deren Technologie auf der Auswertung abgestürzter Ufos basierte, ein Cadillac mit den Clintons, ein Mercedes mit dem Königspaar, Nachhut-Limousinen, Motorräder. Wie ich erst später erfuhr, war das ganze ein vollkommen privater Besuch der Clintons bei ihren königlichen Freunden in Spanien - gut essen, ein Ausflug mit der königlichen Yacht, eine Partie Golf und so weiter. An diesem späten Nachmittag: Besichtigung der Kartause von Valdemossa, in der Frédéric Chopin und George Sand einen nasskalten Winter verbracht haben (und in der es nicht allzu viel zu sehen gibt).
Zu dieser Zeit waren vielleicht zweihundert Leute in Valdemossa, und der spanische König und seine Frau und der amerikanische Präsident und seine Frau stiegen aus und schüttelten allen die Hand. Entlang der Straße hatte sich eine Art Spalier gebildet, und bevor jemand dran war mit Händeschütteln, sah ihm ein für sein Alter sehr grauhaariger Mann für ein paar Sekunden in die Augen. Bevor er nicht Blickkontakt hatte, ging es nicht weiter. Der Mann war vermutlich Menschenkenntnisexperte von der CIA, und wenn er mit einem fertig war, fühlte man sich ein bisschen wie nach dem mündlichen Abitur.
Das körperliche Kribbeln kam vielleicht von irgendwelchen Röntgenstrahlen aus dem Van oder von den mobilen pistolenmesserknüppel-Erkennungsgeräten, die ihre Träger nur mühsam verbergen konnten; ich beschloss jedenfalls, für eine Weile zusätzliche Röntgenbelastungen bei Arztbesuchen zu vermeiden.
Und jetzt kam das, worauf ich nicht vorbereitet war, hatte ich doch allerhöchstens mit Michael Douglas gerechnet: In ein paar Minuten würde ich William Jefferson Clinton die Hand schütteln. Das, so spürte ich, würde ein ganz besonderer Moment in meinem Leben sein. Ich dachte sofort an ein Schwarzweißfoto, welches Clinton selbst zeigt, der gerade President Kennedy die Hand schüttelt. Diese Begegnung hatte Clintons Leben verändert - musste nicht die Begegnung mit ihm meins verändern?
Eins war klar: Mit bloßem Schütteln war es hier nicht getan. Ich würde ein paar Worte sagen. Einen Satz vielleicht nur, aber was für einer! Ein Satz, der zeigt, dass Clintons Schüttelpartner ein bemerkenswertes Verständnis weltpolitischer Zusammenhänge hat, ein Satz, der ihn dem Präsidenten sympathisch macht, ihn heraushebt aus der anonymen Reihe, das Interesse weckt, ihm vielleicht gar eine kurze Antwort entlockt, ein joviales Lächeln. Nicht die Außenpolitik würde das Thema sein - Außenpolitik kann jeder - ich würde mit dem amerikanischen Präsidenten über amerikanische Innenpolitik sprechen. Ein deutscher Tourist auf Mallorca, ein überraschender Gesprächspartner für Bill Clinton zur Innenpolitik. Noch vier Hände, dann war ich dran. Lewinski war natürlich tabu, ach: Mir würde es gelingen, einen Gesichtsausdruck zu zeigen, der sofort signalisiert, dass ich viel zu entspannt und liberal sei, um überhaupt nur unterbewusst an diesen Unfug zu denken. Einen Moment lang erwog ich sogar, als Geste der Verbundenheit ganz souverän mit beiden Händen zuzugreifen. Noch eine Hand. Jetzt.
Bill Clinton schüttelte mir die Hand, sah mich dabei sehr freundlich an, während ich mit ganz und gar indifferentem Gesichtsausdruck "Hggghurghh" sagte, was weder auf Deutsch, Englisch, Mallorquin, Katalan noch sonst wie einen Sinn ergibt. Vielleicht - hoffentlich! - hat Clinton es überhaupt nicht gehört, denn ich sagte es sehr leise und ohne meinen Mund zu bewegen. Ich ließ den Präsidenten los und hatte plötzlich keine Lust mehr, auch noch mit Hillary oder dem spanischen Königspaar zu sprechen, die übrigens in diesem Moment allesamt angeregt mit ihren jeweiligen Schüttelpartnern parlierten. Da hätte ich doch einfach "pleased to meet you, mister president" sagen sollen und die Innenpolitik etwas später anschneiden oder, noch viel besser, ein keckes "wassup?". Zu spät. Naja, vielleicht hat Clinton ja bei Kennedy auch kein Wort rausgekriegt.
P.S.: Ein Foto gibt es natürlich nicht, aber die Geschichte ist wahr.
Aber kommen wir zur Geschichte, die ich hier ausschweifend erzählen will. Vor ein paar Jahren, irgendwann Mitte der 90er, verbrachte ich mit meiner damaligen Lebensteilhaberin eher spontan ein paar Tage auf Mallorca, was sich als Freizeitbeschäftigung anbot, denn die damalige Lebensteilhaberin arbeitete bei einer Fluglinie und wir bezahlten für die Tickets nicht mehr als für ein Schönes-Wochenende-Billet.
Wer Mallorca bereist, setzt sich sogleich einer hohen Prominentensichtungswahrscheinlichkeit aus, schließlich wird die Insel im Dutzend von Schiffers, Beckers, Wellenbrinks, Elstners und Douglas' bewohnt, die allesamt irgendwann auswärts essen, spazieren gehen oder Schuhe kaufen und dabei auf Volk treffen. Das Bewusstsein dieser Prominentenkonzentration war indes nicht annähernd in der Lage, mich auf das vorzubereiten, was ich an diesem Freitag erleben sollte.
Die damalige Lebensteilhaberin und ich hatten beschlossen, abends in Valdemossa zu essen; wir kennen dort ein schlichtes, hübsches Restaurant an einer Ausfallstraße am Berg mit einer ganz exquisiten Aussicht.
Während sich die Vorfreude auf fette, schwarz geschmorte Blutwurst einzunisten begann, bemerkten wir ein erstes Anzeichen darauf, dass dieser Abend nicht ganz so wie vermutet verlaufen würde: Auf der Serpentinenstraße von Palma nach Valdemossa fuhren wir alle fünfzig Meter an einem Polizisten der Guardia Civil vorbei, der wie ein Komparse einer spanischen Adaption von Mad Max gekleidet und mit einem Automatikgewehr behängt war und sein Honda-Crossmotorrad mit nervösen Gasstößen bei Laune hielt. Das, so beschlossen wir, ohne es auszusprechen, sei vermutlich eine Übung und kein Grund zur Sorge.
Als wir jedoch den kleinen Feldweg gefunden hatten, der zum Restaurant führt, stand dort ein Mensch, den wir beim besten Willen nicht mehr unbestaunt zur Kenntnis nehmen konnten: Ein sehr großer, muskulöser Afro-Amerikaner mit einem ausgesprochen gut sitzenden schwarzen Anzug, weißem Hemd, dezenter Krawatte und mit einem wachen, intelligenten Gesicht. Und: Mit einem Knopf im Ohr. Einem Knopf im Ohr! Er sagte: "This road is closed". Das, fanden wir, war ja nun wie in einem schlechten Film. Wurde hier der Präsident der Vereinigten Staaten erwartet oder was? "So the restaurant is closed, too?" fragte ich. Der Beamte fasste sich mit der linken Hand an den Knopf im Ohr, der wahrscheinlich gerade "ten minutes to go" oder "we have code green" oder so was sagte und nickte.
Während wir uns über das klischeehafte Äußere von Leibwächtern und CIA-Beamten und das vermutlich kurz bevorstehende Eintreffen des amerikanischen Präsidenten unterhielten, traf der amerikanische Präsident ein. Bill Clinton und seine Gattin wurden begleitet von ihren Gastgebern, dem spanischen König Juan Carlos und dessen Gattin. Das ganze Eintreffen dauerte zehn Minuten und umfasste eine Kolonne mit allem drum und dran: Motorradfahrer, Vorauslimousinen, ein schwarzer Van mit Elektronik, deren Technologie auf der Auswertung abgestürzter Ufos basierte, ein Cadillac mit den Clintons, ein Mercedes mit dem Königspaar, Nachhut-Limousinen, Motorräder. Wie ich erst später erfuhr, war das ganze ein vollkommen privater Besuch der Clintons bei ihren königlichen Freunden in Spanien - gut essen, ein Ausflug mit der königlichen Yacht, eine Partie Golf und so weiter. An diesem späten Nachmittag: Besichtigung der Kartause von Valdemossa, in der Frédéric Chopin und George Sand einen nasskalten Winter verbracht haben (und in der es nicht allzu viel zu sehen gibt).
Zu dieser Zeit waren vielleicht zweihundert Leute in Valdemossa, und der spanische König und seine Frau und der amerikanische Präsident und seine Frau stiegen aus und schüttelten allen die Hand. Entlang der Straße hatte sich eine Art Spalier gebildet, und bevor jemand dran war mit Händeschütteln, sah ihm ein für sein Alter sehr grauhaariger Mann für ein paar Sekunden in die Augen. Bevor er nicht Blickkontakt hatte, ging es nicht weiter. Der Mann war vermutlich Menschenkenntnisexperte von der CIA, und wenn er mit einem fertig war, fühlte man sich ein bisschen wie nach dem mündlichen Abitur.
Das körperliche Kribbeln kam vielleicht von irgendwelchen Röntgenstrahlen aus dem Van oder von den mobilen pistolenmesserknüppel-Erkennungsgeräten, die ihre Träger nur mühsam verbergen konnten; ich beschloss jedenfalls, für eine Weile zusätzliche Röntgenbelastungen bei Arztbesuchen zu vermeiden.
Und jetzt kam das, worauf ich nicht vorbereitet war, hatte ich doch allerhöchstens mit Michael Douglas gerechnet: In ein paar Minuten würde ich William Jefferson Clinton die Hand schütteln. Das, so spürte ich, würde ein ganz besonderer Moment in meinem Leben sein. Ich dachte sofort an ein Schwarzweißfoto, welches Clinton selbst zeigt, der gerade President Kennedy die Hand schüttelt. Diese Begegnung hatte Clintons Leben verändert - musste nicht die Begegnung mit ihm meins verändern?
Eins war klar: Mit bloßem Schütteln war es hier nicht getan. Ich würde ein paar Worte sagen. Einen Satz vielleicht nur, aber was für einer! Ein Satz, der zeigt, dass Clintons Schüttelpartner ein bemerkenswertes Verständnis weltpolitischer Zusammenhänge hat, ein Satz, der ihn dem Präsidenten sympathisch macht, ihn heraushebt aus der anonymen Reihe, das Interesse weckt, ihm vielleicht gar eine kurze Antwort entlockt, ein joviales Lächeln. Nicht die Außenpolitik würde das Thema sein - Außenpolitik kann jeder - ich würde mit dem amerikanischen Präsidenten über amerikanische Innenpolitik sprechen. Ein deutscher Tourist auf Mallorca, ein überraschender Gesprächspartner für Bill Clinton zur Innenpolitik. Noch vier Hände, dann war ich dran. Lewinski war natürlich tabu, ach: Mir würde es gelingen, einen Gesichtsausdruck zu zeigen, der sofort signalisiert, dass ich viel zu entspannt und liberal sei, um überhaupt nur unterbewusst an diesen Unfug zu denken. Einen Moment lang erwog ich sogar, als Geste der Verbundenheit ganz souverän mit beiden Händen zuzugreifen. Noch eine Hand. Jetzt.
Bill Clinton schüttelte mir die Hand, sah mich dabei sehr freundlich an, während ich mit ganz und gar indifferentem Gesichtsausdruck "Hggghurghh" sagte, was weder auf Deutsch, Englisch, Mallorquin, Katalan noch sonst wie einen Sinn ergibt. Vielleicht - hoffentlich! - hat Clinton es überhaupt nicht gehört, denn ich sagte es sehr leise und ohne meinen Mund zu bewegen. Ich ließ den Präsidenten los und hatte plötzlich keine Lust mehr, auch noch mit Hillary oder dem spanischen Königspaar zu sprechen, die übrigens in diesem Moment allesamt angeregt mit ihren jeweiligen Schüttelpartnern parlierten. Da hätte ich doch einfach "pleased to meet you, mister president" sagen sollen und die Innenpolitik etwas später anschneiden oder, noch viel besser, ein keckes "wassup?". Zu spät. Naja, vielleicht hat Clinton ja bei Kennedy auch kein Wort rausgekriegt.
P.S.: Ein Foto gibt es natürlich nicht, aber die Geschichte ist wahr.