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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ströbele, Hans-Christian (Politiker auf Fahrrädern)



Der Tubist
08.10.2001, 22:34
Wer -wie ich- den Großteil der täglichen Wege mit dem Fahrrad zurücklegt, dem ist es auch vergönnt, gelegentlich Prominente auf dem Fahrrad zu entdecken.
Bei mir waren es eigenartiger Weise durchweg Politiker, denen ich so begegnete.
Der erste war Ulf Fink, aus dem Augenwinkel paparazzt auf dem Großen Stern im Tiergarten. Ulf Fink ist natürlich nicht wirklich prominent und ich hätte ihn auch beinahe nicht erkannt, weil er heute wesentlich weniger Haare hat, als zu den Zeiten, als er noch Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse war und in dieser Eigenschaft gelegentlich in der Tagesschau auftauchte (20:13 Uhr, Hintergrund: Bewerbungsfoto Ulf Fink, Vordergrund: Werner Veigl, vorlesend: 'Der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse Fink hat gegenüber dem Pusemuckler Käseblatt erklärt, er sei dafür, dass...). Gefallen hat mir sein Outfit: Anthrazitfarbener Zweireiher zum 70er-Jahre- Rennrad mit Straßenaustattung. Gewagt, aber machbar.
Andrea Fischer sah ich auf dem Radweg vor der Jacobikirche in Kreuzberg, in der ich zu spielen hatte. Ein Konzert, das Frau Passig mit fadenscheinigen Ausreden versäumte.
Die Ex-Ministerin sah genau so nett aus wie im Fernsehen und fuhr nicht allzuschnell. Vernunftfahrrad (28-Zoll-Räder, Schutzbleche, Beleuchtung) zu grauem Kostüm und wallendem Schal. So gemahnte sie ein wenig an Isadora Duncan. Vielleicht nicht ganz so mondän.
Auf der Moltkebrücke sah ich dann Hans-Christian Ströbele, über den ich eigentlich gar nichts schreiben möchte. Sei's drum: Hollandfahrrad mit Pastorenlenker zur braunen Barbour-Jacke. Etwas zu gewollt.

ingwer
08.10.2001, 23:05
herrn ströbele sah ich in den vergangenen jahrzehnten auch häufiger rund um den tiergarten, denn er wohnt oder arbeitet auf der anderen kanalseite vom innenministerium in einem schönem altbau mit großem, jedoch schattigem balkon im ersten stock, auf dem auch schon einmal trittin von einer darüber schwerverzückten freundin gesichtet wurde.
auch im cafe buchwald, einem wunderbar, vorgestrigem cafe für alte damen, habe ich ströbele öfters gesehen, nicht ohne grund, denn dort ist der beste baumkuchen berlins im angebot. auch die italienische vanilletorte ist nicht zu verachten.

marie battisti
09.10.2001, 00:35
ulf fink? ich glaub es nicht, der war mal senator in berlin für familie und soziales?
auf jeden fall waren meine zwei freundinnen und ich bei ihm zu gast, wir waren siebzehn und kamen gerade aus amsterdam, wo uns süße wochenendpunks einen schnellsiederkurs in spätpunk verpasst hatten: haare statt waschen mit seife einreiben, ein büschel nehmen und von der spitze zurückschieben, es war der sommer von boys don't cry, hosen waren fetzen und frische kleider sowieso postpostamsterdam, wir waren frei unabhängig und stolz.
fink nahm uns in seine arme, aber seht selbst:
frühmorgens wurden wir von seinem sohn mit mörderischem geschrei und cyber-ungeheuern aus dem bett bombardiert, später saßen wir in seinem riesen büro und mussten unser land vor wichtigen männern in fetzen statt in dirndl repräsentieren, dann fuhr uns sein chauffeur - fink bestand darauf - im schwarzen mercedes mit hintem einem breiten pickler mit herz, familie und berlin zu den sehenswürdigkeiten der stadt, der chauffeur war sehr nett, schließlich kam eine bauten-rundfahrt mit dem berühmten architekten rob krier (ein richtiger hahn mit geschwellter brust) in einem kleinbus, wir drei waren überzählig, fink bestand darauf, dass wir im minibus mitfahren sollten, drei wichtige männer im anzug mussten draußen bleiben, krier war sauer, spulte aber das programm professionell herunter, die drei wichtigen männer, unter ihnen fink gingen verloren, krier schmollte, zeigte uns aber trotzdem stolz die kopie des kopfes der freiheitsstatue, die er - der hinterlistige krier - anstelle einer jahrhundertwende-medusa an einer fassade montiert hatte: 'keiner hat s gemerkt, hihi!'
ostberlin war ruhetag denn fink's hätten paar tage für eine einreiseerlaubnis gebraucht, wir durften gleich hinüber, abends dann wieder fink: ein käfig voller narren im tdw.

Goodwill
09.10.2001, 14:03
Ströbele fährt meines Wissens ein rotes taz-Fahrrad, d.h. es trägt die Aufschrift Èdie tageszeitungÇ und sieht trotzdem schick aus. Es wurde ihm vor ca. zwei Jahren auf einer taz-Genossenschafts-Versammlung in Berlin geschenkt. Als Dank für seine Arbeit im Aufsichtsrat der Genossenschaft. Ströbele war recht gerührt damals. Die taz ist zwar nach wie vor fast pleite, angeblich liegt das aber an zu wenig Abonnenten und nicht an zu vielen Verschenk-Rädern.

Ruebenkraut
09.10.2001, 17:09
Ströbele - in den frühen Neunzigern (er war noch nicht so oft im Fernsehen damals) habe ich ihn öfter in der S-Bahn Yorckstraße Richtung Wannsee fahren sehen. Fahrrad war auch dabei.

marie battisti
09.10.2001, 17:15
und wo ist fink geblieben, hat ihn niemand gesehen, wie geht es ihm, was macht er jetzt?

klesk
21.09.2002, 01:13
1994 muss es wohl gewesen, als klaus farin, der damals ein florierendes geschäft als skinheadforscher betrieb, mich und einige andere seiner versuchskarnickel fragte, ob wir denn dabei wären, nächste woche, wenn NF tommy - ein damals stadtbekannter neonazi - beim berliner landgericht in moabit wegen körperverletzung vortanzen müsse. (neben?)kläger war farin selbst, vorangegangen war ein unglückliches zusammentreffen zwischen farin und dem besagten NF tommy auf einer autobahnraststätte. dort hatte der angeklagte dem autor diverser bücher über skinheads, den er, wohl aufgrund seiner damaligen massiven medienpräsenz, erkannt hatte, mächtig eine reingesemmelt. im zuge der ermittlungen bekamen übrigens farin und seine beiden begleiter aus der skinhead-szene die gelegenheit, im fotoalbum der berliner polizei zu blättern und berichteten, teils schockiert, teils staunend, von der schieren anzahl an bekannten, die sie dort auf party- und konzertfotos entdeckt hatten - aber das nur nebenbei.
anwaltlich vertreten wurde farin durch christian ströbele. der inhalt der verhandlung ist mir komplett entfallen, das strafmass, vergessen, selbst an den echtnamen des angeklagten erinnere ich mich nicht mehr. woran ich mich noch sehr gut erinnere, ist der anblick der vermeintlichen faschobestie: ein beinahe mitleiderregender, extrem pickliger, hornbrilliger prolo, der sich, klischee lass nach, zum gerichtstermin die haare hatte wachsen lassen, was mir noch heute ausgesprochen lutscherhaft erscheint. weitere eindrücke: das in seinen abmessungen alles andere als respekteinflössende verhandlungszimmerchen, ströbele in seiner anwaltsrobe, die seifengrünen kacheln im flur des gerichtsgebäudes. und dann noch meine enttäuschung, dass ausser mir praktisch niemand erschienen war, um den angeklagten ordentlich anzustarren und ihm dieses spezielle wir-kennen-deine-fresse-und-wissen-wo-du -wohnst-gefühl zu geben. das extrem ungute gefühl, dass die anderen zuschauer der öffentlichen verhandlung mich wahrscheinlich für die freundin des angeklagten hielten, gemischt mit der empörung darüber, dass sowas unter dem gleichen oberbegriff wie meinereiner gefiled wurde.
als die verhandlung zu ende war, gingen wir schräg gegenüber noch auf einen kaffee und gaben dabei sicherlich ein lustiges bild ab - weisskopfadler ströbele mit seiner dicken aktenmappe, farin in seinen unmöglichen batikhosen, ich in bomberjacke und roten zehnern mit stahlkappe, an einem cafétischchen mit marmorplatte, vor uns heissgetränke an dosenkeks auf papierrosette.
heute ist ströbele in friedrichshain auf einer wahlkampfveranstaltung von einem fascho niedergeschlagen worden. berliner pappen! wir sehen uns bei der gerichtsverhandlung! stimmen zeichnet, honz honzt, die wucht fachsimpelt, ich starre haßerfüllt und vergesse alles. okay?

Herr Weber
21.09.2002, 01:30
WAS?? Ströbele niedergeschlagen?? Vor ein paar Tagen sah ich ihn noch, im Fargo, in der Grünberger Strasse. Lachend lief er von Tisch zu Tisch und verteilte seine Wahlprospekte. Der nette Herr Ströbele. Jetzt gewinnt er das Direktmandat.

esker
23.09.2002, 11:32
hat er, hat er! yeah!

Elpenor
23.09.2002, 15:11
Das ist der Nachteil, wenn man am Vorabend im Marathon Politikeraussagen gehört hatte und dies sich heute im Radio fortsetzte. Als ich vor ein paar Stunden eine Bäckerei in Friedrichshain betrat, stand dort ein Interviewer des lokalen Fernsehsenders samt Kamermann. Befragt ob des Wahlsieges von Ströbele hob ich mit einem schwungvollen "Super! Gute Besserung erstmal." an, um dann abzubrechen, da sich blitzschnell im Kopfe die die nächsten Sätze "Ich denke, die Wahl hat eindeutig gezeigt, daß Gewalt in der heutigen Politiklandschaft keinen Platz hat. Der Rechtsextremismus muß weiter bekämpft werden." formierten

poldi
25.09.2002, 13:20
Hans-Christian Ströbele kommt standesgemäß vorgefahren: Der drahtige, weißhaarige 63-Jährige schält sich aus seinem schmalen Elektroauto, das das Kennzeichen "KB" für Kreuzberg ziert. In seinem Wahlkreis hat Ströbele als erster Grüner in der Geschichte ein Direktmandat errungen. Wobei der Wahlkreis nicht nur aus dem Westberliner Stadtteil Kreuzberg besteht, sondern auch aus den bisherigen PDS-Hochburgen Friedrichshain und Prenzlauer Berg in Ostberlin.

Für Ströbele, der in den vergangenen vier Jahren zu den profiliertesten grünen Parlamentariern zählte und vor allem durch seine Auftritte beim Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre bekannt wurde, war es die einzige Chance. Seine politische Karriere schien beendet. Denn überraschend schaffte Ströbele, der als letzter Linker in der Riege der Parlamentsgrünen gilt, keine Nominierung auf einem aussichtsreichen Platz auf der Landesliste.

Deshalb tingelte der frühere Anwalt von RAF-Terroristen monatelang durch seinen Wahlkreis und pries sich in einem bisher beispiellosen Persönlichkeitswahlkampf selbst als Direktkandidat an. Es gibt wohl keine Kneipe in Kreuzberg, die er nicht - mit Broschüren "Erststimme Christian Ströbele" in der Hand - persönlich aufsuchte. Darin zitierte er aus Reden im Bundestag und führte fast stolz an, dass ihn der bekanntlich konservative bayerische Innenminister Günther Beckstein als "geistiger Mittäter" der Ausschreitungen von Globalisierungskritikern in Genua im Sommer 2001 bezeichnet hatte.

Kurz vor dem Urnengang griff ihn am Freitag an einem Wahlkampfstand ein Rechtsextremist an. Er prügelte mit einem Stahlschlagstock auf den Kopf des bekennenden Pazifisten ein. Dass er von hinten angefallen worden sei, habe ihn am meisten wütend gemacht, gab Ströbele später zu Protokoll. Ströbele verfolgte den Mann und rief die Polizei, bevor er sich ins Krankenhaus begab, wo er wegen einer Gehirnerschütterung behandelt wurde und deshalb bei der Wahlparty fehlte.

Joschka Fischer gratulierte ihm telefonisch, obwohl Ströbele auf seinem Wahlplakat mit folgendem Slogan um Stimmen warb: "Ströbele wählen heißt Fischer quälen!" Ströbele solle ihn "ruhig weiter quälen", meinte der Außenminister gut gelaunt zum Erfolg des innerparteilichen Gegenspielers bei der Debatte um Militäreinsätze der Bundeswehr. Ob ihm die Freude vergeht, wird sich in den nächsten vier Jahren zeigen. Ströbele kündigte an, sich in erster Linie seinem Gewissen und den 40.208 Menschen, die ihn gewählt hätten, verpflichtet zu fühlen, als seiner Partei trotz knapper Mehrheitsverhältnisse. Ströbele wird auch als Angehöriger der Regierungsfraktion Oppositioneller bleiben. (Alexandra Föderl-Schmid/DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2002)