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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nitsch, Hermann (Zwei Bärte)



Larry Erbs
03.10.2001, 21:27
Weil ich eine Einladung und nichts Besseres vor hatte ging ich unlängst zu der Eröffnung des Wiener Leopold-Museums. Nach dem Ablatschen der Bilder begab man sich in die Reithalle gegenüber des Museums. Dort wurden von einem feinen Caterer exquisite Köstlichkeiten aufgefahren. Obwohl es eine strenge Tür gab gelang es einem hutzeligen vollbärtigen Wiener Sandler sich unter die anwesende Adabeigesellschaft zu mischen. (oder: Jemand schenkte ihm eine Einladungskarte). Durch den Saal schweifend liess er sich es mal richtig gut gehen, griff arglos auf die Platten der herumschreitenden und dauerfreundlichen Caterergirls. Diese nahmen es mit professioneller Gelassenheit, während die anderen teilweise ebenso gierigen Gäste ihn mit Spott und Häme bedachten. Er sass dann irgendwann, Bauch und Taschen voll, mit einem Bier neben einem der im Saal verteilten Cellisten die die Aufgabe hatten mittels leisen Dauerspielens eines Tons dem Fressfest einen 'künstlerischen Rahmen' zu geben. Da ich nicht mehr erleben wollte wie sich diese abgründige Gesellschaft zu den Rhythmen des angekündigten DJs Erdem Tunakan einwippt, machte ich mich auf den Weg. Vor dem Ausgang machte sich gerade ein Seitenblicke - Team daran dröger Semiprominenz ein paar Bonmots abzuringen. (Seitenblicke ist ein einmaliges ORF - Format das täglich nach dem Wetterbericht fünf Minuten von der Adabeifront berichtet). Nun betrat ein hutzeliger vollbärtiger Mann den Saal der sogleich etwas muffelig nach Wein verlangte. Während man ihm diesen besorgte, heischten bereits die Blicke. Mir war das etwas unangenehm denn er stand neben mir und ich hatte mit dem ja nun nichts zu tun und wollte nun wirklich gehen, als der glücklich satte Sandler herbeigewankt kam und ausrief: 'Ja Servus, der Nitsch!' Hermann Nitsch kannte ihn wohl nicht, aber er schien erleichtert zu sein sich nun nicht gleich mit einem der herumstehenden Bewunderern unterhalten zu müssen. 'komm sauf mer was' kumpelte er sogleich, nachdem man ihm das Glas reichte. Dann kam es zu einem gegenseitigen Bartkraulen und Bekichern. Schwarz geärgert hat sich wohl nur der Seitenblickeschmierer und sein Kameramann als sie zu spät bemerkten was da hinter ihrem Rücken ablief.
aber das nur so nebenbei

Pamela Buechse
03.10.2001, 21:33
Sprach der Sandler Tirolerisch? Hatte er einen schwarzen Hund? Verkehrt er im 'Alt Wien'? Kann gut sein, daß der Sandler ein Künstler war. Woran erkanntest Du sein Sandlertum? Roch er?

Larry Erbs
03.10.2001, 21:40
Ich glaube ich weiss wen du meinst aber der war es nicht. Er war ebenso klein wie Nitsch und hatte einen ebenso prächtigen weissen Bart. Er ging sehr gekrümmt mit Plastiksackerl.
Er war wohl kein Künstler(auf jedenfall keiner der sich zu Anwesenheit auf solchen Gesellschaften verpflichtet fühlen muss).Er hat sich mit niemandem unterhalten und wurde ständig schief angeschaut. Er ist wirklich nur wegen dem Essen gekommen.

marie battisti
03.10.2001, 22:38
habe nitsch noch nie so freundlich erlebt

Frau H aus B
04.10.2001, 11:35
Das ist eine hervorragende Geschichte, genau beobachtet, vorbildlich beschrieben. Ich habe zwar auch meine Zweifel, ob Bart #1 tatsächlich ein Sandler war oder nur jemand, der sich als einer tarnte, aber das ist egal, das Ergebnis ist das Gleiche. Hoch die Bärte!

Andrea Maria
04.10.2001, 11:52
So und jetzt kommts! Ich besitze Original-Barthaare von Hermann Nitsch.
Marie, wo hast Du Nitsch erlebt? War er unfreundlich zu Dir?

Walter Schmidtchen
04.10.2001, 12:00
Larry, bist Du sicher, dass der Sandler klein war? wenn er gross wäre, wäre das der sog. 'Kulterer', eine bizarre leicht verwahrloste Gestalt, die auch immer überall ist und einen langen Nitschbart hat, ich weiss gar nicht was der macht, weiss nur, dass der in einem Thomas Bernhard Buch vorkommt.
Der DJ Erdem Tunakan, genannt Daffy, weil er so geht wie die Ente, sieht übrigens exakt aus wie Che Guevara, er weigert sich aber in der berühmten Pose fotografiert zu werden. Man darf sich bei ihm nicht mit Strassenhose aufs Bett setzen, er hat panische Angst vor Viren.

Walter Schmidtchen
04.10.2001, 12:03
Der Schriftsteller Thomas Kapielski hat Nitsch mal am Bart gezupft.
Andrea, wo hast Du denn die Haare her? Lagen die irgendwo auf der Strasse, oder hast Du ihm die als Reliquie abgetrotzt?

Larry Erbs
04.10.2001, 12:11
Auf die Haare bin ich auch neugierig, sicher gibt es noch spektakulärere Nitschgeschichten als meine.
Zu dem Sandler: Es war nicht dieser stadtbekannte Rauschebart der auch ein kleines Zöpfchen hinten hat. Er ist auch grösser. Der, der auch mal in einem Film von Ulrich Seidl mitspielte in dem Leute abstrakte Bilder beschreiben. Er war nämlich auch da. Also genaugenommen drei Rauschebärte. Ist das denn der Kulterer?
Also es war kein bohemiesk getarnter Sandler, sondern einer dem man das Leben auf der Strasse ansah.

Larry Erbs
04.10.2001, 13:04
Was mir noch einfällt:
Eine andere Wiener Haarsensation ist dieser Mensch der Rastalocken bis zum Knöchel hat. Er ist kein Sandler;auch eher klein, zwischen seinem Körpergewicht und dem Gewicht seiner Haare gibt es wohl keinen grossen Unterschied. Ich begegne ihm öfters im 13. Bezirk oder am Naschmarkt.Weiss jemand näheres über ihn? Mich würde interessieren wie er sitzt, habe ihn bisher nur stehend und gehend gesehen.

Krossener
05.10.2001, 01:10
Schöne, haarige Geschichte.
Und ich weiß jetzt was ein Sandler ist.

Edding Kaiser
05.10.2001, 01:10
Das finde ich jetzt unheimlich. Ein Mikro im Toblerleben. Erst beschert uns Larry seine wunderbaren Zwei Bärte, von denen einer Nitsch gehört. Dann haut Andrea Maria ihre grandiose Fernfriseusen-Story über Nitsch raus. Und dann fällt mir heute per Zufall ein Zettel in die Hände, der Jahre alt ist und von dessen Existenz ich nichts wusste. Er stak in meiner Ausgabe von ³Die 120 Tage von Sodomã und ist vom mittlerweile verstorbenen Kurti Kren geschrieben. Er bedankt sich dafür, dass ich ihm das Buch so lange geliehen hatte und fragt, ob ich denn nun auch mit zum Nitsch käme. Toll.
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'Ich sah nicht das Kupfer/spürte nur die Kraft.'
Herr Genista

Ignaz Wrobel
05.10.2001, 01:10
Bei dem Namen Nitsch klingelt bei mir irgendwas, ich weiß aber nicht, was. Kann jemand ein paar Stichworte liefern, was der so gemacht hat?

marie battisti
05.10.2001, 01:10
ganz am anfang meines studiums nahm ich an einer art schnitzeljagd teil, wir landeten auf dem land im osten wiens, unsere aufgabe war es herauszufinden was für spiele in einem dorf seit zehn jahren geplant seien, irgendwer verwies uns auf ein sehr romantisches schloss, wir klopften an einer tür mit einem eisenring, aber niemand öffnete (das zu meiner begegnung mit nitsch, larry brauchte einen hochwuchter, das unfreundlich bezog sich auf seinen gesichtsausdruck, den ich irgendwo gespeichert habe), die dorfbewohner klärten uns dann auf: ein künstler nitsch würde hier mysterienspiele abhalten, spaziergänge machen und viel wein trinken, wir mussten dann weiter in ein dorf, dessen name etwas mit einer kondommarke zu haben sollte, was noch viel schwieriger herauszufinden war, spätnachts sind wir da endlich angekommen.
hast es, wrobel?
morgen geh ich auch bart schauen, harry rohwolt

Walter Schmidtchen
05.10.2001, 01:10
Harry Rowohlt in Meran?
Grüss ihn mal von mir, Marie!
Kurt Krenn hat bei mir in der Nähe gewohnt, ein kleiner Mann, mit Lederjacke, enger Jeanshose, wohl auch Stiefelchen, am Hosenbund immer ein enormer Schlüsselbund, seine Filme möchte ich aber lieber nicht sehen müssen, glaube ich

Edding Kaiser
05.10.2001, 01:10
Och, die Filme sind eigentlich schon was für Scheisstypen.
Schluss jetzt, Frieden. Nein, ja, die Filme sollte man meiden als sensibler Mensch.

marie battisti
06.10.2001, 02:09
schmittchen hätte motivationstrainer für manager werden sollen, wär ein kinderspiel, wenn er mich sogar rumkriegt, am ende vom kurs steht das berühmte: im nobelrestaurant aufstehen, liederliches liedchen singen und sich nicht schämen sondern freuen, dass man sich dazu überwunden und das viele geld gut investiert hat.
ich dachte ja, ich treffe den harry rowohlt ja gar nicht so, dass ich mit ihm reden kann, also brauch ich mich gar nicht davor fürchten, ihn anzusprechen. ein trugschluss, der stand glatt riesig und unübersehbar vor dem eingang, hab noch kurz die probe mit dem plakat gemacht - die haare sind aber auf dem plakat dünkler - hat nichts geholfen, er war es halt, was tun? karte organisieren, sonst denkt er womöglich, ich will gratis rein, vielleicht ist er danach ja auch weg. Nichts, stand immer noch da, bin dann hin, herr rowohlt? ja, ganz freundlich hat er geschaut, ich soll Ihnen grüße ausrichten von ...war wohl ein genuschel, denn er drehte und beugte sich zu mir herunter so wie dahlmann das macht, ich dachte nicht an genuschel sondern an: jetzt steh ich da wie ein begossener igel, blödsinn, ich wiederholte den namen, er richtete sich genüsslich auf und sagte: ach, tex-chen wie nett, ich hätte dann vielleicht noch was sagen sollen, aber mein auftrag war erledigt, ich rannte davon, nein stolperte in eine absperrung, dahinter fing mich ein herr auf, der ein gesicht machte, als traue er mir keinen weiteren schritt zu, er drehte mich in die andere richtung, dort hatte ich noch mindestens mit drei menschen körperkontakt, die anderen wichen rechtzeitig zurück, ich stolperte noch einmal über die eigenen füße, dann fand ich einen platz zum sitzen, der restliche abend war sehr angenehm, nur dass ich immer mehr durst bekam
(Beitrag wurde von marie battisti am 06.10.2001 um 01:25 Uhr bearbeitet.)

Walter Schmidtchen
08.10.2001, 00:54
Hat Harry wieder nur 5 Stunden gelesen?
Tut mir leid, dass ich Dich zum Umsturz gebracht habe

marie battisti
08.10.2001, 11:36
ach, bisschen taumeln von zeit zu zeit tut doch gut, lernt man die sonst selbstverständliche standhaftigkeit der lieben füße wieder zu schätzen.
gelesen? wenig, aber abschweifen kann er, man sollte ihn hierher einladen