rapsak
21.09.2001, 17:17
Eine Geschichte zum Tage:
Kuerten, ein 5000-Seelen-Dorf im Bergischen Land, hat in ihren Gemeindegrenzen zwei prominente Bewohner zu verzeichnen: die allseits bekannte und beliebte Fußballerlegende Bernd Schuster (ein klaeglicher Trainer) und den etwas weniger bekannten und beliebten Komponisten Karl-Heinz Stockhausen. Irgendwann aber hatte sich dessen Weltruhm selbst bis in die Gemeindeverwaltung dieses vertaeumten bergischen Doerfchens herumgesprochen und man beschloss, auch ihm das zuzuerkennen, was man bei dem famosen Balljungen Schuster schon laengst getan hatte: ihm die Ehrenbuergerschaft zuzuerkennen.
Stockhausen war geruehrt, und weil Bernd Schuster, sich seinerzeit mit einem jaehrlich stattfindenden Benefiz-Fussballspiel bedankt hatte, tat es ihm unser Komponist auf seine Weise gleich und versprach, ab nun jaehrlich ein gagenfreies Konzert in der oertlichen Gemeindehalle zu geben. Mit gequaelten Gesichter nahmen die Gemeindevaeter das Angebot an.
Meine damaligen Schwiegereltern wohnen ebenfalls in der kleinen Gemeinde Kuerten und so ergab es sich, dass ich bei einem dieser furchtbaren Enkelkind-Vorfuehr-Besuchen im Gemeindeblaettchen von dem Konzert las und sofort beschloss: da muss ich hin! Die Schwiegereltern uebernahmen das Babysitten und schon waren wir auf dem Weg.
Die Gemeindehalle Kuerten verhält sich zu einem Konzertsaal, der diesen Namen verdient, wie die Stadthalle Pforzheim zur Radio City Music Hall. Doch davon hatte sich der Komponist nicht beirren lassen und legte selbst Hand an beim Aufhaengen etlicher Tuecher, zum Zwecke der optimierteren quadrophonischen Entfaltung seiner Klangwelten, bis der Gemeindesaal enldich das unverwechselbare Flair einer Schulaula beim Abiturabschlussball hatte.
Da dies nun der unumstrittene Hoehepunkt des kulturellen Lebens der Gemeinde war, fand sich tout Kuerten ein, und alle hatten sich ganz besonders schick gemacht: die Damen in sehr weiten, gross gebluemten Kostuemen und pastellfarbenen Jacketts mit Goldknoepfen darueber, die Herren in ihrem Hochzeitsanzuegen aus den fruehen Sechzigern Jahren. Dazu trug man ausgesprochen gesundes Schuhwerk in diversen Beigetoenen.
Das Konzert fing auf die Minuten genau an, darauf hatte der Gemeinderat wohl besonderen Wert gelegt. Stockhausen hielt einen kurzen, liebenswuerdigen Einfuehrungsvortrag und stellte seine Mitstreiter an den Instrumenten vor. Dann begann er damit, seine voellig enthemmte Tongebilde furchtlos auf die Zuhoerer loszulassen. Die waren nun durch all die Konzerte der Jahre zuvor schon sichtlich an Einiges gewoehnt. In der Pause hoerte ich Saetze wie: ÎZum Glueck isset ja diesmal nimmi so laut wie dat letzte mal.â Oder ÎNä, also, dat mitti dicke Saengerin, dat haet mer sogar janz jut jefallen.â Es war Musikerlebnis pur, fernab von jeglicher feuilletonistischer Vorbildung, einfach Klasse. Ich habe die Veranstalltung genossen wie selten, die Pause, ja selbst die Zeiten vor und nach der Tonorgie haben mich begeistert. In diesem fast familiaeren Umfeld habe ich mich sogar getraut, den Meister himself nach dem Konzert anzusprechen, um ihn fuer diesen unvergesslichen Abend zu danken.
Stockhausen ist ein herrlich schrulliges, liebevolles Wesen, ganz versunken in seiner eigenen Klangwelt, besessen von sich und seinen Ideen. Dieser Abend brachte mich letzlich dazu, ein paar Jahre spaeter extra nach Leipzig zu fahren, um mir seine Oper ÎFreitagâ aus dem Zyklus ÎLichtâ anzusehen, das gewagteste und eindruecklichste, was ich je in einem deutschen Operhaus zu sehen bekommen habe. Stockhausen rules!
Nun lese ich heute in der Zeitung, dass die Gemeinde Kuerten ihrem Edelbuerger Karl Heinz aus Anlass seiner Aeusserungen zur Aesthetik der Terroranschlaege in den USA den Ehrentitel wieder aberkennen will. Vielleicht haben die bergischen Buerger nach gut 15 dieser Konzerte festgestellt, dass ihre Liebe zur modernen klassischen Musik doch nicht so grenzenlos ist und waren froh, dass Stockhausen selbst den Vorwand geliefert hat, ihn endlich loszuwerden. Schade drum. Nie wieder Atonales in der Gemeindehalle Kuerten. Das hat er nicht verdient. Vielleicht haette er seine Aeusserungen doch besser in dem von Wrobel dafuer vorgesehenen Strang posten sollen.
(Beitrag wurde von rapsak am 21.09.2001 um 16:25 Uhr bearbeitet.)
Kuerten, ein 5000-Seelen-Dorf im Bergischen Land, hat in ihren Gemeindegrenzen zwei prominente Bewohner zu verzeichnen: die allseits bekannte und beliebte Fußballerlegende Bernd Schuster (ein klaeglicher Trainer) und den etwas weniger bekannten und beliebten Komponisten Karl-Heinz Stockhausen. Irgendwann aber hatte sich dessen Weltruhm selbst bis in die Gemeindeverwaltung dieses vertaeumten bergischen Doerfchens herumgesprochen und man beschloss, auch ihm das zuzuerkennen, was man bei dem famosen Balljungen Schuster schon laengst getan hatte: ihm die Ehrenbuergerschaft zuzuerkennen.
Stockhausen war geruehrt, und weil Bernd Schuster, sich seinerzeit mit einem jaehrlich stattfindenden Benefiz-Fussballspiel bedankt hatte, tat es ihm unser Komponist auf seine Weise gleich und versprach, ab nun jaehrlich ein gagenfreies Konzert in der oertlichen Gemeindehalle zu geben. Mit gequaelten Gesichter nahmen die Gemeindevaeter das Angebot an.
Meine damaligen Schwiegereltern wohnen ebenfalls in der kleinen Gemeinde Kuerten und so ergab es sich, dass ich bei einem dieser furchtbaren Enkelkind-Vorfuehr-Besuchen im Gemeindeblaettchen von dem Konzert las und sofort beschloss: da muss ich hin! Die Schwiegereltern uebernahmen das Babysitten und schon waren wir auf dem Weg.
Die Gemeindehalle Kuerten verhält sich zu einem Konzertsaal, der diesen Namen verdient, wie die Stadthalle Pforzheim zur Radio City Music Hall. Doch davon hatte sich der Komponist nicht beirren lassen und legte selbst Hand an beim Aufhaengen etlicher Tuecher, zum Zwecke der optimierteren quadrophonischen Entfaltung seiner Klangwelten, bis der Gemeindesaal enldich das unverwechselbare Flair einer Schulaula beim Abiturabschlussball hatte.
Da dies nun der unumstrittene Hoehepunkt des kulturellen Lebens der Gemeinde war, fand sich tout Kuerten ein, und alle hatten sich ganz besonders schick gemacht: die Damen in sehr weiten, gross gebluemten Kostuemen und pastellfarbenen Jacketts mit Goldknoepfen darueber, die Herren in ihrem Hochzeitsanzuegen aus den fruehen Sechzigern Jahren. Dazu trug man ausgesprochen gesundes Schuhwerk in diversen Beigetoenen.
Das Konzert fing auf die Minuten genau an, darauf hatte der Gemeinderat wohl besonderen Wert gelegt. Stockhausen hielt einen kurzen, liebenswuerdigen Einfuehrungsvortrag und stellte seine Mitstreiter an den Instrumenten vor. Dann begann er damit, seine voellig enthemmte Tongebilde furchtlos auf die Zuhoerer loszulassen. Die waren nun durch all die Konzerte der Jahre zuvor schon sichtlich an Einiges gewoehnt. In der Pause hoerte ich Saetze wie: ÎZum Glueck isset ja diesmal nimmi so laut wie dat letzte mal.â Oder ÎNä, also, dat mitti dicke Saengerin, dat haet mer sogar janz jut jefallen.â Es war Musikerlebnis pur, fernab von jeglicher feuilletonistischer Vorbildung, einfach Klasse. Ich habe die Veranstalltung genossen wie selten, die Pause, ja selbst die Zeiten vor und nach der Tonorgie haben mich begeistert. In diesem fast familiaeren Umfeld habe ich mich sogar getraut, den Meister himself nach dem Konzert anzusprechen, um ihn fuer diesen unvergesslichen Abend zu danken.
Stockhausen ist ein herrlich schrulliges, liebevolles Wesen, ganz versunken in seiner eigenen Klangwelt, besessen von sich und seinen Ideen. Dieser Abend brachte mich letzlich dazu, ein paar Jahre spaeter extra nach Leipzig zu fahren, um mir seine Oper ÎFreitagâ aus dem Zyklus ÎLichtâ anzusehen, das gewagteste und eindruecklichste, was ich je in einem deutschen Operhaus zu sehen bekommen habe. Stockhausen rules!
Nun lese ich heute in der Zeitung, dass die Gemeinde Kuerten ihrem Edelbuerger Karl Heinz aus Anlass seiner Aeusserungen zur Aesthetik der Terroranschlaege in den USA den Ehrentitel wieder aberkennen will. Vielleicht haben die bergischen Buerger nach gut 15 dieser Konzerte festgestellt, dass ihre Liebe zur modernen klassischen Musik doch nicht so grenzenlos ist und waren froh, dass Stockhausen selbst den Vorwand geliefert hat, ihn endlich loszuwerden. Schade drum. Nie wieder Atonales in der Gemeindehalle Kuerten. Das hat er nicht verdient. Vielleicht haette er seine Aeusserungen doch besser in dem von Wrobel dafuer vorgesehenen Strang posten sollen.
(Beitrag wurde von rapsak am 21.09.2001 um 16:25 Uhr bearbeitet.)