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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hosono, Haruomi (Der Tropische Dandy)



James Dean Brown
10.09.2001, 05:58
Als Tümmler laviere ich bisweilen am aktuellen Bodensatz diverser Kolumnen in der Grössenordnung von ca. 37 Postings herum und fühle mich fast assimiliert, wenn auch ein bisschen untergedrückt. Da ich mich nur so eingeschlichen habe, ohne vorherige, offizielle Warnung oder Anmeldung, da mein Einstand also noch aussteht, will ich im Folgenden die nächste graue Box mit meiner einzigen höflichen, unabsichtlich herbeigeführten Promibegegnung zum Wachstum anregen. Deshalb, liebe Gemeinde: Griffel wegschmeissen, Tastaturen hochklappen, Drinks bereitstellen, Feierabend. Ich wünsche eine angenehme Reise.
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Yoroshiku onegai-shi-masu.

James Dean Brown
10.09.2001, 06:04
La Fuente de la Efervescente Alegr’a de Vivir presenta: Descarga Tormenta Electropicaliente
Die Geschichte beginnt, als die Asteroidenschwärme der erstmals erschwinglichen elektronischen Spielzeuge von der Kreativität einiger musikalischer Anarchisten eingefangen wurden. Zu jener Zeit lernte ich zwei Typen in Frankfurt kennen, die mich schwer beeindruckten, was zunächst vom Maschinenpark herrührte, den sie für ihre Musikproduktionen verwendeten. Ich brach dankbar in Tränen aus, als ich diverse Kultobjekte, deren aufregenden Klang ich bislang gierig von Schallplatten absorbiert hatte, erst mit eigenen Augen sehen, dann berühren, später für eigene Programmierungen verwenden durfte. Kurz gesagt: wir hatten die gleichen Interessen, gründeten eine elektrische Familie und stärkten diese alsbald mit Gleichgesinnten, unter ihnen auch einige Exilchilenen.
Wie das während einer gemeinsamen, gefahrenvollen musikalischen Sozialisation so üblich ist, ergänzten wir allmählich unsere musikalischen Kompetenzen. Wie alle jugendlichen Nerds suchten und fanden auch wir unsere musikalischen Helden, um für's Leben zu lernen. An dieser Stelle müsste natürlich eine gewisse überstrapazierte Düsseldorfer Institution erwähnt werden, vor der ganz Detroit und die übrige Welt der Elektrotechnik immer noch in die Knie geht vor Ehrfurcht, aber wir manövrierten uns eher - jenseits von Kraft und Werk - durch neu erschlossene Industriegebiete. Ehrlich gesagt, fürchtete ich mich persönlich immer ein bisschen vor dem eisigen Wind deutscher Pionierelektronik.
Vielmehr wurden immer wieder andachtsvoll exotische Namen in die Runde geschmissen, allen voran jener des japanischen Yellow Magic Orchestra. Ich besass immerhin bereits fast zwei Platten von YMO (eine LP und eine japanische 10'-Edition incl. dem Hit 'Nice Age' mit Wolfman Jack-Intro), welche ich als Sonderangebote in einem für die Musikweltgeschichte nicht weiter relevanten Hi-Fi-Laden erstanden hatte. Allerdings wollten sich mir diese innovativen Werke anfangs nicht so recht erschliessen, möglicherweise gerade aus Gründen der Leichtigkeit der Erschliessbarkeit, die heutzutage (und für alle Zeiten) locker pubertär-popkulturellen Diskursen Ärsche kicken würde. In Sicherheit wiegendes Liedgut war nicht die Passion meiner neugierigen, auf musikalische Anarchie fixierten, heranwachsenden Ohren.
Macht nichts, wir schaukelten uns gegenseitig hoch vor Begeisterung für die Fülle sensationeller Ideen der Truppe, die sich in Werken manifestierten, welche zu Recht in nahezu jedem japanischen Haushalt inventarisiert sind (in ihrem Heimatland sind sie Popgruppe Nummer Eins, absolute Superstars). Schon bald war auch ich in deren musikalischem Universum gefangen, was meiner Sammlerleidenschaft neue Dimensionen eröffnete. Im Laufe der Jahre versuchten wir, uns mit legendären Aufnahmen, Neuentdeckungen, Importen, Special Limited Editions und Ablegern von YMO zu überraschen, genauer gesagt von allen drei, klassisch-multiinstrumental ausgebildeten Protagonisten der Triade: Ryuichi Sakamoto - egozentrischer Tausendsassa, Filmmusiker, Schauspieler, Model; Yukihiro Takahashi - schrägschillernde, ein wenig seichte Popdiva; Haruomi Hosono - experimentierfreudiger Maestro, Weltklasse-Ausnahmeproduzent, Tropical Dandy, Erfinder des elektronischen japanischen Volkslieds.
Dabei kristallisierte sich eindeutig heraus, dass letzterer, nicht zuletzt durch seinen brillanten Sinn für Humor, für uns immer mehr in Gottesnähe rückte. Jedes neue musikalische, gleichsam aus den Urklangfarben von bodenlosen Füllhörnern jeglicher musikalischer Stile fermentierte Opus wurde fanatisch mit einem mentalen Freudenfeuerwerk in 16,7 Millionen Farben quittiert. Keiner der über 100 Tonträger, an denen der extravagante Mr. Hosono in irgendeiner Form beteiligt ist, gleicht den anderen, jeder für sich setzt aber qualitative Maßstäbe, für die Messlatten in jenseitige Atmosphären geschossen werden müssen; Atmosphären, zu denen dem gemeinen Musikus niemals Zugang erteilt werden würde (und wo diese Spezies auch nichts verloren hat). Ich entwickelte sogar immer gewitztere, diebstählerne Fähigkeiten, um die unverschämt teuren, codierten Import-CD-Juwelen des mysteriösen Maestros aus Tokyo von einem örtlichen Tonträgergrosshandel in meinen Besitz übergehen zu lassen.
Der Mann, der die Musik der Zukunft massgeblich und kontinuierlich mitgestaltetet, hatte schon längst seine eigene, multiple musikalische Phänomenologie kultiviert, war in keiner Disziplin des Komponierens und Arrangierens aufzuholen und hatte für uns den Status des definitiv Unberührbaren im Programmierer-Olymp. Als sei das alles nicht genug, trug zur Legendenbildung ausserdem bei, dass - nach Quellen aus erster Hand - Mr. Hosono schon mal an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig gesehen und dass sein Grossvater den Untergang der Titanic überlebt hatte, dessen Enkel somit zur Bergung des Wracks eingeladen worden war.
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Jahre stummer Anbetung und unzählige unquantisierte Taktfolgen später trat ich - musikalisch mittlerweile recht abgebrüht - zusammen mit Freunden aus alten und neuen Tagen einen meiner winterlichen Sommerurlaube in Chile an. Ich hatte bereits Freundschaften in Santiago geschlossen, auch waren einige der eingangs erwähnten Chilenen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt, und so freute ich mich auf ein Wiedersehen.
Die Homebase unserer grossen Familie ist eine Hacienda im östlichen Stadtteil La Florida, die von einem riesigen Garten umarmt wird, in dem Orangen- und Zitronenbäume blühen und Eidechsen von Katzen gejagt werden. Palmen sind mit Lametta und Christbaumkugeln geschmückt, da wir uns mitten in der Weihnachtszeit befinden. Ein kleiner Pool lädt dazu ein, die Entspannungsphasen in Angesicht des beeindruckenden Andenpanoramas, das sich jenseits der den Garten umgrenzenden Mauer erstreckt, mit regelmässigen Ganzkörpererfrischungen zu krönen. Es ist das reinste Paradies.
Üblicherweise werden Neuankömmlinge gleich am ersten Tag vom Flughafen direkt nach La Florida verfrachtet, um mit literweise chilenischem Wein, Pisco Sour, kolumbianischem Gras und den berüchtigten Asados, so gross wie Wohnzimmer, verwöhnt zu werden. Eigentlich kommt dauernd jemand neues an, und wenn nicht, finden sich garantiert zig andere Gründe, um zu feiern. Begrüssungs- und Abschiedsrituale dauern ewig; man hat also während des Urlaubs eine Menge zu tun.
Eines warmen Abends war es wieder soweit: Dandy Jack (of Rather Interesting fame) lud die ganze Bagage in die Calle Alicahue ein, um den Quellen der überschäumenden Lebensfreuden zu huldigen. Nicht ganz unvorbereitet trafen wir ein, um gleich darauf von der duftenden Essenz mannigfaltiger Grilladen, die den Atem der Euphorie würzte, umweht zu werden. Alle waren da - die gesamte intime Prominenz mitsamt Entourage: Musiker, DJs, Designer, Künstler, Architekten, die Filmemacherin, der Lachsfarmer, der Drogenbaron der Bohemiens; nach den obligatorisch ausufernden c—moest‡s' und bienytus, besos y abrazos wurde sofort das Sperrfeuer des Palavers eröffnet. Unter einem von Milliarden Sternen besäten, kobaltblauen Abendhimmel bildeten und mischten sich Grüppchen verdammt gut gelaunter Kosmopoliten. Hier Frankfurter und Chilenen, da Venezuelaner, dort das schweizer-peruanische Pärchen, am Pool Japaner, am Grill ein Schotte. Alle irgendwie im Exil, bzw. aus dem Exil woanders hin versprengt worden. Und jetzt alle zusammen. Synkopen nächtlichen Gelächters akzentuierten den gemischten Chor der Sprachen und Insekten.
Eine zusammengewürfelte, dennoch verschworene Gemeinde zelebrierte die Einheit der Sinnesfreuden. Man harmonisierte mit einer legeren Professionalität, als ob man niemals etwas anderes getan hätte und schmiedete schwärmerisch die üblichen Zukunftspläne. Der Abend belehrte mich, dass das hier doch wieder mein Planet war. Ros’o, eine atemberaubende Latina aus alter Parlamentarierdynastie, magnetisiert mittels ihres aufmerksamen, den Gesprächspartner fixierenden Rehblickes den Fluss der Worte gen Romanze. Jemand erklärt die Sternbilder. Pol Taylor, der mittlerweile für's chilenische Militär Forschungsstationen in der Antarktis baut, berichtet voller Esprit...
...Japaner? Schwenk zurück. Tatsächlich: Haruomi Hosono sitzt am Pool, flankiert von Tetsu Inoue, Musikerkollege, und der charmanten, extremen Liebreiz verströmenden Michiko Yamamoto, Assistentin, Dolmetscherin, Ukulelespielerin, die ihre Begleitfunktion später kokett als 'Groupie' bezeichnen wird. Hosono-san streift seine Zigarette in einen portablen Mini-Aschenbecher mit den Insignien seines Labels Daisyworld ab, entweder ein massangefertigtes Einzelstück oder begehrtes Merchandising-Objekt. 16.000 km von meinem winterlichen Zuhause entfernt, erleuchtet er, der elektropische Dandy, einfach so die warme Luft vor den gewaltigen Andenkordilleren, freundlich und vergnügt: Zwei Monumente, kontemplativ vereint, denen weder die Erosion durch Witterung noch durch klangliche Disharmonie jemals etwas von ihrer überirdischen Präsenz nehmen könnte. Sind einfach da, tragen über ihre blosse Anwesenheit dezent zum unermesslichen Gelingen der Fiesta bei. Sabor! Das kann nur noch davon übertroffen werden, Kraftwerk nackt zu sehen. Grosses, stilles Glück widerfährt uns allen in diesem Moment der Faszination der Beiläufigkeit.
Die Herrschaften aus Tokyo, bzw. New York waren von Atomú, dem Wizard der funky Festplatte w/Soul, dem Programmierer des zickigen Bordcomputers im unendlichen Raum, dem Decoder des Geräusches und der Ruhe ö der Ruhe vor dem Programmabsturz, nach Santiago geladen worden, um gemeinsam ein weiteres musikalisches Meisterwerk auszubaldowern. Irgendwann waren sie dann verschwunden. Ich kann mich um's Verrecken nicht mehr dran erinnern, ob Hosono eine Bratwurst ass oder überhaupt etwas.

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Yoroshiku onegai-shi-masu.

Ignaz Wrobel
10.09.2001, 13:43
James Dean,
Die eigentliche Geschichte ins zweite Posting zu stecken, und damit die Null-Antwort-Zeit des eigenen Stranges scheinbar auf Null zu reduzieren, das ist clever, verdammt clever!
Die Geschichte werde ich auch mal lesen, in einer langen schlaflosen Nacht.

Maza
10.09.2001, 14:49
Ja, der liebe James ist sehr ausgeschlafen, wenn er denn mal ausgeschlafen ist.

Walter Schmidtchen
10.09.2001, 16:41
an japanischer Musik gefällt mir eigentlich nur die Brachial-PunkBand 'Guitar Wolf', Merzbow, Keij Haino (letztere aber eigentlich nur live)
und die Künstler des Labels Angelika Köhlermann
http://angelika.koehlermann.at
Die beste Platte ÜBER Japan stammt meines Erachtens von Holger Hiller, und heisst Little Present, ursprünglich eine Sendung für den bayrischen Rundfunk.
An der Platte hat auch Wolfgang Müller mitgewirkt, falls den hier noch jemand kennt.

James Dean Brown
10.09.2001, 16:50
(i)lugt hinter der wortgeschützten Panzerglasscheibe seines Monitors hervor(/i)
Huch, ich lebe ja noch.
(i)duckt sich wieder und schläft noch 'ne Runde(/i)
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Yoroshiku onegai-shi-masu.

James Dean Brown
10.09.2001, 18:41
Wirklich, Schmidtchen: Keiji Haino live ist allerdings unschlagbar - der fiel mal während einer Performance vor lauter emphatischem Herumgetöse von seinem Barhocker. Er erklomm das Teil wieder und widmete sich weiter, unbeirrt vom Amüsement des Publikums, dem Krachmachen mittels Guitarre und Vokalakrobatik.
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Yoroshiku onegai-shi-masu.

Reverend Tex
10.09.2001, 21:22
Ich sah diesen finsteren Prince Eisenherz Japans mal mit Topfdeckeln, an denen Tonabnehmer befestigt waren, den steinernen Fussboden bearbeiten, das tat derartig weh, dass ich als besserer Mensch rausging

Ben Nemsi
11.09.2001, 02:08
Des öfteren spiele ich die Nasenflöte, aber Ukulele!
Gern gelesen und dann noch -Atom- .
Herzlich gern.
'If I live a thousand years, I can never forget the intense emotion with which I
regarded this figure - the form was divine '
poe
the spectacles
(kein HTML*,
kein Forum Code*,
)
Die Sache ist nämlich im Grunde überaus einfach, ja primitiv; (wie immmer, wenn man * den Müttern * auf den runzligen Leib rückt)

augustin
11.09.2001, 02:13
james dean brown..

endlich

James Dean Brown
11.09.2001, 02:14
Gracias. Esta melod’a me resulta conocida.
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Yoroshiku onegai-shi-masu.