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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Robbe-Grillet, Alain (krakelt)



Schocker
11.08.2001, 01:31
Das Fleisch der Frauen hat wohl schon immer eine große Rolle in meinen Träumen gespielt. Die Lederpeitsche im Schaufenster eines Pariser Luxusgeschäfts, die nackten Brüste einer Wachspuppe... kurz, als Alain Robbe-Grillet vor mehr als 10 Jahren in die Stadt kam, mußte ich hin.
Braun befrackt betrat er den vollen Saal und fläzte sich in den Sessel, den die ältliche Betreiberin des Centre Culturel Franais in Karlsruhe für ihn bereitgestellt hatte. Er hielt keinen Vortrag, sondern erzählte einfach aus seinem Leben. An folgendes kann ich mich noch erinnern:

³Ach was, die meisten Leute, die ich kannte, hatten gegen den deutschen Einmarsch in Frankreich gar nichts einzuwenden. Auf die Tour, meinten sie, käme wenigstens ein bißchen Ordnung in das Land.ã
³Der Unterschied zwischen Balzac und mir? Kann ich Ihnen sagen. Der normale Leser liest Balzac ja nicht Wort für Wort, sondern nur die wichtigen Stellen, und sobald eine längere Beschreibung beginnt, blättert er weiter und liest erst wieder ab dort, wo es interessant wird. Na, und wenn Sie das bei mir machen, fangen Sie auf Seite Eins an zu blättern und hören erst auf, wenn das Buch zu Ende ist.ã
³Bei uns wird ein Schriftsteller für jede Rezension bezahlt, die irgendwo über eins seiner Bücher erscheint. Und Sie können mir glauben, daß ich ohne dieses Geld glatt verhungert wäre, denn das bißchen Kohle, das ich für den Verkauf meiner Romane bekommen habe, hätte nicht mal bis zum Wochenende gereicht.ã

Als er sich nach getaner Arbeit am Brötchentisch stärkte, latschte ich zu ihm hin und hielt ihm ein DIN-A-4-Blatt unter die Nase. Auf etwas, das man mit gutem Willen als französisch bezeichnen könnte, bat ich ihn, mir ein Autogramm zu geben.
Er malte einen Riesenkrakel über die ganze Fläche. Ich bedankte mich und ging.

Das war meine einzige Begegnung mit diesem Mann. Bleibt die Frage, ob er bei seinen Manuskripten auch so verschwenderisch mit dem Papier umgeht - vielleicht sind seine Romane deshalb so dünn.

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DerCaptain
11.08.2001, 01:47
Schöner Beitrag, aber auf die Gefahr hin, mich zum Deppen zu machen - wer ist Alain Robbe-Grillet? Bitte um eine kurze Auskunft.
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'PROTECT ME FROM WHAT I WANT'



(Beitrag wurde von DerCaptain am 10.08.2001 um 12:47 Uhr bearbeitet.)

Schocker
11.08.2001, 01:47
Danke für das Kompliment, Captain. Hier einige kurze Informationen.

Alain Robbe-Grillet, 1922 in Brest (Bretagne) geboren, ist Schriftsteller und
Filmregisseur. Er ist einer der Hauptvertreter des NOUVEAU ROMAN, eine Richtung, die Ende der 40er Jahre in Frankreich entstand und radikal mit älteren Romankonventionen bricht.
In Robbe-Grillets Romanen spielt z.B. die Psychologie der Figuren oder die Darstellung von Charakteren innerhalb einer geschlossenen, sich logisch fortentwickelnden Handlung keine Rolle mehr. Vielmehr präsentieren sich seine Romane als Aneinanderreihungen seitenlanger Beschreibungen von Gegenständen und Landschaften. Seine Figuren wirken flach und handeln sinnlos oder banal. Die Handlung zerfällt in Episoden, die sich nicht zu einem sinnvollen Ganzen fügen.
Dabei kommt es immer wieder zu überraschenden Überblendungen der
Handlungsebenen. Zum Beispiel werden Gegenstände oder Figuren auf einem Gemälde oder Foto beschrieben, die dann plötzlich in der übergeordneten Ebene auftauchen.
Sinn der Übung ist, das Kunstwerk in der modernen Welt neu zu definieren ö und damit diese Welt selbst. Eine höhere, durch Gott oder die Wissenschaft verbürgte Ordnung existiert nicht mehr, ebensowenig kann der Mensch noch hoffen, die Welt zu verstehen oder gar zu beherrschen. Daher wird dem Leser Robbe-Grillets ständig der Boden unter den Füßen weggezogen.
Weitere Autoren in dieser Richtung sind Michel Butor, Nathalie Sarraute, Claude Simon und Samuel Beckett.

Die Faszination Robbe-Grillets besteht für mich vor allem in seiner Technik, mehrere Handlungsebenen ineinanderzuschieben und damit ein phantasmagorisches Gesamtbild zu schaffen. So entsteht eine Art surrealistischer Traumwelt, die durch die Genauigkeit der Beschreibung dennoch sehr real wirkt. Außerdem mag ich seine Art, Versatzstücke der Unterhaltungsliteratur (Krimi oder Abenteuerroman), zu verwenden und in die diversen Handlungsebenen seiner Romane einzubauen.
Ich kenne allerdings nur einige seiner Bücher, nicht die Filme. Persönlich halte ich sein Drehbuch zu dem Film LETZTES JAHR IN MARIENBAD (1961 von Alain Resnais verfilmt) für sein bestes Werk.

Soviel in aller Kürze dazu. Hilft das?

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Yvonne Caldenberg
11.08.2001, 01:47
Ich verwechsele den ja immer mit Claude (?) Levi-Strauss. Aber vielleicht krakelt der ja auch?
Scann doch das Gekrakel ein und poste es - so ein Dokument muss publiziert werden, oder?

DerCaptain
11.08.2001, 14:23
Ja, hilft. Danke.
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'PROTECT ME FROM WHAT I WANT'



(Beitrag wurde von DerCaptain am 11.08.2001 um 13:23 Uhr bearbeitet.)

Schocker
11.08.2001, 17:30
Gute Idee, Yvonne - muß mal sehen, ob ich das Meisterwerk noch finde.


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Klede
22.01.2003, 11:45
Heute ist doch Freitag, oder? Wo bleibt denn nun das gescannte Autogramm, Schocker?

Alain Robbe-Grillet ist wirklich ein lustiger Redner, wie Larry Erbs und ich am Wochenende feststellen durften. Robbe-Grillet stellte in Bremen einen seiner Filme vor, naemlich "Der Lügner" auf franzoesisch "L'homme qui ment". Der deutsche Titel ist also unsauber uebersetzt, wie Robbe-Grillet, der anscheinend sehr gut deutsch versteht, sofort bemerkte. Als die Uebersetzerin "Der Lügner" ankuendigte, schuettelte er den Kopf und meinte, dass das ja was ganz anderes sei, und sie doch bitte "Der Mann, der lügt" sagen solle. Am eindrucksvollsten aber war, dass Robbe-Grillet nicht alleine auf der Buehne war, diesen Umstand aber komplett ignorierte. Angekuendigt war "Robbe-Grillet im Gespraech mit Frau Professor Name Vergessen", eine dralle Frau mit Brille, sehr rot gefaerbten Haaren und einem Tuch, das sie sich vor der Veranstaltung franzoesisch um den Hals geworfen hatte. Diese drei (R-G., Prof, Uebersetzerin) sassen nun also vor der Leinwand, und Robbe-Grillet, der sehr viel juenger schien als er ist (80), redete einfach drauf los. Ueber seine Filme ("schreibe ich viel schneller runter als meine Romane"), Alain Resnais ("wenn ihn Schauspieler nach der Bedeutung von Szenen in "Letztes Jahr in Marienbad" fragten, sagte er nur "woher soll ich das wissen, Robbe-Grillet hat das geschrieben""), tschechische Filmfoerderung und vieles mehr. Alles sehr lustig und kurzweilig. Gegen Ende seines Vortrags versuchte die Professorin, die komplett verloren auf der Buehne sass und nicht ein Wort gesagt hatte, sich noch einmal kurz einzumischen. Ich glaube, sie sagte: "Kafka.", was Robbe-Grillet sogar aufschnappte und dazu nutzte, etwas ueber den Einfluss Kafkas auf seinen Film zu erzaehlen. Dann war die Zeit schon rum und alle drei mussten von der Buehne, damit der Film gezeigt werden konnte. Der Film war uebrigens als "Original mit englischen Untertiteln" angekuendigt worden. Die Untertitel fehlten, ich verstand also nur die Haelfte.

Schocker
28.01.2003, 19:56
Klede, mein Scanner ist kaputt.

Und RG kann wirklich witzig sein, was man seinen Büchern ja nicht direkt anmerkt.

vir
03.06.2004, 12:33
Schocker, hast Du den Scanner repariert?

Schocker
04.06.2004, 00:07
Ja, jetzt geht er wieder, nur sitze ich in Augsburg und Robbe-Grillets Autogramm ist in irgendeinem vergammelten Leitzordner im Keller eines Karlsruher Reihenhauses unter Zentnern von Altpapier begraben, was soll ich machen, ich kann ja schlecht von Angelika verlangen, mal eben vorbeizuschauen und sich mit der Schaufel durch den Haufen zu wühlen, bis sie das Ding findet, und selbst wenn sie's täte, würden ihr beim Versuch, den Schrank zu öffnen, in dem sich das wertvolle Stück befindet, Dutzende verstaubter FF-Extras und Walt Disneys Lustige Taschenbücher entgegenpoltern, und selbst wenn sie das überlebte, müßte sie jeden Ordner durchblättern, um das Rarissimum ausfindig zu machen, das dort eingeheftet liegt, und selbst wenn sie sich dazu bereitfände, würde sie vorher auf Hunderten von Blättern meine Tagebucheintragungen von vor 20 Jahren finden, verschwiemelte Lyrikversuche eines Germanistikstudenten, feinsinnige Randbemerkungen zur Technik intertextueller Mehrfachcodierung beim frühen bis mittleren Grass, betroffene Sätze über fortdauernden amerikanischen Imperialismus und die Notwendigkeit, dem damit einhergehenden Rüstungsterror durch gewaltlosen Widerstand ein Ende zu bereiten, und selbst wenn sie das ertrüge, wäre noch gar nicht sicher, ob sich das Gesuchte wirklich dort befindet, es könnte ebensogut in meinem zweiten Großlager auf dem Dachboden vor sich hin schimmeln, und dann müßte sie alles von vorne beginnen.

Aber ich habe verstanden. Wenn ich das nächstemal in meine alte Wohnung nach Karlsruhe komme, das dürfte in etwa einem Monat der Fall sein, rase ich vom Bahnhof direkt in den Keller und fange an zu suchen, auch wenn's die ganze Nacht dauert. Und dann gibt's endlich Robbe-Grillets Autogramm. Hier. Bitmap. 50 MB.

honz
04.06.2004, 09:03
Ich könnte solange aushelfen mit Milt Jackson, das einzige Autogramm, daß ich mir in meinem Leben geholte habe, längst vergessen, ich habe es gestern zufällig gefunden als ich meine Wohnung leergeräumt habe. Sehr zu empfehlen: Bags Groove (http://www.amazon.com/exec/obidos/clipserve/B000000YDT001001/1/104-7398725-7423911) mit Milt Jackson und Miles Davis, die legendären Aufnahmen von 1954, mit Monk am Klavier. cool.

vir
04.06.2004, 09:09
Auf was ist das Autogramm von Milt Jackson? Auf einer Schallplatte?

Schocker
29.06.2004, 17:30
vir. honz. Klede. Captain. Caldenberg.:

Klede
18.02.2008, 19:00
Ist leider verstorben, der Robbe-Grillet.

starlingM
18.02.2008, 21:16
Oh.

Hallo Schocker, habe gerade "A" in einer Ausgabe von 1971 gekauft und musste dabei an dich denken.