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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Rushdie, Salman und Claus Peymann (Tex spielt Theater und auf der Bühne schneit es)



anko
01.08.2001, 14:39
In den 90er Jahren inszenierte ich als Nebenerwerbs-Regisseur in Wien ein Theaterstück für die 'Wiener Festwochen' - und zwar die Uraufführung eines Dramoletts von Antonio Fian (Name: 'Bussi, Kant'). In den Hauptrollen: Babette Arens und Tex Rubinowitz.
Das Stück war eine Paraphrase auf 'Wer hat Angst vor Virginia Woolf' - zentrale Figuren waren also ein Mann und eine Frau, die sich nicht mehr viel zu sagen haben und das an einem Strand in Miami. Wir ließen ein paar Tonnen Sand in eine Halle schütten, bauten viele rotweißgestreifte Liegestühle anstelle von Stühlen auf, legten Badetücher aus und schickten eine junge Frau mit sehr grossen Augen und sehr gutem Charakter mit einer Eskimo(=Langnese)-Box über den Strand. Vom Band rauschte das Meer. Es war wunderschön (das Bühnenbild stammte von Renato Uz, einem Freund).
Wir hatten die Rechnung ohne die Feministinnen-Truppe gemacht, die die anderen Ecken der Riesen-Halle (eine ehemalige Straßenbahnremise) bespielten, die uns dann die Premiere verhagelten, aber das ist nicht die Geschichte, die ich erzählen wollte, ich schweife ab.
Zur Begegnung, von der ich erzählen will, kam es vielmehr während unserer Probenzeit.
Da uns Probenräume fehlten, dingelten wir durch Privatwohnungen und andere Lokalitäten, die wir uns organisierten. Über die Vermittlung von Babette, die damals am Wiener Burgtheater spielte, bekamen wir sogar Zugang zu einem Kämmerchen im Burgtheater.
Es war ein Samstag Nachmittag. Der Portier, durch Babette milde gestimmt, winkte uns versprengten Theateramateure durch und meinte, wir sollten doch ganz oben unter dem Dach ein Nebenräumchen zum Proben nutzen, 'da kommt eh keiner hin - Sie wissen ja wo, Frau Arens'.
Wir schlichen also, angeführt von Babette, durch die hehren Hallen, über vielerlei Hintertreppchen und Seitengänge, durch Tapetentüren und Feuerschutztore - bis wir in einem ansonsten als Ballettsaal genutzten Raum mit deckenhohen Spielgeln ankamen.
Wie es so Texens Eigenart ist, machte er sich, kaum waren wir angekommen, auf und erkundete die angrenzenden Räume. Bis er nach fünf Minuten sichtlich begeistert in den Raum gelaufen kam (wo ich eben damit beschäftigt war, mittels eines Klebebandes die Ausmaße der Originalbühne zu simulieren): 'Auf der Bühne schneit es! Kommt mal! Und da stehen drei.'
Wir folgten ihm also eine Treppe tiefer (oder höher?), durch ein paar Flure - bis wir auf dem obersten Rang des Burgtheater-Zuschauerraumes angekommen waren. Und tatsächlich: Da lag der riesige Raum, auf der Bühne ein wunderbar gemeinisvolles Bühnenbild (irgendwas Russisches - Tschechow?), beleuchtet, als würde gleich die Vorstellung losgehen - und aus dem Bühnenhimmel schneite es ganz leicht und zwar Papierschnitzel. Es sah wunderbar aus. Und was die Szene noch poetischer machte: weit und breit kein Mensch zu sehen; die drei Herren waren verschwunden. Nur in den Tiefen des Theaters rumpelte es leise und fern. Es war, als sei die Welt plötzlich, mitten im geschäftigsten Treiben, entvölkert worden - und nun stünden nur noch unsere Kulissen rum.
Wir gingen zurück in Richtung unseres Proberaumes - ich hinterdrein, noch ganz angetan von dem Anblick. Auf dem Rückweg - wir waren ein Stockwerk hoch oder runter gegangen (so genau weiss ich das nicht mehr) - drückte ich jedenfalls auf den Knopf eines kleinen Aufzugs; vor der schmalen, goldmetallenen Türe wartete ich, daß der Aufzug käme, und tatsächlich, da war er auch schon - leise öffnete sich die Türe.
Doch da! Der Lift war nicht leer, wie erwartet, vielmehr stand 1 Herr drin. Und es war nicht irgendein Herr, sondern 1 in Österreich sehr bekannter Herr: der damalige Kulturminister Rudolf Scholten. Wir sahen einander verduzt an, keiner sagte was. So plötzlich sich die Türe geöffnet hatte, so plötzlich schloß sie sich wieder. Ich blieb irritiert zurück. Und rätselte über diese Erscheinung.
Wir probten. Babette war wunderbar, Tex ließ es schleifen. Das Wochenende verging.
Am Montag schlug ich die Zeitung auf - und da war nachzulesen, was der Minister am Samstagnachmittag in der Burg gesucht hatte: Er hatte dort 2 andere Herren getroffen, und zwar den Burgtheaterdirektor Claus Peymann und - Salman Rushdie. Da die Bedrohung Rushdies damals ihren Höhepunkt erreicht hatte, war sein Besuch in Wien geheim gehalten worden, er konspirativ durch Privatwohnungen und leere Theater geschleust. Kaum war er abgereist, wurde bekannt, dass Peymann ihm sein Burgtheater gezeigt hatte.
Um die hatte es sich also bei den 3 Herren gehandelt, die Tex gesehen hatte; und sie waren es gewesen, die leise rumpelnd über die Hinterbühne gewandert waren: der Dichter, auf der Flucht vor seinen Mördern, Peymann und Scholten auf dem Weg durch eine andere Welt, in der man es auf Befehl schneien lassen kann. Und die ansonsten leer daliegt wie erfunden. Und wir Versprengten durchgewunken vom Portier, der keine Ahnung hat, welches Wunderwerk er da bewacht.

(Beitrag wurde von anko am 01.08.2001 um 14:12 Uhr bearbeitet.)

Reverend Tex
01.08.2001, 14:47
Aber wer probte auch noch in der Kemenate da oben? Wer hatte mit Sicherheitsnadeln ein kleines Zettelchen an seine (ihre) Kleider geheftet, man möge ihre Kleider bitte so hängen lassen, wer? Na?

Anne Bennent

Tristram Shandy
01.08.2001, 14:48
Ach, hier ist es so schön.
Melancholie (Schnee in verlassenen Theatern),
Dramatik (Ein Schriftsteller auf der Flucht vor seinen Mördern), Sex (eine Eiskonfektverkäuferin mit gutem Charakter). Was will man mehr. Hier ist es so schön. Ach.

Sabeta
01.08.2001, 15:02
hier möchte ich für immer bleiben und durch die gänge dieses textes schleichen. und ab und zu soll anko es noch mal schneien lassen.

anko
01.08.2001, 15:09
tex, wie konnte ich das vergessen - bitte schildere das noch etwas genauer!
ich habe ja schon ein halbes jahr gebraucht, bis mir die ganze rushdie-geschichte wieder eingefallen ist (lacoste sei dank, sie hat mich durch einen nebensatz dran erinnert - logischweise habe ich gleich wieder vergessen, durch welchen).

Reverend Tex
01.08.2001, 15:17
Was soll ich da schon gross erzählen?
Über eine abwesende ätherische Schönheit?
Aber, lieber Anko, guggemal in den Helmut Karasek Faden nebenan, und gugge auch mal in den Tav Falco Faden, Du hast nämlich Post bekommen von unserem Freund.

frosch2
01.08.2001, 16:12
Sehr schöne Geschichte! Bin selten im Theater, aber errinere mich gerade daran, wie es riecht und knarrt.

honz
01.08.2001, 17:05
Anko,
könntst du nicht einfach das Hausmeistern sein lassen, die Software von irgendeinem der hier zahlreich anwesenden Computerjungspunden machen lassen, und dafür so alle zwei Tage so nonchalant eine so zauberhafte Geschichte ins Forum rieseln lassen?
In stiller Bewunderung,
Honz

klesk
01.08.2001, 17:25
*****
fünf sterne geschichte

anko
01.08.2001, 17:29
pappen! das ist andersrum, dialektischer: erst das hausmeistern macht einen reif fuer die voruebergehende konzentration aufs schreiben. dank fuer die warmen worte, auf jeden fall, dankdank.
da faellt mir noch 1 geschichte ein ... aber vorher noch ein wenig software basteln.

marie battisti
01.08.2001, 17:30
das wiener cafe eiles ist oder war ein sehr guter ort zum wiener burg-schauspieler paparazzen, eigentlich schon ein zu guter ort, kinderspiel-paparazzen sozusagen, saß also anne bennent dort. Nur: sie hatte ihren bruder dabei und mir fiel es wie schuppen von den augen: die gleichen wasserblauen augen, die gleiche statur, jemand hat mir mal erzählt der oscar aus der blechtrommel wäre von einem wirklich zwergwüchsigen gespielt worden, annes bruder sah klein und zierlich aus - ich hab ihn allerdings nur im sitzen beobachten können - aber nicht zwergwüchsig oder gar verwachsen. er hatte so eine aufgepluderte hundertwasser-baskenmütze auf, vielleicht machte die ihn größer und er sah noch immer sehr jung aus.

DerCaptain
01.08.2001, 18:10
Große Geschichte. Sehr groß. Ich gebe aber nur ****, weil nicht klar wird, warum es geschneit hat. Um evtl. Heckenschützen zu irritieren? Weil Rushdie noch nie Schnee gesehen hatte? Weil es gar kein Aufzugsknopf war, sondern der Schneeknopf? War das nicht rauszukriegen?
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'PROTECT ME FROM WHAT I WANT'



(Beitrag wurde von DerCaptain am 01.08.2001 um 17:10 Uhr bearbeitet.)

Doctor Subtilis
01.08.2001, 18:15
Captain, sind Sie irr?
Bitte, bitte, keinen banalen Grund verraten warum es geschneit hat. Die Geschichte ist zaubrisch schön.

DerCaptain
01.08.2001, 18:40
Nein, neugierig. Nennen Sie mich Trampel.
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'PROTECT ME FROM WHAT I WANT'



(Beitrag wurde von DerCaptain am 01.08.2001 um 17:40 Uhr bearbeitet.)

lacoste
01.08.2001, 18:40
Salman Rushdie!!! Tex hat Salman Rushdie paparazzt ohne es zu merken! Anko, Du bist so toll Und ich bin unglaublich gerührt von der Geschichte und davon, dass einer meiner banalen, plumpen Halbsätze Dich
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Herr Weber auch.

Larry Erbs
01.08.2001, 20:33
Diese Geschichte ist wunderbar. Weil sie wie Neuschnee auf diesem manchmal etwas angegrauten Haufen liegt. Und weil sie den berühmten C. Dill -Plot hat: paparazzt und nicht erkannt, die höflichste Form des paparazzens. Das labyrinthartige Burgtheater kenne ich auch, ich hab mich da auch schonmal verlaufen.
In dem oben erwähnten Kaffee Eiles kann man regelmäßig den Schauspieler Ignaz Kirchner antreffen der sich über einen Plausch immer sehr freut. Einmal sass ich am Nebentisch und Klaus Maria Brandauer kam hereingeschneit. Er erzählte dann Schmankerln von irgendwelchen Dreharbeiten. David Bennent sass mal bei der Premiere des Zadek-Hamlets genau vor mir.
(Beitrag wurde von Larry Erbs am 01.08.2001 um 19:34 Uhr bearbeitet.)

Reverend Tex
01.08.2001, 21:33
Anne Bennent sah jahrelang aus wie ein Mädchen, dann plötzlich von einem Tag auf den anderen wie eine Oma.
Sie hat einfach die Metamorphose zur Frau übersprungen.

rapsak
02.08.2001, 00:55
Der Schnee damals fiel nicht zu Anton Tschechow (bei dem fallen nur herbstlich braune Blätter), er fiel zu Hugo von Hofmannsthal, dem wohl unterschaetztesten klassischen oesterreichischen Theaterautoren überhaupt. Aber mehr will ich nicht verraten. Dazu ist Ankos Geschichte eine viel zu schoene, runde Sache. Und sie erinnert mich daran, wie sehr sich Meister Peymann in solch stillen, unbeobachteten Momenten - einmal von der Bürde der Direktion entbunden - wie ein Schneekönig an der Magie des Theaters erfreuen konnte, und sei es auch nur an den ältesten Bühnentricks. Das hatte ich angesichts seiner sonst so berserkerhaft lauten Selbstsucht fast vergessen...
(Beitrag wurde von rapsak am 02.08.2001 um 00:04 Uhr bearbeitet.)

hanswasheiri
02.08.2001, 23:15
Herr Captain, mit Verlaub, Sie sind ein Simpel.
Oder würden zumindest und zu Recht unverzüglich einen solchen gescholten, wenn Sie neu hier wären und man sie nicht besser kennen würde. So seis ihnen nochmals verziehen.
Ansonsten: beste Geschichte seit langem, hat das Zeug zu einem Frau Schottländerstrang. Gerade rechtzeitig, um Frau Mantel - in die sich hier zur Zeit ja gerade alle verliebt haben - zu zeigen, das die alten Pappnasen auch noch was drauf haben. (Ihre Geschichte war aber wirklich auch schön, die von der Frau Mantel.)

frau wichtig
04.08.2001, 23:25
°

Sabeta
16.10.2001, 12:54
.
(meine erste hochwucht)

stu
26.02.2002, 00:08
war heute draussen. der himmel sah nach schnee aus. es schneite aber nicht. wohl die papierschnitzel ausgegangen, da oben.

Edding Kaiser
20.06.2002, 16:04
.

Caliste
08.01.2003, 17:50
.

AntonH
08.01.2003, 17:59
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stu
09.05.2003, 09:20
radiergummifarbener himmel. sieht nach schnee aus.

stu
02.03.2004, 10:17
gleicher himmel, aber hört mir bloss mit schnee auf.