Felix Kubinski
12.07.2001, 06:07
Der gelbe Passat biegt um die Ecke, wühlt sich durch ein Gewirr kleiner Straßen mit eigenartigen Namen, bis er schließlich vor einem Souterrainladen in der Fettstraße zum Stehen kommt. Aus dem Auto springen zwei nervöse Knaben mit Synthesizern unter dem Arm, gefolgt von einem langen, bebrillten Physiker im blau-gelb gestreiftem Hemd. Sie durchschreiten eine kleine Tür, über der die Worte ³Möbel Perdœã leuchten und nehmen den Innenraum des Ladens in Augenschein. Überall stehen Möbel aus Plastik und Neonröhren herum, deren Preise zwischen 4000 und 10000 Mark variieren. An den Wänden hängen Bilder von Moritz Reichelt, dem Sänger, Gitarristen und Maler der NdW-Band ³Der Planã.
Wir schreiben das Jahr 1984. Ich hatte von Stimmbruch und Mädchen keine Ahnung, wohl aber von Musik und Kraftwerken. In dem einen arbeitete mein Vater mit Lasern, Partikeln und Totalreflexionen und das andere war die berühmte Gruppe, deren abstrakter Backofenpop uns alle drei gleichermaßen begeisterte. Wir, das sind Stefan Mohr, Joachim und Felix Kubin.
Mein forschender Vater hatte mir, als ich 11 Jahre alt war, einen KORG Synthesizer gekauft. Nach einem Jahr nervtötenden Herumquietschens hatte ich den Dreh und ein paar Melodieen und Texte raus und begann, mit einem Freund zusammen aufzutreten.
1984 wurden wir ins 'Möbel Perdœ' eingeladen.
Eine hagere Dame mit Grafikerbrille und schulterlangen braunen Haaren stellt sich uns als Claudia Schneider-Esleben vor.
³Sind Sie die Schwester von...?ã
³Ja, ich bin Florians Schwester...ã
(Stimme des Magens: DIE SCHWESTER VOM KRAFTWERK-CHEF)
³...sagt mal, wieviel Gage wollt ihr denn haben, wärt ihr statt der 300 Mark auch mit 200 zufrieden?ã
³Ach, wissen Sie, ich kann das Geld schon gut gebrauchen, lieber 300.ã
Sie lacht kurz auf. In ihrer Stimme ist etwas Hysterisches.
Wir bauen unsere Instrumente auf. Eine P.A. gibt es nicht, wir mußten meine erbärmliche Hifi-Anlage von zuhause mitnehmen, die schafft gerade mal 100 Watt und ist auch schon nach dem zweiten Song im Arsch, Höhen durch. Egal was sollâs, für die zu erwartenden 150 Mark werde ich mir viel geilere kaufen.
Der Raum, erleuchtet vom unwirklichen, kühlen Neonlicht der Möbel, füllt sich mit illustren Gestalten. Tom Dokoupil (The Wirtschaftswunder) steckt seinen Kopf zur Tür herein. Er soll unsere erste LP produzieren. Ich hatte mir seine Klamotten etwas avantgardistischer vorgestellt. Jetzt steht er da, leicht untersetzt, mit peinlichem Hawaiihemd und unmodischer Jeans und wirkt gleichsam gelangweilt und etwas langweilig. Ein kahlköpfiger Tänzer betritt den Raum. Filmemacher Peter Sempel, schon damals Hofdokumentarist der deutschen Untergrundszene, schreitet umher, ganz in schwarz, mit verknicktem Grinsen im Gesicht, das allen Schwierigkeiten des Lebens zu trotzen scheint.
Und dann betritt ein kleiner Mann, ein Männchen geradezu, den Raum, unauffällig gekleidet und eher unscheinbar.
Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Das ist ER, das ist Wolfgang Flür, der Elektroschlagzeuger der berühmten ³Elektrorockerã (Bravo) KRAFTWERK. Kein Zweifel. Stefan Mohr und ich wechseln ein paar Blicke, dann schnappe ich mir meinen Radiorekoder, mit dem ich unser Konzert mitschneiden wollte, und laufe schnurstracks auf Herrn Flür zu: ³Sind Sie Herr Flür von der Gruppe Kraftwerk?ã - (ungeduldig) ³Ja...ã - ³Dürfen wir ein kurzes Interview mit Ihnen machen, Herr Flür, wir sind auch Elektronikmusiker.ã
Pause. Atmen. Hoffen.
³Nein. Ich bin rein privat hier heute.ã
UNCOOL, dachten wir, der Typ ist uncool. Wir an seiner Stelle würden zwei Teenies SOFORT ein Interview gewähren, aber SOFORT. Ist doch nicht das gleiche. Wir machen doch auch...muß er doch einsehen.
³Wirklich nicht...ganz kurz?ã
³Nein. Entschuldige, ich muß jetzt da rüberã. Abgang, zu irgendwem, alter Partytrick.
Wir schreiben das Jahr 2000. Ich bekomme von einem Freund ein Buch mit dem Titel ³Ich war ein Roboterã in die Hand gedrückt. Der Autor ist Wolfgang Flür. Ich beginne zu lesen und komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Wolfgang Flür klagt auf jeder Seite darüber, daß er von Florian Schneider und Ralf Hütter wie ein Angestellter behandelt wird. Bei Auftritten bekommen Ralf und Flori ein Hotel erster Klasse, Wolfgang und Karl Bartos eins dritter Klasse. Stolz zeigen die beiden Bandleader dem Wolfi zwei vergoldete Uhren, die sie als Belohnung für den Erfolg von ³Autobahnã von ihrer Plattenfirma spendiert bekommen haben. Als Dankeschön. Aber kein Dankeschön für Wolfgang. Er wird ausgenutzt wie ein Roboter, von den anderen gefoppt und veräppelt. Beim Besuch von Helmut Bergers Villa in Italien schubsen und schieben sie ihn immer in Richtung des einsamen Schwulen, versuchen ihn in Bergers Schlafzimmer zu drängen und treiben auch sonst allerhand Scherze mit dem Unglücklichen.
Dabei hat Wolfgang hohe Ansprüche ans Leben: er bemängelt die Zugluft und die dreckigen Straßen in Polen, die unerträgliche feuchte Hitze in Indien. Er lobt die Sauberkeit und die Drinks in Japan. Er macht Wortspiele, er dichtet, macht Witze.
Mir stehen die Haare abwechselnd zu Berge und zu Tal, und werden schließlich beim Epilog für immer grau, als Wolfgang Flür seiner Freude über die Befreiung von der ³Geißel Kraftwerkã, der Emanzipation aus seinem Roboter-Dasein, Ausdruck verleiht, indem er beschreibt, wie er sich, erregt von leichten Sommerwinden, die durch sein Schlafzimmerfenster hereinwehen, einen runterholt. Wolfgang, der Verlassene, der Benachteiligte, der Onanist, der Idiot. Dieses Buch ist ein Kultbuch und es hat mich mit Wolfgang Flürs Interview-Ablehnung versöhnt.
(Beitrag wurde von Felix Kubinski am 12.07.2001 um 05:15 Uhr bearbeitet.)
Wir schreiben das Jahr 1984. Ich hatte von Stimmbruch und Mädchen keine Ahnung, wohl aber von Musik und Kraftwerken. In dem einen arbeitete mein Vater mit Lasern, Partikeln und Totalreflexionen und das andere war die berühmte Gruppe, deren abstrakter Backofenpop uns alle drei gleichermaßen begeisterte. Wir, das sind Stefan Mohr, Joachim und Felix Kubin.
Mein forschender Vater hatte mir, als ich 11 Jahre alt war, einen KORG Synthesizer gekauft. Nach einem Jahr nervtötenden Herumquietschens hatte ich den Dreh und ein paar Melodieen und Texte raus und begann, mit einem Freund zusammen aufzutreten.
1984 wurden wir ins 'Möbel Perdœ' eingeladen.
Eine hagere Dame mit Grafikerbrille und schulterlangen braunen Haaren stellt sich uns als Claudia Schneider-Esleben vor.
³Sind Sie die Schwester von...?ã
³Ja, ich bin Florians Schwester...ã
(Stimme des Magens: DIE SCHWESTER VOM KRAFTWERK-CHEF)
³...sagt mal, wieviel Gage wollt ihr denn haben, wärt ihr statt der 300 Mark auch mit 200 zufrieden?ã
³Ach, wissen Sie, ich kann das Geld schon gut gebrauchen, lieber 300.ã
Sie lacht kurz auf. In ihrer Stimme ist etwas Hysterisches.
Wir bauen unsere Instrumente auf. Eine P.A. gibt es nicht, wir mußten meine erbärmliche Hifi-Anlage von zuhause mitnehmen, die schafft gerade mal 100 Watt und ist auch schon nach dem zweiten Song im Arsch, Höhen durch. Egal was sollâs, für die zu erwartenden 150 Mark werde ich mir viel geilere kaufen.
Der Raum, erleuchtet vom unwirklichen, kühlen Neonlicht der Möbel, füllt sich mit illustren Gestalten. Tom Dokoupil (The Wirtschaftswunder) steckt seinen Kopf zur Tür herein. Er soll unsere erste LP produzieren. Ich hatte mir seine Klamotten etwas avantgardistischer vorgestellt. Jetzt steht er da, leicht untersetzt, mit peinlichem Hawaiihemd und unmodischer Jeans und wirkt gleichsam gelangweilt und etwas langweilig. Ein kahlköpfiger Tänzer betritt den Raum. Filmemacher Peter Sempel, schon damals Hofdokumentarist der deutschen Untergrundszene, schreitet umher, ganz in schwarz, mit verknicktem Grinsen im Gesicht, das allen Schwierigkeiten des Lebens zu trotzen scheint.
Und dann betritt ein kleiner Mann, ein Männchen geradezu, den Raum, unauffällig gekleidet und eher unscheinbar.
Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Das ist ER, das ist Wolfgang Flür, der Elektroschlagzeuger der berühmten ³Elektrorockerã (Bravo) KRAFTWERK. Kein Zweifel. Stefan Mohr und ich wechseln ein paar Blicke, dann schnappe ich mir meinen Radiorekoder, mit dem ich unser Konzert mitschneiden wollte, und laufe schnurstracks auf Herrn Flür zu: ³Sind Sie Herr Flür von der Gruppe Kraftwerk?ã - (ungeduldig) ³Ja...ã - ³Dürfen wir ein kurzes Interview mit Ihnen machen, Herr Flür, wir sind auch Elektronikmusiker.ã
Pause. Atmen. Hoffen.
³Nein. Ich bin rein privat hier heute.ã
UNCOOL, dachten wir, der Typ ist uncool. Wir an seiner Stelle würden zwei Teenies SOFORT ein Interview gewähren, aber SOFORT. Ist doch nicht das gleiche. Wir machen doch auch...muß er doch einsehen.
³Wirklich nicht...ganz kurz?ã
³Nein. Entschuldige, ich muß jetzt da rüberã. Abgang, zu irgendwem, alter Partytrick.
Wir schreiben das Jahr 2000. Ich bekomme von einem Freund ein Buch mit dem Titel ³Ich war ein Roboterã in die Hand gedrückt. Der Autor ist Wolfgang Flür. Ich beginne zu lesen und komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Wolfgang Flür klagt auf jeder Seite darüber, daß er von Florian Schneider und Ralf Hütter wie ein Angestellter behandelt wird. Bei Auftritten bekommen Ralf und Flori ein Hotel erster Klasse, Wolfgang und Karl Bartos eins dritter Klasse. Stolz zeigen die beiden Bandleader dem Wolfi zwei vergoldete Uhren, die sie als Belohnung für den Erfolg von ³Autobahnã von ihrer Plattenfirma spendiert bekommen haben. Als Dankeschön. Aber kein Dankeschön für Wolfgang. Er wird ausgenutzt wie ein Roboter, von den anderen gefoppt und veräppelt. Beim Besuch von Helmut Bergers Villa in Italien schubsen und schieben sie ihn immer in Richtung des einsamen Schwulen, versuchen ihn in Bergers Schlafzimmer zu drängen und treiben auch sonst allerhand Scherze mit dem Unglücklichen.
Dabei hat Wolfgang hohe Ansprüche ans Leben: er bemängelt die Zugluft und die dreckigen Straßen in Polen, die unerträgliche feuchte Hitze in Indien. Er lobt die Sauberkeit und die Drinks in Japan. Er macht Wortspiele, er dichtet, macht Witze.
Mir stehen die Haare abwechselnd zu Berge und zu Tal, und werden schließlich beim Epilog für immer grau, als Wolfgang Flür seiner Freude über die Befreiung von der ³Geißel Kraftwerkã, der Emanzipation aus seinem Roboter-Dasein, Ausdruck verleiht, indem er beschreibt, wie er sich, erregt von leichten Sommerwinden, die durch sein Schlafzimmerfenster hereinwehen, einen runterholt. Wolfgang, der Verlassene, der Benachteiligte, der Onanist, der Idiot. Dieses Buch ist ein Kultbuch und es hat mich mit Wolfgang Flürs Interview-Ablehnung versöhnt.
(Beitrag wurde von Felix Kubinski am 12.07.2001 um 05:15 Uhr bearbeitet.)