Goodwill
06.07.2001, 15:57
Da stand er nun mit seiner altherren-beigen Hose. In der Hand eine chromblitzende Krücke. Dicht dabei offensichtlich seine Frau, die in ihrer Handtasche kramte und gleichzeitig auf der anderen Krücke Halt suchte.
Rolf E. Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG fast allein. Am 29. Juni 2001 in Venedig auf dem Gelände der Biennale. Die Augen hinter der Pseudo-Intellektuellenbrille scheinen nervös die Umgebung nach einer Kamera abzusuchen. Hinter der hochroten Gesichtsfassade möglicherweise nur der eine Gedanke: ÈHoffentlich fotografiert mich niemand.Ç Ein Finanzmagnat mit Krücke! Noch dazu in einem kurzärmeligen weißen Hemd, unter dem sich sichtbar ein Tonnenbäuchlein wölbt. Er hat Schweißperlen auf der Stirn. Uns signalisiert Stress. Hilflosigkeit. Verletzlichkeit. Wenn dieses Bild um die Welt ginge - die Aktienkurse seiner Bank würden augenblicklich ins Rutschen geraten. Und fallen. Und fallen. Gottseidank, die Suche ist beendet. Endlich ist er die Krücke los. Die Frau müht sich auf den französichen Pavillon zu. Der goldene Löwe der Finanzwirtschaft hinterher. Schnell verschwinden die beiden im Dunkel der Videoinstallation: Zwei Häuser bei Nacht, in Zeitraffer gefilmt, die Wohnlichter blinken hektisch. Dann nach schräg gegenüber zu den Japanern mit der begehbaren Arena aus gelb leuchtenden McDonald«s-Ms. Ich beschließe, mein Konto bei der Deutschen Bank demnächst aufzulösen.
Ein Tag später, Samstag 30. Juni. Das Weltwirtschaftsforum in Salzburg beginnt in wenigen Stunden. Wieder auf der Kunstausstellung. Diesmal im Arsenal, einem irren ehemaligen Militärgelände. Auch hier Videoinstallationen ohne Ende. Aber bessere. Und dazwischen Fotos, Plakate, hyperrealistische Plastiken, ein heruntergekommener Laden, in dem die Dosen, Flaschen, Tüten umettikettiert worden sind. Hier kann man jetzt ÈBesseres LebenÇ kaufen oder ÈGlückÇ. Und wieder taucht Breuer zwischen den Gipswänden auf. Wieder mit seiner Frau. Ein Tycoon als Touri. Der Große auf Normalmaß. Sie bleiben neben einer Installation stehen, scheinen sich zu beraten, bilden eine kleine Menschen-Insel. Hinter Breuer wird das Kleine groß gemacht. Auf Wandgröße hochkopierte Zeitungsartikel zeigen einen Mann, der in England und Frankreich umsonst shoppt, indem er nur abgelaufene Lebensmittel zur Kasse trägt und sich anschließend empört das Geld zurückgeben lässt. Ein Foto zeigt den Engländer mit nach Außen gezogenen leeren Hosentaschen hinter einem randvollen Einkaufswagen. In einem Auto läuft ein Fernsehbeitrag über den Mann in Endlosschleife. Breuer hat kein Interesse an dieser Form des Anti-Kapitalismus. Weiter, befiehlt sein strebender Blick. Seine Frau fügt sich, stengt ein Lächeln an, stemmt sich ächzend in ihre blitzblanken Eisen.
Vorbei an Plakaten aus Bosnien. Darauf: Eine Hand mit amputiertem Daumen und gespreiztem Zeige- und Mittelfinger. Darunter dick: ÈPeace, brother!Ç Breuer scheinbar mit Scheuklappen auf. Was für ein Bild: Der Großbanker inmitten von bunter Kunst und Satire. Er wirkt wie ein Philosoph im Nachtclub: irgendwie tragikomisch, unfähig zur Extase. Wieder kein Bodyguard in der Nähe. Wieder der erhitzte Leuchtturm-Blick. Wieder die gleiche Opa-Hose, das Hemd, der Bauch, die Gehetztheit. Und das bei geschätzten 15 Millionen Mark Jahresverdienst. Ein Paar in Bewegung. Nur schnell nach draußen. Summt er ÈBrüder, zur Sonne zur Freiheit!Ç? Ich muss mich verhört haben.
Rolf E. Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG fast allein. Am 29. Juni 2001 in Venedig auf dem Gelände der Biennale. Die Augen hinter der Pseudo-Intellektuellenbrille scheinen nervös die Umgebung nach einer Kamera abzusuchen. Hinter der hochroten Gesichtsfassade möglicherweise nur der eine Gedanke: ÈHoffentlich fotografiert mich niemand.Ç Ein Finanzmagnat mit Krücke! Noch dazu in einem kurzärmeligen weißen Hemd, unter dem sich sichtbar ein Tonnenbäuchlein wölbt. Er hat Schweißperlen auf der Stirn. Uns signalisiert Stress. Hilflosigkeit. Verletzlichkeit. Wenn dieses Bild um die Welt ginge - die Aktienkurse seiner Bank würden augenblicklich ins Rutschen geraten. Und fallen. Und fallen. Gottseidank, die Suche ist beendet. Endlich ist er die Krücke los. Die Frau müht sich auf den französichen Pavillon zu. Der goldene Löwe der Finanzwirtschaft hinterher. Schnell verschwinden die beiden im Dunkel der Videoinstallation: Zwei Häuser bei Nacht, in Zeitraffer gefilmt, die Wohnlichter blinken hektisch. Dann nach schräg gegenüber zu den Japanern mit der begehbaren Arena aus gelb leuchtenden McDonald«s-Ms. Ich beschließe, mein Konto bei der Deutschen Bank demnächst aufzulösen.
Ein Tag später, Samstag 30. Juni. Das Weltwirtschaftsforum in Salzburg beginnt in wenigen Stunden. Wieder auf der Kunstausstellung. Diesmal im Arsenal, einem irren ehemaligen Militärgelände. Auch hier Videoinstallationen ohne Ende. Aber bessere. Und dazwischen Fotos, Plakate, hyperrealistische Plastiken, ein heruntergekommener Laden, in dem die Dosen, Flaschen, Tüten umettikettiert worden sind. Hier kann man jetzt ÈBesseres LebenÇ kaufen oder ÈGlückÇ. Und wieder taucht Breuer zwischen den Gipswänden auf. Wieder mit seiner Frau. Ein Tycoon als Touri. Der Große auf Normalmaß. Sie bleiben neben einer Installation stehen, scheinen sich zu beraten, bilden eine kleine Menschen-Insel. Hinter Breuer wird das Kleine groß gemacht. Auf Wandgröße hochkopierte Zeitungsartikel zeigen einen Mann, der in England und Frankreich umsonst shoppt, indem er nur abgelaufene Lebensmittel zur Kasse trägt und sich anschließend empört das Geld zurückgeben lässt. Ein Foto zeigt den Engländer mit nach Außen gezogenen leeren Hosentaschen hinter einem randvollen Einkaufswagen. In einem Auto läuft ein Fernsehbeitrag über den Mann in Endlosschleife. Breuer hat kein Interesse an dieser Form des Anti-Kapitalismus. Weiter, befiehlt sein strebender Blick. Seine Frau fügt sich, stengt ein Lächeln an, stemmt sich ächzend in ihre blitzblanken Eisen.
Vorbei an Plakaten aus Bosnien. Darauf: Eine Hand mit amputiertem Daumen und gespreiztem Zeige- und Mittelfinger. Darunter dick: ÈPeace, brother!Ç Breuer scheinbar mit Scheuklappen auf. Was für ein Bild: Der Großbanker inmitten von bunter Kunst und Satire. Er wirkt wie ein Philosoph im Nachtclub: irgendwie tragikomisch, unfähig zur Extase. Wieder kein Bodyguard in der Nähe. Wieder der erhitzte Leuchtturm-Blick. Wieder die gleiche Opa-Hose, das Hemd, der Bauch, die Gehetztheit. Und das bei geschätzten 15 Millionen Mark Jahresverdienst. Ein Paar in Bewegung. Nur schnell nach draußen. Summt er ÈBrüder, zur Sonne zur Freiheit!Ç? Ich muss mich verhört haben.