BSemmer
04.07.2001, 13:57
Alfred Greisinger leitet das Cafe König seit fünf Jahren, oder auch zehn. Früher war er hier einmal Pralinenmeister, danach Backstubenleiter, alles unter'm alten König, der ein Genie war, wie Alfred sagt. Herr Greisinger ist als Kunstsammler über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, er sammelt vor allem Beuys und seine Schüler, namentlich Droese, Knoebel etc., und hat sich als einer der ersten Käufer der heute unbezahlbaren Rosemarie Trockel hervorgetan, damals in der Galerie Tanit in München. Als ich ihn zum ersten mal bewußt wahrnahm, war ich sicher schon drei Jahre in Baden-Baden. Den Besuch von Cafehäusern diesen althergebrachten Stils hatte ich mir seit Münster (Cafe Schucan) abgewöhnt. Ausserdem hatte ich ja keine Zeit für sowas, da ich rund um die Uhr schuftete und abends zur Kleinstfamilie nach Hause ging.
Jedenfalls kam ich mit ihm ins Gespräch Ð er steht ja auch immer am Tresen und redet mit allen. So findet er heraus, welche Kuchen gefragt sind, z.B. solche mit wenig Zucker, wegen der Gesundheit. Der Kopf des Herrn Greisinger biegt sich beim Reden etwas nach hinten, mag sein, daß es an der Brille liegt, die immer auf der Nase herunterrutscht, so daß das Blickfeld eigentlich weiter unten wäre Ð dafür würde sprechen, daß er sich die Brille gelegentlich hochschiebt. Mag auch sein, er hat es sich angewöhnt, auf die Leute herabzublicken. ãHier werden Sie geschleiftÓ, ãSie müssen hier wegÓ, peitscht es mir regelmäßig um die Ohren, seit ich einmal fallenließ, daß ich erwäge, Baden-Baden gegen eine Großstadt einzutauschen.
Früher führte er das Kunstcafe Drechsel (Schreibweise?) in Augsburg, da war es immer voll. weil die Leute da was von Kunst verstehen, nehme ich an. Und hier, warum hängt er hier nicht mal was auf aus der Sammlung? Die nehmen doch sogar die silbernen Kännchen mit, das Stück für 3000.- Mark.
In den Schaukästen um den schattigen Innenhof hängen Plakate, auf denen Filzhüte zu sehen sind, wie man sie von Beuys her kennt. Kunsthaus Villa Roosevelt, steht darunter Ð da wohnt er. Schlägt man die Speisekarte auf, so wechseln kakaotragende Biedermeierdamen mit moderner Kunst ab. Eine einladung in die Villa des ehemaligen US-Präsidenten habe ich bis heute nicht erhalten.
Neulich stand ich also wieder einmal plaudernd an der Theke, Ð manchmal kaufe ich auch ein Stück Kuchen oder eine Brezel, Ð da raunt er mir zu: ãWissen Sie wer jetzt kommt? Der Reich-Ranicki.Ó Das geht schon die Tür auf und ein kleines, gebeugtes Männlein kommt herein, in seinem Körperschatten eine noch viel winzigere Frau, Teofila. ãGrrrroßer Meister, ich grrrrrüße SieÓ, mit diesen Worten tritt der Literaturpapst in den Verkaufsraum, ordert sogleich ein paar Stücke Kuchen und fragt herrisch, ob denn auch wirklich Zeitungen da sind, namentlich die FAZ. Wenn die nämlich nicht da ist, gibt's ein Donnerwetter. Als der bekannte Gast dann um die Ecke ist (ein großer weitverzweigter Cafésaal schließt sich an, mit vielen Nischen, alles vom Genie König persönlich eingerichtet, also von 1950), überlege ich, wie ich wohl auf die Ankunft einer solchen Berühmtheit reagieren soll (damals waren mir hoefliche Paparazzi noch unbekannt), und ich hatte den Einfall, der mir wohl am natürlichsten schien: ich könnte ihn ja fragen, ob ich ihn malen darf.
Ich wußte zwar nicht, ob der Annäherungsversuch an Reich-Ranicki erfolgreich sein würde, ob es nicht zu penetrant, also unhöflich wäre, aber Herr Greisinger riet mir auch, es zu wagen. Also ging ich hin, klopfte förmlich in der Luft vor seinem Tisch an und nahm auch Blickkontakt mit seiner Frau auf.
Ich stellte mich also vor, entschuldigte mich für die Störung usw., und richtete die Frage an ihn, ob ich ihn einmal malen dürfte. Das hätte ich wohl besser nicht gemacht! Für so etwas habe ich keine Zeit, fuhr es aus ihm heraus, und er sei schon tausendmal gemalt worden, und überhaupt, für so etwas sei er zu alt. Unwirscher und indignierter hätte seine Antwort wohl nicht ausfallen können, jedenfalls für mein Gefühl in dem Moment. Nur Teofila lächelte weiter ungerührt vor sich hin. Jetzt könnte natürlich jemand sagen, ich hätte es nur falsch angefangen, aber ich bin fest der Überzeugung, daß er sich wirklich nicht malen lassen wollte, nicht von mir oder von irgendjemand anderem. Ich zog mich zurück. Nicht einmal die Wegwerfkamera, die ich mir eigens vorher gekauft hatte, weil ich meine nicht dabei hatte (das war eine Frage von zehn Sekunden), traute ich mich noch aus der Tasche zu ziehen. Ich murmelte noch sowas wie: na, dann male ich Sie eben vom Fernsehen ab. Woran man mal wieder sieht: Das Medium ist die Botschaft. Oder so.
PS: Seit diesem Ereignis hat sich Herr Greisinger gewandelt. An den Wänden seines altmodischen Cafés hängen jetzt moderne Kunstwerke, z.B. leere Keilrahmen von Imi Knoebel, sowie Fotos, die ihn selbst als jungen Mann mit Josef Beuys zeigen.
PPS: Ich kann es ihm nicht verübeln,dass er sich zu alt fühlt, aber ich hätte ihn schon etwas embelliert! Im übrigen wäre auch nicht viel Zeit dabei vorloren gegangen, die doch so kostbar ist, für eine Berühmtheit wie ihn.
Jedenfalls kam ich mit ihm ins Gespräch Ð er steht ja auch immer am Tresen und redet mit allen. So findet er heraus, welche Kuchen gefragt sind, z.B. solche mit wenig Zucker, wegen der Gesundheit. Der Kopf des Herrn Greisinger biegt sich beim Reden etwas nach hinten, mag sein, daß es an der Brille liegt, die immer auf der Nase herunterrutscht, so daß das Blickfeld eigentlich weiter unten wäre Ð dafür würde sprechen, daß er sich die Brille gelegentlich hochschiebt. Mag auch sein, er hat es sich angewöhnt, auf die Leute herabzublicken. ãHier werden Sie geschleiftÓ, ãSie müssen hier wegÓ, peitscht es mir regelmäßig um die Ohren, seit ich einmal fallenließ, daß ich erwäge, Baden-Baden gegen eine Großstadt einzutauschen.
Früher führte er das Kunstcafe Drechsel (Schreibweise?) in Augsburg, da war es immer voll. weil die Leute da was von Kunst verstehen, nehme ich an. Und hier, warum hängt er hier nicht mal was auf aus der Sammlung? Die nehmen doch sogar die silbernen Kännchen mit, das Stück für 3000.- Mark.
In den Schaukästen um den schattigen Innenhof hängen Plakate, auf denen Filzhüte zu sehen sind, wie man sie von Beuys her kennt. Kunsthaus Villa Roosevelt, steht darunter Ð da wohnt er. Schlägt man die Speisekarte auf, so wechseln kakaotragende Biedermeierdamen mit moderner Kunst ab. Eine einladung in die Villa des ehemaligen US-Präsidenten habe ich bis heute nicht erhalten.
Neulich stand ich also wieder einmal plaudernd an der Theke, Ð manchmal kaufe ich auch ein Stück Kuchen oder eine Brezel, Ð da raunt er mir zu: ãWissen Sie wer jetzt kommt? Der Reich-Ranicki.Ó Das geht schon die Tür auf und ein kleines, gebeugtes Männlein kommt herein, in seinem Körperschatten eine noch viel winzigere Frau, Teofila. ãGrrrroßer Meister, ich grrrrrüße SieÓ, mit diesen Worten tritt der Literaturpapst in den Verkaufsraum, ordert sogleich ein paar Stücke Kuchen und fragt herrisch, ob denn auch wirklich Zeitungen da sind, namentlich die FAZ. Wenn die nämlich nicht da ist, gibt's ein Donnerwetter. Als der bekannte Gast dann um die Ecke ist (ein großer weitverzweigter Cafésaal schließt sich an, mit vielen Nischen, alles vom Genie König persönlich eingerichtet, also von 1950), überlege ich, wie ich wohl auf die Ankunft einer solchen Berühmtheit reagieren soll (damals waren mir hoefliche Paparazzi noch unbekannt), und ich hatte den Einfall, der mir wohl am natürlichsten schien: ich könnte ihn ja fragen, ob ich ihn malen darf.
Ich wußte zwar nicht, ob der Annäherungsversuch an Reich-Ranicki erfolgreich sein würde, ob es nicht zu penetrant, also unhöflich wäre, aber Herr Greisinger riet mir auch, es zu wagen. Also ging ich hin, klopfte förmlich in der Luft vor seinem Tisch an und nahm auch Blickkontakt mit seiner Frau auf.
Ich stellte mich also vor, entschuldigte mich für die Störung usw., und richtete die Frage an ihn, ob ich ihn einmal malen dürfte. Das hätte ich wohl besser nicht gemacht! Für so etwas habe ich keine Zeit, fuhr es aus ihm heraus, und er sei schon tausendmal gemalt worden, und überhaupt, für so etwas sei er zu alt. Unwirscher und indignierter hätte seine Antwort wohl nicht ausfallen können, jedenfalls für mein Gefühl in dem Moment. Nur Teofila lächelte weiter ungerührt vor sich hin. Jetzt könnte natürlich jemand sagen, ich hätte es nur falsch angefangen, aber ich bin fest der Überzeugung, daß er sich wirklich nicht malen lassen wollte, nicht von mir oder von irgendjemand anderem. Ich zog mich zurück. Nicht einmal die Wegwerfkamera, die ich mir eigens vorher gekauft hatte, weil ich meine nicht dabei hatte (das war eine Frage von zehn Sekunden), traute ich mich noch aus der Tasche zu ziehen. Ich murmelte noch sowas wie: na, dann male ich Sie eben vom Fernsehen ab. Woran man mal wieder sieht: Das Medium ist die Botschaft. Oder so.
PS: Seit diesem Ereignis hat sich Herr Greisinger gewandelt. An den Wänden seines altmodischen Cafés hängen jetzt moderne Kunstwerke, z.B. leere Keilrahmen von Imi Knoebel, sowie Fotos, die ihn selbst als jungen Mann mit Josef Beuys zeigen.
PPS: Ich kann es ihm nicht verübeln,dass er sich zu alt fühlt, aber ich hätte ihn schon etwas embelliert! Im übrigen wäre auch nicht viel Zeit dabei vorloren gegangen, die doch so kostbar ist, für eine Berühmtheit wie ihn.