PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Taschner, Pepi



honz
16.06.2001, 19:48
Pepi Taschner war der König der Taschendiebe. Er erlangte durch ein Buch des Wiener Soziologieprofessors Roland Girtler ein gewisses Maß an lokaler Berühmtheit. (Der Adler und die drei Punkte - die gescheiterte kriminelle Karriere des Ganoven Pepi Taschner (Ein Bild aus der Wiener Szene der Kriminalität, des verbotenen Glücksspiels und der Prostitution - mit einem Anhang über die Wiener Gaunersprache), Wien 1983). Er wurde dann auf Partys rumgereicht. Vor ein paar Jahren ist er gestorben.
Als ich noch in Wien studierte, hatte ich eine Freundin namens Michi, eine Salonkommunistin. Michi war immer schwarz gekleidet, gut geschminkt, sie hatte sehr schöne lange schwarze Haare, grüne Augen, leichte Sommersprossen, guter Teint, ich fand sie sehr erotisch, hatte aber nie etwas mit ihr, wir gingen saufen.
Das Saufen-gehen folgte einem festen Ritual: wir trafen uns alle paar Monate, meistens mittags, zufällig in der Stadt, freuten uns, uns zu sehen, man könne ja noch auf ein Kaffee, aber nicht so lange, man müsse ja noch ins Seminar, das trifft sich gut, ich muss nämlich noch lernen, also gut, nur kurz ins Kaffeehaus.
Diese kurzen Begegnungen auf einen Kaffe oder ein Achtel Rot endeten in der Regel am nächsten Morgen in einer Bar namens Ya in der Schönlaterngasse. Das Lokal gibt unter diesem Namen heute nicht mehr, es hat den Besitzer gewechselt.
Der damalige Besitzer hatte etwas Tragisches. Er war ein erfolgreicher Nachtlokalbesitzer, hatte viel Geld mit einem sehr angesagten Szeneladen am Ring gemacht, es war so ein 80-er Jahre schickes Teil kurz vor dem Prückel. Das war ihm zu groß, er wollte etwas Kleineres, Intimeres, deshalb hat er das Ya, eine kleine Edel-Bar aus Marmor und Leder sowie ausgetüftelter teurer Beleuchtung aufgemacht.
Das besondere am Ya war, dass es bis ca. 4 Uhr morgens immer leer war, maximal zwei bis drei Gäste. Es war dann so leer, dass man sich nicht traute laut zu sprechen. Der Besitzer war immer traurig. Er stand hinter dem steinernen Tresen und telefonierte mit seiner Ex-Frau, sehr leise, es ging immer um die Frage wann er denn seinen kleinen Sohn sehen dürfe, man konnte an seiner Miene erkennen, dass es am Wochenende wieder nichts werden würde, er wurde noch trauriger, dann kam er angeschlurft und servierte noch einen Bellini, das Lieblingsgetränk der Salonkommunistin. In seinen Augen spiegelte sich die gesamte Traurigkeit eines Menschens wieder der weiß, daß er nichts ändern kann und sich damit abgefunden hat.
Ab vier wurde es meist schlagartig brechend voll, dann spülte es ein Gemisch aus Kellnern und Rest-Nachtschwärmer hinein, auch dieses Gemisch folgte festen Regeln: Um drei in der früh schloss das Alt Wien, dann ging man weiter ins Panigl, um halb vier kamen die Kellner aus dem Alt-Wien nach. Um vier schloss das Panigl, man zog gemeinsam mit den Alt-Wien-Kellnern ins Ya, und um halb fünf kamen die Panigl-Kellner nach und dann ging es ab.

Auch Michi und ich gehörten an diesem Tag zum Strom ins Ya gespülter Leute. Wie immer hatten wir gegen Abend im Kaffeehaus beschlossen, dass es wohl mit dem Studieren heute nichts mehr werden würde. Das Ritual sah dann vor Öltauben schießen zu gehen, denn wir hatten meistens wenig Geld. Wie das Öltaubenschießen funktioniert hat mir meine Mutter beigebracht, es geht ganz einfach: Man gibt sich als leicht verstrittenes, vom Gegenüber gelangweiltes Paar. Der weibliche Teil des Paares signalisiert einem älteren, alleinstehenden solventen Herren, scheinbar heimliche erotische Signale, der männliche Part spielt den Langeweiler und tut so, als ob er von alldem nichts mitbekommen würde.
Wer mich kennt weiß, dass ich mit dem männlichen Part keinerlei Probleme habe, und Michi spielte ihre Rolle perfekt. Wir waren ins Panigl gespült worden, ich hatte zunächst Bedenken, denn seitdem ich einmal im Vollsuff den Toilettensitz auf dem Herrenklo mit meinem Schädel gespalten habe, hatte ich dort Hausverbot. Doch die Salonkommunistin meinte das Panigl sei der ideale Ort um Öltauben zu schießen, denn es mangele nicht an älteren, solventen Geiferern, und sie hatte wie immer recht. In kürzester Zeit hatte sie sich ein Opfer ausgespäht, der uns beiden nicht nur Wein, sondern auch einen Käseteller spendierte. Diese Methode ist todsicher und funktioniert immer, denn sie zielt auf die Urinstinkte aller Männer, der Jagd nach Trophäen und den Triumph über den Konkurrenten. Ich schaute gelangweilt in die Weinkarte, und die Öltaube in den Ausschnitt Michis, sie hat einen tollen Ausschnitt, dort sagen sich Sommersprossen und Schweißperlen guten Tag, ihr Busen kann vor geheuchelter Begeisterung beben. Die Öltaube fühlt sich wie ein Ölscheich und gibt gleich noch ein Flascherl aus, er suhlt sich im Lichte eigener Brillianz, mit höflicher Verachtung für den Trottel, der solch Weibstück nicht halten kann.
Michi liebt dieses Spiel mit sadistischen Vergnügen, sie hatte die Öltaube so weit, uns ins Ya gegenüber einzuladen. Ich war schon ziemlich hinüber, und ließ mich in einen Sessel fallen und genoss das wilde Treiben wie in Trance, die Öltaube hatte Champagner bestellt, das Lokal wurde immer voller, es war ein wildes Geschrei, lauter enthemmte Menschen in guter Kleidung in dieser Edel-Bar, es gab kaum noch Platz, elegante Damen in Abendgarderobe feierten schon in den Toiletten.
So gegen halb siebenUhr früh ging die Tür auf und ein kleiner Mann mit grauem, schütteren Haar in einem Trainingsanzug schob ein Fahrrad hinein. Es war ein ganz normales Herrenrad, auf dem Gepäckträger war eine Plastiktüte mit einem Gummistraps befestigt. Der Mann grüßte den Besitzer, dem traurigen Wirt huschte für kurze Zeit ein Lächeln übers Gesicht, dann stellte der Mann sein Fahrrad auf dem Marmorboden vor den Toiletten ab, löste den Gummistraps und nahm die Plastiktüte vom Gepäckträger und sagte, freundlich lächelnd, ganz beiläufig, 'man muss aufpassen, es wird einem ja heutzutage so viel geklaut.'
Der Mann war Pepi Taschner, der König der Taschendiebe, ich wusste nicht wer er war, aber Michi hat es mir erklärt.

Angelika Maisch
16.06.2001, 20:51
Verdammt, schon wieder ein neuer Honz!
Und wo steckt Hanswasheiri? Langsam bin ich besorgt.

Schmarotzertierchen
16.06.2001, 23:37
Hoch lebe Honz, der König aller Schmarotzertierchen!

Yvonne Caldenberg
17.06.2001, 02:36
Ja! Es gibt doch noch schöne Geschichten hier. (Gibt's gelegentlich, leider etwas verloren, zwischen den Posereien).
Aber vor dem Lob noch drei Sachen, die mir beim Lesen passiert sind:
- Verleser: Erst hatte ich 'Salonkolumnistin' gelesen - mein Traumjob! Salons besuchen und eine kleine Kolumne drüber schreiben. Leider hieß es dann nur 'Salonkommunistin' (seufz). Passt aber besser in die Geschichte. Außerdem las ich 'Urin/stinkte der Männer'. Gleich fiel mir auf, dass ich das Wort schon mehr als einmal falsch gelesen habe. Aber hier passt es fast wirklich gut.
Weiter: Dass der Herr Taschendieb 'Taschner' heißt ... aber dafür gibt es ja einen eigenen Strang.
Ach, vergessen, viertens: War es wirklich ein Gummistraps auf dem Radsattel? Oder ist das nur ein Wiener Ausdruck für 'Spanner' oder wie immer diese Stretchdinger mir den Haken heißen?
Ja, es ist eine ganz wunderbare Geschichte. Ängstliche Star-Taschendiebe ... wahrscheinlich ist auch David Copperfields größte Sorge, dass er mal einem echten Zauberer begegnen könnte und Stefan Raab träumt schlecht, weil er fürchtet, von jemandem verarscht zu werden.

Frau H aus B
17.06.2001, 03:25
Ich habe auch 'Salonkolumnistin' gelesen. Ein schöner Beruf. Es sollte ihn geben.
Davon abgesehen läßt die Geschichte keine Wünsche offen. Ein echter Honz!

Ignaz Wrobel
17.06.2001, 12:33
Genial,genial, honz robbt sich an Wilfried Wieser heran, und zwar mit ganz eigenem Stil. Besonders nett finde ich, daß der Paparazzte eigentlich nur eine Nebenrolle spielt, dennoch ist sein Erscheinen der Höhepunkt der Story.
Zitat, ohne Kommentar:
Ich schaute gelangweilt in die Weinkarte, und die Öltaube in den Ausschnitt Michis, sie hat einen tollen Ausschnitt, dort sagen sich Sommersprossen und Schweißperlen guten Tag, ihr Busen kann vor geheuchelter Begeisterung beben.

U_Sterblich
17.06.2001, 15:52
Öltauben schießen!!! Herrlich!!! Endlich eine schöne Idee, die sich fürs dröge Münchner Nachtleben trefflich eignet!!!
Öltauben über Öltauben, auf ins P1!

O de Cologne
17.06.2001, 17:03
'...seitdem ich einmal ... den Toilettensitz auf dem Herrenklo mit meinem Schädel gespalten habe...'
der gute alte langeweiler honz. galant und doch schlagkräftig.
maximum respect

DerCaptain
17.06.2001, 17:51
Ja, endlich mal eine schöne, neue Perle hier neben dem ganzen Gepose...unschuldig kuckend ab
------------------
'Ich könnt mich manchmal selbst küssen...'


(Beitrag wurde von DerCaptain am 17.06.2001 um 16:51 Uhr bearbeitet.)

honz
17.06.2001, 19:04
Ich habe auch immer Salonkolumnistin geschrieben, aus mit unergründlichen Gründen war ich unfähig das Wort Salonkommunistin tippen, ich glaube ich spürte mit meinem männlichen Urinstinkt die heute Bekanntgabe der Kandidatur Gregor Gysis zum regierenden Bürgermeister von Berlin

McGoohan
18.06.2001, 16:48
über die salonkommunistin bin ich nicht gestolpert, aber die gummistraps haben (ausser yvonne caldenberg) auch mich irritiert. mir ist dieses teil lediglich unter dem namen 'gummispinne' bekannt.
war honz so hingerissen in der erinnerung an die erotische ausstrahlung von michi, dass aus einer simplen fahrrad-gepäckträger-halterung 'gummistrapse' wurden, oder nennt man die dinger irgendwo im sprachraum wirklich so?

Edmund
18.06.2001, 20:30
Bin über gar nichts gestolpert. Ein Honz aus einem Guss.
Öltauben, Michi Wagenknecht, Schönlaterngasse, Fahrräder mit Strapsen - was will man mehr? Ich bin geneigt, Honz die gleiche Verehrung wie Polykrates zukommen zu lassen.
In der gesprochenen Sprache ist es übrigens auch im Holsteinischen üblich, besagte Spanndinger als (Gummi)strapse zu bezeichnen. Aus Mangel an praktikablen Alternativen, nehme ich an.
Mag's furchtbar Gern:
Edmund

hanswasheiri
21.06.2001, 18:01
Ein schöner neuer Honz, mit nur 11 Beiträgen viel zu wenig gewürdigt. Aber vielleicht ist es in einer Zeit, da 'Poser R' gepaperazzt von Poser R., 125 Antworten bekommt, ein Qualitätsmerkmal, nur wenige und kurze Antworten zu bekommen.

Andrea Maria
21.06.2001, 18:25
Ja fürwahr eine bezaubernde Geschichte, die das frühmorgendliche Wien sehr gut illustriert. Ich habe alle diese Lokale selbst ausgiebig bereist und kann die Genauigkeit der vorliegenden Honzette nur loben.
Ein Lokal, dass sich auch gut zum Aufgabeln von Panigl-Kellnern eignete, war das Pane. Auch Öltauben gab es dort zuhauf.
Ich bin beruflich Salonkolumnistin. Dass ich auch Kommunistin bin, beweist, dass sich die beiden Begriffe nicht wirklich ausschliessen müssen.
Ich bereite gerade das Kolumnistische Manifest vor.
------------------
OProfPap. Andrea Maria Dusl
Meisterklasse für politischen Paparazzismus

Tex Rubinowitz
21.06.2001, 19:23
Du bist doch keine Kommunistin, Du bist doch neulich der Sozialistischen Partei Österreichs beigetreten! Wegen dem karpfengesichtigen Vorsitzenden. Hast Du übrigens noch Kaviar? verkaufst mir welchen, ich hab noch Griwna.

Andrea Maria
21.06.2001, 19:42
Kommunisten und Sozialisten. Alles die gleichen Marx Brothers.
Ikra hab ich noch, aber ich glaub, ich brauch ganz sicher keine Griwna mehr. Komm doch mal kosten.
------------------
OProfPap. Andrea Maria Dusl
Meisterklasse für politischen Paparazzismus

Andrea Maria
21.06.2001, 19:44
Kommunisten und Sozialisten. Alles die gleichen Marx Brothers.
Ikra hab ich noch, aber ich glaub, ich brauch ganz sicher keine Griwna mehr. Komm doch mal kosten.
------------------
OProfPap. Andrea Maria Dusl
Meisterklasse für politischen Paparazzismus

Larry Erbs
21.06.2001, 19:47
Für mich bitte bitte auch Griwna, was immer das sei. Fischeier bitte nur aus Bodenhaltung.

Andrea Maria
21.06.2001, 19:49
Griwna ist die Nachfolgewährung des Rubel in der Ukraine. Und Störeier (russisch: Ikra) aus Bodenhaltung müssten, glaub ich, eher seltsam schmecken. Da kann ich nur abraten von. Griwna aus Bodenhaltung schmecken auch eher fade.
(Beitrag wurde von Andrea Maria am 21.06.2001 um 21:53 Uhr bearbeitet.)

Znarf
22.06.2001, 10:37
Tex, bist du für oder gegen Karpfen?

Tex Rubinowitz
23.06.2001, 22:22
Das gibts ja nicht, ZNARF IST WIEDER DA.
Wo warst die ganze Zeit, oder bist Du Andrea? Hier hat ja jeder mindestens 3 Existenzen, was ich gestern alles in Zürich erfahren habe, unglaublich.
Ich bin gegen Karpfen, ich esse keinen Fisch, der Teichschwein im Volksmund heisst, aber der Vorsitzende der sozialistischen Partei österreichs ist schon in Ordnung, und dass Haider glaubt, in seiner grenzenlosen Naivität, er ässe mit Hammer und Sichel, macht den Mann natürlich noch sympathischer.

Znarf
25.06.2001, 11:40
Also Andrea heiß ich nicht, da ich weder zwei Apparate zum Nüsseknacken besitze noch Italiener bin.

BSemmer
25.06.2001, 12:36
Ya Ð sieht aus wie die Loos-Bar, in der ich vor Jahren einmal mit Martin Prinzhorn war Ð auch ein traurig dreinschauender Mann. Wunderschöne Geschichte, nicht schlampig.

Reverend Tex
01.08.2001, 00:29
.

Ella Roc
14.10.2001, 20:49
.

Walter Schmidtchen
10.06.2002, 16:49
Guest
Liest den Thread Pepi Taschner und denkt an die versäumten Spiele der WM 2002
16:38

Guter Gast.

Wie ist eigentlich Tunesien Belgien ausgegangen?

DonDahlmann
10.06.2002, 16:53
1:1

Edding Kaiser
13.01.2003, 19:18
.

Andrea Maria
17.05.2003, 08:51
.

Tristram Shandy
17.05.2003, 18:45
Andrea Maria - da isse wieder!
Oder war sie nie weg und hat nur unter "Znarf" oder "Jessica" geposted, und nur ich habe es mal wieder nicht mitbekommen?

joq
17.05.2003, 20:35
ich glaub, sie war der elende kleine Faschist.
sich duckend ab

Auge
18.05.2003, 13:12
Der Punkt ist mehrfach interpretierbar.
1. Ist die Luft rein? Ist alles wieder gut, haben sich die Wogen geglättet, ist alles Pulver verschossen?
2. Ich taste mich mal ein bisschen vor, man muss ja nicht gleich mit großem Getöse wiederkommen
3. Ich würde gerne heute Abend Murmel treffen, les also mit, weiss deshalb, dass er gerade in Wien ist. Im Wienstrang zu schreiben, halte ich aber dennoch für zu riskant.
4. Ich will nach Beesenstedt

bettyford
18.05.2003, 13:19
Au ja! Andrea, komm nach Beesenstedt!!

bettyford
18.05.2003, 13:22
Auf der Tombola gibt es Wadenschützer zu gewinnen. Die sind eigentlich für Briefträger. Das ist jetzt allerdings nur Stärke 1 für so kleine keifende Pinscher, aber man weiß nie, wann man sowas braucht, gelle?

Herr Weber
27.02.2004, 21:48
Diese Geschichte gefällt mir im Buch sogar noch besser als hier, obwohl sie mir schon hier sehr, sehr gut gefällt. Aber im Buch wird erst am Schluss aufgeklärt, wer Pepi ist. Das macht die ganze Sache noch spannender. So, und jetzt wuchte ich, was das Zeugs hält!

Lis
21.12.2007, 19:16
Freitag der solventen Herrn.