Yvonne Caldenberg
10.06.2001, 03:01
Zeit: Es wird zu Beginn der neuziger Jahre gewesen sein, jedenfalls trug es sich an einem sonnigen Montag bis Freitag im, glaube ich, Juni zu.
Ort: Berlin-Dahlem
An dem bewussten Tag fuhr ich mit der S-Bahn nach Lichterfelde-West. Da mir diese Ecke Berlins noch ganz unbekannt war, bin ich sehr offenäugig unterwegs gewesen. Gleich auf dem S-Bahnhof der erste schöne Fund: Auf einem Nachbargleis standen unbekannte Waggons der US-Army, die geheimnisvoll und verplombt aussahen - ein wenig so, wie ich mir den Zug vorstelle, mit dem Lenin 1917 von der Schweiz aus nach Petrograd fuhr. Ich mutmaßte übermütig, ob in diesen Waggons nun, nach dem Ende allen Bolschewismus', Lenin wieder zurückgeschafft werden solle, in die Schweiz, konnte aber nichts genaues herausfinden. An die Waggons kam ich nicht ran, Lenin zeigte sich mir nicht.
Dafür landete ich beim Weg aus dem Bahnhof fast sofort in der Basler Straße: Also doch ein Zeichen? Allerdings landete ich dort nur, weil ich statt nach links, Richtung Dahlem, nach rechts, Richtung Lichterfelde, aus dem Bahnhof gegangen war. Lenin hatte mich, wenn nicht aufs Glatteis, doch nach Lichterfelde geführt.
Mit Stadtplan und einer Prise Peilung korrigierte ich die Laufrichtung und ging Dahlem kucken. Ich wollte mir die Bibliotheken der Freien Universität ansehen; eine Bekannte hatte sie gelobt. - Bevor ich mich irgendwo einschrieb, wollte ich erst mal Zahn fühlen. Zuerst ging es zur Anglistik - zu meiner Schatz-Literatur. Das Institut befand sich in einem Gebäude aus rotem Backstein, am Giebel ein Backsteinkreuz, darunter die Inschrift 'Magdalenen-Haus' (Mit Bindestrich? - Weiß nicht mehr). Mir klang es wie Oxford. Könnte aber auch Cambridge sein - Magdalen? - War mir auch gleich. Ich also rein.
(Bücher ... Katalog... kuck)
Danach ging es weiter zu weiteren Bibliotheken, schließlich zu einigen Bücherständen, wo ich eine hübsche Ausgabe von Bunyans 'Pilgrim's Progress' kaufte (ich steckte damals sehr in einer Cromwell-Milton-Puritaner-Phase - muss sein, besser früh als spät) und mich dann auf den Rückweg zur S-Bahn machte.
Auf dem Weg kam ich an einem kleinen Park vorbei, der netterweise 'Triestpark' hieß. Weil ich müde war oder aber nein, Italo Svevo zu Ehren, das klingt doch gleich viel besser, setzte ich mich dort noch ein wenig in die Sonne, auf eine Bank und las im Bunyan. Noch war ich in Bunyans einleitender Entschuldigung für sein Buch' (nebenbei: Ein Feature, das ruhig wieder revivalt werden könnte), kamen da zwei junge Männer in schwarz-weiß zu meiner Bank, stellten sich als 'Peter' und 'Michael' vor (vielleicht auch andere Evangelien?) - und sie seien also Amerikaner und würden sich gerne einmal mit mir unterhalten, über Gott.
Glücklicherweise war ich im Bilde. Kurz zuvor hatte mir ein Bekannter ein Taschenbuch von Arno Schmidt geliehen, in dem auch ein schöner Aufsatz über das Buch Mormon steht. Wenig später hatte ich auf dem Flohmarkt das Buch Mormon gekauft und die lustigen Indianer- und Pioniergeschichten darin gelesen. Ich war also vorbereitet. Ye disciples of Apollyon, beware!
Die beiden waren begeistert, als ich mich als Kennerin ihres heiligen Buchs zu erkennen gab, und wir fachsimpelten ein wenig über Alma, Nephi und Moroni - das gefiel ihnen, endlich mal nicht so viel um den Brei rumreden. Die beiden fragten mich dann, woher ich denn komme? Und ich sagte, ich sei im Magdalenen-Haus gewesen. Sie schauten irgendwie pikiert aus der Wäsche. Dann schlugen sie vor, wir könnten ja noch zusammen beten, was ich aber höflich ablehnen musste: Ich sei, ja äh, also, Agnostikerin, leider. Sie wollten über diese ihnen nicht bekannte Konfession genaueres wissen. Diskret wie ich bin, verriet ich aber nur, es sei eine, welche, in der das Beten gar nicht erlaubt sei: Auf keinen Fall beten! Beten tabu!
Gut, beteten sie eben für mich, sie waren da nicht so. Ich versicherte ihnen auch, wenn sie mich in ihre Gebete einschlössen, sei das durchaus o.k. Oder zumindest würde es geduldet, unter uns Agnostikern, wir seien da tendenziell tolerant. Dann gingen sie recht plötzlich, wünschten mir noch Erleuchtung und alles Gute auf dem weiteren Weg zum wahren Glauben.
Das Licht habe ich dann erst einige Tage später gesehen, als ich im 'Brewer' den Begriff 'Magdalene' nachschlug: 'An asylum for the reclaiming of prostitutes'. Schock. Hab mich dann bei den Humboldts eingeschrieben, das war mir dann doch geheurer, in meinem agnostischen Seelchen.
Ort: Berlin-Dahlem
An dem bewussten Tag fuhr ich mit der S-Bahn nach Lichterfelde-West. Da mir diese Ecke Berlins noch ganz unbekannt war, bin ich sehr offenäugig unterwegs gewesen. Gleich auf dem S-Bahnhof der erste schöne Fund: Auf einem Nachbargleis standen unbekannte Waggons der US-Army, die geheimnisvoll und verplombt aussahen - ein wenig so, wie ich mir den Zug vorstelle, mit dem Lenin 1917 von der Schweiz aus nach Petrograd fuhr. Ich mutmaßte übermütig, ob in diesen Waggons nun, nach dem Ende allen Bolschewismus', Lenin wieder zurückgeschafft werden solle, in die Schweiz, konnte aber nichts genaues herausfinden. An die Waggons kam ich nicht ran, Lenin zeigte sich mir nicht.
Dafür landete ich beim Weg aus dem Bahnhof fast sofort in der Basler Straße: Also doch ein Zeichen? Allerdings landete ich dort nur, weil ich statt nach links, Richtung Dahlem, nach rechts, Richtung Lichterfelde, aus dem Bahnhof gegangen war. Lenin hatte mich, wenn nicht aufs Glatteis, doch nach Lichterfelde geführt.
Mit Stadtplan und einer Prise Peilung korrigierte ich die Laufrichtung und ging Dahlem kucken. Ich wollte mir die Bibliotheken der Freien Universität ansehen; eine Bekannte hatte sie gelobt. - Bevor ich mich irgendwo einschrieb, wollte ich erst mal Zahn fühlen. Zuerst ging es zur Anglistik - zu meiner Schatz-Literatur. Das Institut befand sich in einem Gebäude aus rotem Backstein, am Giebel ein Backsteinkreuz, darunter die Inschrift 'Magdalenen-Haus' (Mit Bindestrich? - Weiß nicht mehr). Mir klang es wie Oxford. Könnte aber auch Cambridge sein - Magdalen? - War mir auch gleich. Ich also rein.
(Bücher ... Katalog... kuck)
Danach ging es weiter zu weiteren Bibliotheken, schließlich zu einigen Bücherständen, wo ich eine hübsche Ausgabe von Bunyans 'Pilgrim's Progress' kaufte (ich steckte damals sehr in einer Cromwell-Milton-Puritaner-Phase - muss sein, besser früh als spät) und mich dann auf den Rückweg zur S-Bahn machte.
Auf dem Weg kam ich an einem kleinen Park vorbei, der netterweise 'Triestpark' hieß. Weil ich müde war oder aber nein, Italo Svevo zu Ehren, das klingt doch gleich viel besser, setzte ich mich dort noch ein wenig in die Sonne, auf eine Bank und las im Bunyan. Noch war ich in Bunyans einleitender Entschuldigung für sein Buch' (nebenbei: Ein Feature, das ruhig wieder revivalt werden könnte), kamen da zwei junge Männer in schwarz-weiß zu meiner Bank, stellten sich als 'Peter' und 'Michael' vor (vielleicht auch andere Evangelien?) - und sie seien also Amerikaner und würden sich gerne einmal mit mir unterhalten, über Gott.
Glücklicherweise war ich im Bilde. Kurz zuvor hatte mir ein Bekannter ein Taschenbuch von Arno Schmidt geliehen, in dem auch ein schöner Aufsatz über das Buch Mormon steht. Wenig später hatte ich auf dem Flohmarkt das Buch Mormon gekauft und die lustigen Indianer- und Pioniergeschichten darin gelesen. Ich war also vorbereitet. Ye disciples of Apollyon, beware!
Die beiden waren begeistert, als ich mich als Kennerin ihres heiligen Buchs zu erkennen gab, und wir fachsimpelten ein wenig über Alma, Nephi und Moroni - das gefiel ihnen, endlich mal nicht so viel um den Brei rumreden. Die beiden fragten mich dann, woher ich denn komme? Und ich sagte, ich sei im Magdalenen-Haus gewesen. Sie schauten irgendwie pikiert aus der Wäsche. Dann schlugen sie vor, wir könnten ja noch zusammen beten, was ich aber höflich ablehnen musste: Ich sei, ja äh, also, Agnostikerin, leider. Sie wollten über diese ihnen nicht bekannte Konfession genaueres wissen. Diskret wie ich bin, verriet ich aber nur, es sei eine, welche, in der das Beten gar nicht erlaubt sei: Auf keinen Fall beten! Beten tabu!
Gut, beteten sie eben für mich, sie waren da nicht so. Ich versicherte ihnen auch, wenn sie mich in ihre Gebete einschlössen, sei das durchaus o.k. Oder zumindest würde es geduldet, unter uns Agnostikern, wir seien da tendenziell tolerant. Dann gingen sie recht plötzlich, wünschten mir noch Erleuchtung und alles Gute auf dem weiteren Weg zum wahren Glauben.
Das Licht habe ich dann erst einige Tage später gesehen, als ich im 'Brewer' den Begriff 'Magdalene' nachschlug: 'An asylum for the reclaiming of prostitutes'. Schock. Hab mich dann bei den Humboldts eingeschrieben, das war mir dann doch geheurer, in meinem agnostischen Seelchen.