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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Carstens, Carl (Bundespräsident mit Löwensenf extra scharf)



Polykrates
12.05.2001, 22:01
Als ich noch klein und doof war, ging mein Grossvater in Rente. Er hatte im Vorstand irgendeines Lebensmittelkonzerns gesessen, war Mitglied in einigen seltsamen und dubiosen studentenbündischen Logen und hatte nach dem Krieg (seine Nazivergangenheit vertuschend) eine steile CDU-Karriere gemacht. Kurzum, er war ein hohes Tier und bei seiner Verabschiedung war allerlei Polit- und Managementprominenz vertreten. Meine übrige Familie war aus Gründen, die ich vergessen habe, verhindert und meine Oma schnappte mich als den 'offiziellen Vertreter der Familie' und schleifte mich zum Empfang nach Bonn. Dort war es stinkend öde. Ich war überraschenderweise der einzige Sechsjährige unter lauter Wirtschaftswunderleichen, alle rochen nach Sagrotan und 4711 und, naja, es war nicht wirklich was für Kinder.
ABER: es rannten Pinguine rum, die Häppchen und Frikadellen verteilten. Ich war als Sechsjähriger abhängig von Frikadellen. Also rannte ich im Slalom durch das muffige Beinspalier der greisen Damen und Herren, zupfte Pinguine am Rockzipfel und liess mir totes Tier reichen. Dann begannen die Reden und es wurde noch öder. Allerhand Laudatoren lieferten Sermon über meinen Opa ab und ich musste mit Oma in der ersten Reihe sitzen und stillhalten. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Es war öde, es war ungerecht, dass ich hier sitzen musste und ich hatte einen tierischen Jieper auf Frikadellen. In einem ersten Akt von Rebellion und Auflehnung riss ich mich von Oma los und rannte durch die Stuhlreihen zum Buffet. Dort liess ich mir meine Droge reichen und stolzierte befriedigt zurück. Ich hockte mich neben Oma und biss in die ichweissnichtwievielte Frikadelle, wärend sie (die Oma) mich mit strafenden Blicken bedachte. Mir wars egal, ich fühlte mich grossartig und dachte 'Punkrock!' (hätte ich jedenfalls gedacht, wenn ich älter gewesen wäre). Und dann kam das Problem. Erstmals an diesem Tag war Senf dabeigewesen. Löwensenf. Der ist scharf. Zu scharf für einen Sechsjährigen. Ich prustete. Mit liefen Tränen. Ich wurde knallrot. Ich schimpfte. Bis heute wird intrafamiliär erzählt, dass ich weithin hörbar 'So eine Kacke!' rief. Der Redner am Podium, höchstens drei Meter von mir entfernt, unterbrach darob seinen Vortrag und sagte ins Mikrophon: 'Junger Mann, nicht weinen, in fünf Minuten bin ich mit der Kacke fertig.' Der das sprach war der damalige Deutsche Bundespräsident Carl Karstens oder von mir aus auch Karl Carstens.
Jedesmal, wenn ich heute Senf esse, muss ich an ihn denken.
(Beitrag wurde von Polykrates am 13.05.2001 um 00:39 Uhr bearbeitet.)

fabchief
12.05.2001, 22:15
Wunderschöne Geschichte! Ich habe herzlich gelacht, weiter so!
Herr Polykrates, sie sind somit aufgenommen worden in die Geheimloge des Führungskomitees der höflichen Paparazzen.
Gratulation!
fabchief

Edding Kaiser
12.05.2001, 22:30
Wer als Sechsjähriger schon 'Punkrock' gedacht haben könnte, der muss ein guter Mensch sein.

O de Cologne
12.05.2001, 22:47
juuiii, hut ab! dieses wundervolle schimpfwort hatte ich fast schon vergessen: KACKEKACKEKACKE!
vielen dank für das schmucke erzählbeiwerk um die wiedergabe der verbalen bewerfung des BP mit derselben.
ich glaube mich ebenfalls an eine klops(frikadelle-äquivalent)-abhängigkeit erinnern zu können, die später nach zähem ringen von einem vegetarismus abgelöst wurde. *wehmütigguck*
vielleicht sollte ich mal wieder ...
zum thema senf: bei einer autoreise nach berlin beobachtete ich jürgen von der lippe, wie er in einer autobahntankstelle ein würstchen absorbierte. an der phosphatstange klebte von adhäsionskräften gehalten ... na was wohl? genau! (mussten sie jetzt wieder an K.C. denken?)
(Beitrag wurde von O de Cologne am 12.05.2001 um 22:28 Uhr bearbeitet.)

Polykrates
12.05.2001, 22:52
Schade, dass von der Lippe der Senf nicht von der Lippe tropfte. Das wäre noch schöner gewesen.

Tigerin
14.05.2001, 17:16
Herrlich, diese Anekdote! Und dieser Bundespräsident hatte ja eine gehörige Portion Humor und Schlagfertigkeit.
Beim Strangnamen musste ich zunächst unwillkürlich an unseren Bundespräsdidenten denken, der ja Leuenberger heisst. Ob der auch gerne Senf mag, ist mir hingegen nicht bekannt.
(Beitrag wurde von Tigerin am 14.05.2001 um 16:17 Uhr bearbeitet.)

hanswasheiri
14.05.2001, 17:39
Von Leuenbergers Senfvorlieben weiss ich auch nichts, aber ich habe ihn mal gepaperazzt.
Es war eine Ausstellungseröffnung im Museum für Gestaltung in Zürich. Ich war mit zwei Frauen verabredet, da liegt es auf der Hand, dass man etwas warten muss. Ich wartete also, weil es Sommer war und schön warm, unter dem Vordach des Museums. Weil es eine Ausstellung über die Schweizerischen Autobahnen war, waren auch ein paar Autobahngegner angetanzt, allerdings nur gerade zwei. Die zwei haben ein Transparent gemalt: 'Kein Ausbau des Autobahndreiecks Sowieso' , dazu haben sie ein paar Flugblätter mit ihrem Anliegen gedruckt. In Ermangelung eines dritten Mannes, der diese hätte verteilen können, haben sie sie vor sich auf den Boden gelegt. Plötzlich kam eine schwarze Limousine und ihr entstieg Moritz Leuenberger. Die Autobahngegner wurden nervös, damit hatten sie nicht gerechnet. Leuenberger stieg also aus und, höflich, wie er ist, blieb er stehen, um sich das Transparent anzusehen. Der nervöse Autobahngegner wollte nun aber Leuenberger eines der Flugblätter überreichen. Dazu liess er sein Ende des Transparentes fallen und bückte sich zu dem Stapel mit den Kopien. Weil es aber eine Weile dauerte, bis er sich ein Flugblatt gegriffen hatte (seine Finger dürften etwas gezittert haben), hatte Leuenberger plötzlich nichts mehr zum Sehen oder Lesen und wandte sich ab. In diesem Moment kam auch schon der Direktor des Museums, (Martin Heller, er hat jetzt als künstlerischer Leiter der Expo Pipilotti Rist abgelöst), begrüsste Leuenberger und geleitete ihn ins Museum. Da standen nun die zwei Demonstranten, der eine mit einem Zipfel Leintuch, der andere mit einem Flugblatt in der Hand. Leuenberger hat von ihrem Anliegen nichts mitbekommen hat. Viel später sind dann die Frauen gekommen, eine davon (meine) hochschwanger. Der Vortragsaal war übervoll, aber Martin Heller stand am Eingang und hat uns mit Blick auf den ebenfalls übervollen Bauch meiner Begleitung ganz nach vorne geführt und direkt neben Moritz Leuenberger gesetzt. Er war sehr höflich, wir aber nicht weniger und so haben wir ihn in Ruhe gelassen.

klesk
14.05.2001, 18:17
diese geschichte ist so scharf! ich habe an der stelle, wo der redner sein senfen wegen deinem senf unterbricht, vor freude in die hände geklatscht, ehrlich! außerdem weiß man ja: kindermund tut wahrheit kund, vermutlich wurde da wirklich ziemliche kacke geredet.
danke, polykrates!

Edding Kaiser
15.05.2001, 14:46
Ein Neueinsteiger sackt hier gerade kaum bemerkt Richtung Gurkenglasboden. Dies zu verhindern, starte ich jetzt einen Dienstags-Mini-Wuchter. Und hopp!
(Beitrag wurde von Karlo Tobler am 10.06.2001 um 13:41 Uhr bearbeitet.)

Edmund
20.05.2001, 14:02
Lieber Polykrates,
nochmal zurück zu Sagrotan und 4711. Letzteres habe ich auch gehasst. Auf einem Picknick - es muss wohl 1981 gewesen sein - tränkte ich mein Lieblingsstofftier mit Milch. Es war furchtbar heiß im Auto und das Urlaubsziel noch weit entfernt, so dass die Milch im Dackel binnen Stunden säuerte und stank.
Und für alles, was schmutzig war und nicht gewaschen werden konnte hieß die Lösung: 4711! Also, ich fand's damals nicht unbedingt einen geruchliche Verbesserung.
Aber sind Sie sich sicher, dass die Herren nach Sagrotan rochen? Nicht nach SEBORIN, dem damals inoffiziellen Inhaber des Haarwassermonopols? Seborin gibt es heute noch. Es wird in der hässlichsten Packung Deutschlands feilgehalten: Braune Flasche, auf ganzer Höhe von zirkumvaskulären Wülsten umgeben. Ein bisschen wie die ganz alten Fantaflaschen, aber in PLASTIK. Die Gestaltung des Etikettes könnte man mit viel Wohlwollen als 'lustlos' bezeichnen. Brrrr.
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Muss früh Gehen,
Edmund

Edding Kaiser
22.05.2001, 01:35
Ups! Scheiss cookies!
(Beitrag wurde von Polykrates an Karlo Toblers Computer versehentlich unter Toblers Namen abgesonden. Hallo, 13K!)
(Beitrag wurde von Karlo Tobler am 21.05.2001 um 12:44 Uhr bearbeitet.)

Polykrates
22.05.2001, 01:37
Sagrotan war eher als olfaktorisches pars pro toto gemeint. Ein Geruch nach gewischten Kacheln, Stortz-Gesundheitswäsche und toten Keimen. Welches Produkt aus dem Hygiene-Sektor nun wirklich dahinterstand - keine Ahnung. Vermutlich haben Sie recht mit Ihrer Mutmassung.

pinkas
22.05.2001, 01:52
Mein Großvater, den von Polykrates beschriebenen Gesellen recht ähnlich, führte immer auch 4711-Miniaturfläschchen mit sich, aus denen er bei Bedarf Kölnisch Wasser hinter den Ohren und auf Hals und Backen verteilte. Als Kind fand ich das toll. Nach seinem Tode hab ich mir daher eines aufbewahrt. Ich werde eines Tages eine grosse Flasche 4711 kaufen, aber Odol hinein füllen, daneben soll eine Flasche Seborin voller Coke ihren Platz finden, und in den Odol-Spender kommt Maggi.

Edding Kaiser
22.05.2001, 01:52
In der Filiale der Kreissparkasse Köln am Neumarkt steht ein Brunnen, dessen Wasser nicht mit Odol oder Sagrotan oder Seborin versetzt ist. Aber dadafür mit 4711.

trumich
23.05.2003, 20:28
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yellowshark
07.02.2004, 16:59
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