PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bernhard, Thomas (in der Ubahn)



Wilfried Wieser
14.03.2001, 01:50
In meiner Jugend hatte ich ein Zimmer in jenem Studentenheim, in welchem kürzlich der Bundesvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, Alfred Gusenbauer, unter seinem DJ-Namen 'Red Fred' Schallplatten u.a. von den Rolling Stones aufgelegt hat. Dieses Studentenheim liegt im 20. Wiener Gemeindebezirk, also eher zentrumsfern und um von dort in die Stadtmitte zu gelangen, benutzt man die U-Bahnlinie 4.
Ich saß also häufig in der U4, so auch an einem regnerischen Herbsttag des Jahres 1987. Ich hatte meinen Schirm vor mir aufgestützt, beide Hände ruhten auf dem Schirmgriff. Das ist sehr bequem, in Darstellungen zur Ergonomie wird ein Unterarmwinkel von 30 Grad stets als ideal bezeichnet. Zudem passt der Radius eines Schirmgriffs wunderbar zur Innenfläche einer entspannt gehaltenen Menschenhand.
Gerade ältere Bürger, die die kleinen Bequemlichkeiten des Alltags zu schätzen wissen, sieht man an regnerischen Tagen oft so sitzen. So legte auch ein eben zugestiegener und neben mir platzgenommen habender Fahrgast beide Hände auf den Griff seines Regenschirms. Die U-Bahn fuhr dahin, ich saß, wie gesagt, bequem und war wohl auch ein wenig schläfrig.
Durch die Glasscheibe vor mir sah ich in den noch leeren, sogenannten Auffangraum im Einstiegsbereich des U-Bahnwagens. Dieser Auffangraum fing beim nächsten Halt einige Zugestiegene, einer war mit einem schwarzen Regenmantel bekleidet und ging nicht in das Wageninnere vor, sondern blieb stehen, mehr oder minder direkt vor mir. Zwischen uns war nur jene Glasscheibe, die Auffangraum und Sitzplätze trennt. Ich sah jetzt also nur noch einen schwarzen Regenmantel, doch bei genauerem Hinsehen auch mich selbst; das Schwarz des Mantels erzeugte mit der Scheibe vor mir eine Spiegelwirkung, ich sah also einen schläfrigen Studenten und daneben noch einen Schirmbesitzer.
Aufgrund der durch den Regenmantel hervorgerufenen Spiegelwirkung nahm ich wahr, dass ich seit drei vier Stationen neben Thomas Bernhard saß. Am Schwedenplatz stieg der Regenmantelträger aus. Thomas Bernhard ebenfalls. Ich fuhr noch bis Karlsplatz.

Angelika Maisch
14.03.2001, 02:26
das hast du irgendwie perfekt geschildert,Wilfried wieser.

Tex Rubinowitz
14.03.2001, 02:34
Was für eine schöne athmosphärische Geschichte, oh, so sollten all unsere Geschichten sein, sind sie ja auch, aber es gibt für Thomas Bernhardt einen eigenen Strang

Angelika Maisch
14.03.2001, 02:48
tut mir leid, habe mich bei deinem Nachnamen verschrieben, das war nicht so perfekt.

Andrea Maria
14.03.2001, 10:56
oops.
(Beitrag wurde von Andrea Maria am 14.03.2001 um 09:56 Uhr bearbeitet.)

Andrea Maria
14.03.2001, 10:56
Diese Geschichte ist wunderschön und von der Qualität seiner Schilderung könnten sich andere Erzählungen hier noch einen ganzen Bäckerladen abschneiden. In den Begegnungen mit Zelebritäten geht es um den zärtlichen Hauch von Molekülen und dem wird das unzierliches Gefasel mancher Aufsatzschreiber nicht gerecht. Wie schön also, dass es da draussen noch Paparazzo Wilfried Wieser gibt. Und wie schön, dass die Jezes und Posers sich gerade schämen.
------------------
OProfPap. Andrea Maria Dusl
Meisterklasse für politischen Paparazzismus

Wilfried Wieser
14.03.2001, 13:44
Oh, Verzeihung, Tex, für die Strangverfehlung. Ich war als Neopaparazzo unsicher, ob pro Begegner ein Strang zu eröffnen sei oder pro Promi.
(Danke den An-Frauen für die netten Worte)
(Beitrag wurde von Wilfried Wieser am 14.03.2001 um 12:45 Uhr bearbeitet.)

Poser Rosenberg
14.03.2001, 14:02
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wieso ich mich schämen sollte; und schäme mich ergo auch nicht. Nichts anderes als - die von Andrea Maria zu Recht an Willi Wiesers Geschichte gelobten Zentraltugenden - Präzision und Demut beim Erzählen fordere ich hier ja schon die ganze Zeit, nur versteht das wieder keiner. Oder versteht mich doch einer?
(Beitrag wurde von Poser Rosenberg am 14.03.2001 um 13:04 Uhr bearbeitet.)

Tex Rubinowitz
14.03.2001, 16:52
Wilfried Wieser, ist schon gut, macht nichts, man kann von einem Novizen wirklich nicht erwarten, dass er hier den Gurkenglasboden absucht nach eventuellen Parallitäten.
Ich finde auch das Wort AUFFANGRAUM gut, zaubrisch wie KARMAHAARSCHNITT im Kosmastrang. Ernenne sie zu Worten der Woche.
Aber was hat Herr Poser Rosenberg sich zuschulden kommen lassen?

lacoste
14.03.2001, 18:06
Ich verstehe Poser Rosenberg. Und weil die Geschichte von Wilfried Wieser schon so rechtens und schön gelobt wurde, erlaube ich mir, mich den Lobesworten vollen Herzens anzuschließen.

Tex Rubinowitz
14.03.2001, 18:54
Genau, Neulinge immer loben und streicheln, sonst laufen sie uns wieder davon.
Auch mal direkt ansprechen:'Wilfried Wieser, möchten Sie einen Apfel?'
'Ich werde Euch zu Tode kitzeln', das hat mal Edwyn Collins gesagt

Wilfried Wieser
14.03.2001, 22:49
Volle Herzen, Äpfel, Orangensaft, -- ok, ich bleibe.

honz
16.06.2001, 12:19
Liebe Neuankömmlinge,
so war das früher.
Die Geschichten begannen mit 'in meiner Jugend'. So kan man immer anfangen, da macht man nie was falsch.

Elli Kny
16.06.2001, 17:26
Genau. Hoch damit.
Und by the way, gerade vorhin habe ich den Meinungsforscher Bretschneider um drei Sekunden verfehlt. Er entkam in einem Taxi. Mein vorbereiteter Zettel ist stets griffbereit, die Meinung wird uns weiterhelfen, eines Tages.

Yvonne Caldenberg
18.06.2001, 03:02
Schade dass Thomas Bernhard tot ist. Gut, dass ich nicht weiß, wie Poser Rosenberg aussieht.
Wenn ich schon Bernhard nicht in der U-Bahn erkennen kann, freut es mich als Ersatz dann doch, dass ich wenigstens PR in der U-Bahn nie erkennen muss.
(Beitrag wurde von Yvonne Caldenberg am 18.06.2001 um 09:47 Uhr bearbeitet.)

honz
18.06.2001, 15:48
Als Thomas Bernhard starb, ist Herbert Achternbusch von Journalisten zum Tod von Bernhard interviewt worden. Achternbusch sagte damals, 'mir wär lieber, der Handke wär g'schturben.'

Ignaz Wrobel
18.06.2001, 20:16
Ich glaube, Elli brütet eine ganz große Bretschneider-Geschichte aus! Es kann nur noch Jahre dauern, sie wartet auf den besonderen, magischen Moment. Und er wird kommen, da bin ich mir sicher! Vielleicht klingelt es demnächst an ihrer Wohnungstür, und Bretschneider leiht sich eine Tasse Mehl aus...

Elli Kny
18.06.2001, 20:33
Ignaz Wrobel ahnt wieder einmal genau das Richtige. Selbst Mehl ist vorbereitet, ich wünschte aber das Mehl Schenk zu leihen, für Bretschneider finde ich eine Tasse Reis, rein nachbarschaftlich gesehen, irgendwie stimmiger.
------------------
Elli Kny

honz
06.11.2001, 20:30
.

Edding Kaiser
30.08.2002, 12:41
.

trumich
25.04.2003, 14:53
.

Elli Kny
11.01.2007, 17:50
Heute um 11Uhr ist der Vorsitzende der SPÖ, Alfred Gusenbauer, zum Bundeskanzler der Republik Österreich angelobt worden.

Früher bin ich jahrelang mit der quasi "Frau Gusenbauer" im Zug zur Schule gereist und habe auch den ein oder anderen Maturaball besucht, der Eva Steiner in die Arme des heutigen Bundeskanzlers und einstigen Schulkollegen trieb.

Solche Begegnungen passieren also in dem Zug, der einmal Thema in einem meiner ersten Stränge hier war, im Jahr 2001.
Mich triebs allerdings woanders hin.

AntonH
11.01.2007, 18:47
---