ChristianYSchmidt
28.02.2001, 13:55
(b)Ohne Zigarette von Joseph Beuys mit dem albanischen Präsidenten nach Tirana(b)
In den Siebziger und Achtziger Jahren des nun schon so weit zurückliegenden letzten Jahrhunderts fuhr ich alle vier Jahre zusammen mit meiner Clique zur Documenta nach Kassel. Kunst interessierte mich nicht besonders. Damals umwehte die Documenta ein Hauch von Popfestival. Es war wohl eher dieser Festival-Charakter, der mich anzog. Außerdem liegt Kassel nicht weit von Bielefeld, der Stadt, in der ich meine Jugend verbrachte. Irgend jemand fuhr immer auf einen Sprung zur Documenta, wenn gerade Documenta war.
Um welche Documenta es sich jetzt genau handelte, weiß ich nicht mehr; die Erinnerungen an die verschiedenen Besuche haben sich heute hoffnungslos vermischt. Ich vermute, daß es die spektakuläre ³Medien-Documentaã in der zweiten Hälfte der Siebziger war. Auf dieser Kunstschau lief ein weißgetünchter Mann mit einer eben solchen Brille durch die Ausstellungsräume. Das sollte Kunst sein. Ich kann mich so genau an den Mann erinnern, weil ich mich durch seine Aktion zu einer eigenen hinreißen ließ. Ich ließ mir von meiner Freundin Barbara die Augen mit einem Tuch verbinden und mich dann durch die Ausstellung führen. Wenn ich ehrlich bin: Moderne Kunst interessierte mich damals nicht nur nicht, ich fand sie albern und doof - wie eigentlich alles auf der Welt, das von Menschen gemacht war. Nur mich selbst fand ich prima, und meine ureigene Documenta-Aktion lustig. Ein Museumswächter war allerdings anderer Meinung. Er schmiß Barbara und mich kurzerhand aus dem Ausstellungsgebäude.
So landeten wir in den Kellerräumen des Fridricianeums auf einer Veranstaltung der Freien Internationalen Universität (FIU). Das war ein Verein, den Joseph Beuys irgendwann in den Siebzigern gegründet hatte. Der Vereinsname gefiel mir, er klang so schön anmaßend. Also setzte ich mich auf einen Stuhl und lauschte einer dicken Amerikanerin, die gerade einen Vortrag über Schwarze Löcher hielt. Ich verstand kaum etwas, und was ich verstand, hielt ich für den größten Blödsinn. Wahrscheinlich war es das auch. Doch dann betrat plötzlich ER den Raum, schaute sich suchend um und nahm auf dem Stuhl direkt neben mir Platz. Natürlich hatte ich ihn sofort erkannt. Wie immer trug Beuys seinen markanten Hut und die olivgrüne Kameramannjacke mit den vielen Taschen. Wenn ich auch die moderne Kunst aus tiefstem Herzen verachtete, war ich sehr aufgeregt. Ich saß neben Joseph Beuys. Und nicht ich hatte mich neben ihn gesetzt, sondern er sich neben mich. Toll.
Als der Schwarze-Löcher-Vortrag zu Ende war, wurde diskutiert. Mein weltberühmter Platznachbar beteiligte sich eifrig. Er machte ein paar spitze Bemerkungen zur Affinität von Kapitalismus und Schwarzem Loch, und erntete dafür nicht wenige Lacher. Ich aber überlegte fieberhaft, wie ich mit dem großen Mann ins Gespräch kommen könnte, ohne etwas Peinliches zu sagen. Mit einem Mal hatte ich es. Ich drehte mir eine Zigarette, wandte mich Beuys zu und fragte cool: ³Ey, haste mal Feuer?ã Damals war es genauso selbstverständlich, irgendwelche Koryphäen zu duzen, wie bei Diskussionen über Schwarze Löcher zu rauchen. Ja, eigentlich war beides Pflicht. Beuys kramte also ein wenig in seinen drei Dutzend Jackentaschen, förderte schließlich ein Feuerzeug zu Tage und zündete mir meine Zigarette an.
Von diesem Moment an sah und hörte nichts mehr. Ich konnte nur noch denken: Joseph Beuys hat mir Feuer gegeben. Bald hielt es mich nicht mehr auf meinem Platz. Ich mußte nach draußen. Dort rauchte ich meine Zigarette auf und schmiß die Kippe dann weg. Den restlichen Documenta-Tag nervte ich alle in meiner Clique mit meiner Geschichte. Ich beschrieb das Feuerzeug, mit dem Beuys mir Feuer gegeben hatte. Es war ein simples Plastikfeuerzeug, was mich verblüffte. Ich hatte vermutet, daß Beuys ein ausgefallenes Künstlerfeuerzeug besitzen würde. Oder eins aus Gold, mit Brillanten besetzt. Bei den Schweinepreisen, die seine ³Kunstwerkeã erzielten, hätte er sich das leisten können. Doch Beuys benutzte ein Einwegfeuerzeug aus Plastik. Und mit dem hatte er mir ö verstehste MIR ö Feuer gegeben. Wirklich voll in Ordnung, der Typ.
Erst am Abend erwachte ich aus meinem Rausch. Schlagartig wurde mir klar, was ich für ein Trottel gewesen war. Natürlich! Ich hätte meine von Beuys angezündete Kippe nicht rauchen und wegschmeißen dürfen. Ich hätte sie mir von ihm signieren lassen müssen. Dann besäße ich jetzt einen ³echten Beuysã. Ich wäre reich. So reich, daß ich mir jeden Tag ein mit Brillanten besetztes Einwegfeuerzeug hätte kaufen können. Mindestens. Ich, ich, ich... Vollkoffer! Ich nervte auf der Rückfahrt nach Bielefeld meine Clique so lange mit ausgesuchten Selbstanklagen, bis man mich kurz vor Paderborn aus dem Auto warf.
Ich stand über eine Stunde an der Straße, um die restlichen Kilometer nach Hause zu trampen. Gelangweilt schweifte mein Blick über das Gras am Straßenrand. Dabei entdeckte ich direkt zu meinen Füßen ein Feuerzeug. Ich hob es auf. Es war noch halb gefüllt und sah genauso aus wie das, mit dem Joseph Beuys mir Feuer gegeben hatte. Mir war, als ob mich das Schicksal verhöhnen wollte. In dieser Stunde beschloß ich, nicht mehr die moderne Kunst als Ganzes gering zu schätzen, sondern nur noch ihre Beuyssche Variante. Vielleicht setzt sich meine Meinung irgendwann in der Kunstwelt durch. Dann fallen die Preise für Beuys-Kunstwerke ins Bodenlose - und ich bin endlich von meinen Alpträumen erlöst, in denen mir der Mann mit dem Hut immer wieder eine Zigarette anzündet.
Da mir durch eigene Blödheit ein Leben als reicher Privatier verwehrt blieb, mußte ich mir wohl oder übel meinen Lebensunterhalt durch das verdienen, was man Arbeit nennt. So wurde ich 1989 Redakteur einer deutschen Satirezeitschrift namens ³Titanicã. Als Redakteur lernte ich noch eine Vielzahl von echten Megaprominenten kennen, doch das waren geplante Zusammentreffen. Die kurze Begegnung mit dem damaligen albanischen Präsidenten Sali Berisha aber ergab sich rein zufällig, auch wenn sie mit meinem Redakteursjob zusammenhängt.
Mitte der Neunziger nämlich flog ich zusammen mit der Redaktion und einigen Lesern besagten Blattes zu einem der Völkerverständigung dienenden Satiregipfel nach Tirana. Damals gab es noch keine Direktflüge von Deutschland in die albanische Hauptstadt, so daß unsere Delegation gezwungen war, in Zürich umzusteigen. Als ich hier die bereitstehende Swiss-Air-Maschine betrat, sah ich ihn sofort. Direkt hinter dem Eingang, rechts vorne in der ersten Reihe der Business-Class, saß neben einer Frau der albanische Präsident Berisha persönlich. Hochnäsig schaute er mich an.
Konnte das wirklich sein? Ein Präsident fliegt doch nicht Linie? Aber war das überhaupt der Präsident? Vielleicht sieht in Albanien jeder zweite Mann aus wie Berisha? Ich fragte ein paar Leute aus unserer Gruppe. Doch keiner wußte, wie der Präsident des Landes aussah, in das sie gerade fliegen wollten. Die meisten kannten noch nicht einmal seinen Namen. Es waren eben Deppen, die aber mich für einen Depp hielten, weil ich mir einbildete, vorne im Flugzeug säße wahrhaftig ein Staatspräsident.
Auf dem Flughafen von Tirana wurden diese Tröpfe eines besseren belehrt. Abordnungen aller drei Waffengattungen der albanischen Armee waren angetreten, um ihren Präsidenten zu begrüßen. Auch der damalige albanische Ministerpräsident Meksi war da. Er holte Berisha mit dem Jeep ab. So war das damals in Albanien.
Später stellte sich heraus, daß Sali Bersiha gerade von einem Staatsbesuch aus Washington zurückgekehrt war, wo ihn Präsident Clinton empfangen hatte. Während unseres zehntägigen Albanienbesuches zeigte das albanische Fernsehen täglich stundenlange Aufzeichnungen von diesem Ereignis. Nur einmal wurde die Staatsbesuchsberichterstattung länger unterbrochen - für eine halbstündige Live-Sondersendung mit uns, den Redakteuren der weltberühmten deutschen Satirezeitschrift ³Titanicã. Doch das war erst am Ende unserer Reise.
Schon bei unserer Ankunft aber wurde klar, weshalb der Präsident Berisha mit uns geflogen war. Auf dem Flughafen gammelten nur fünf veraltete Mig-Kampfflugzeuge in den Hangars vor sich hin: die ganze albanische Luftwaffe. Außerdem sahen wir noch ein kleines Turboprop-Flugzeug, auf dem ³Air Albaniaã geschrieben stand. Das war zu dieser Zeit die einzige albanische Passagiermaschine überhaupt. Präsident Berisha hatte also keine Wahl. Wollte er einen Staatsbesuch machen, mußte er mit einer ausländischen Fluggesellschaft Linie fliegen. Und genauso wie wir in Zürich umsteigen.
In Albanien trafen wir dann noch eine Reihe von hochgestellten Persönlichkeiten. Zum Beispiel den weltberühmtesten Satiriker Albaniens, Filip Cakuli, und den Assistenten des weltberühmtesten Satirikers Albaniens, Genc Tirana. Dazu weitere berühmte Leute, wie den bedeutendsten Verleger Albaniens, die bekannteste Nachrichtensprecherin Albaniens und die weltberüchtigsten Mafiosi des Landes. Leider kennt trotz ihrer Weltberühmtheit niemand außerhalb Albaniens ihre Namen, so daß ich an dieser Stelle nicht mit ihnen angeben kann. Gerechterweise aber kannte in Albanien auch niemand Joseph Beuys, so oft ich auch damals nach ihm fragte. Seitdem sind mir dieses Land und seine Bewohner sympathisch. Feuer habe ich mir dort trotzdem von keinem geben lassen.
Christian Y. Schmidt
In den Siebziger und Achtziger Jahren des nun schon so weit zurückliegenden letzten Jahrhunderts fuhr ich alle vier Jahre zusammen mit meiner Clique zur Documenta nach Kassel. Kunst interessierte mich nicht besonders. Damals umwehte die Documenta ein Hauch von Popfestival. Es war wohl eher dieser Festival-Charakter, der mich anzog. Außerdem liegt Kassel nicht weit von Bielefeld, der Stadt, in der ich meine Jugend verbrachte. Irgend jemand fuhr immer auf einen Sprung zur Documenta, wenn gerade Documenta war.
Um welche Documenta es sich jetzt genau handelte, weiß ich nicht mehr; die Erinnerungen an die verschiedenen Besuche haben sich heute hoffnungslos vermischt. Ich vermute, daß es die spektakuläre ³Medien-Documentaã in der zweiten Hälfte der Siebziger war. Auf dieser Kunstschau lief ein weißgetünchter Mann mit einer eben solchen Brille durch die Ausstellungsräume. Das sollte Kunst sein. Ich kann mich so genau an den Mann erinnern, weil ich mich durch seine Aktion zu einer eigenen hinreißen ließ. Ich ließ mir von meiner Freundin Barbara die Augen mit einem Tuch verbinden und mich dann durch die Ausstellung führen. Wenn ich ehrlich bin: Moderne Kunst interessierte mich damals nicht nur nicht, ich fand sie albern und doof - wie eigentlich alles auf der Welt, das von Menschen gemacht war. Nur mich selbst fand ich prima, und meine ureigene Documenta-Aktion lustig. Ein Museumswächter war allerdings anderer Meinung. Er schmiß Barbara und mich kurzerhand aus dem Ausstellungsgebäude.
So landeten wir in den Kellerräumen des Fridricianeums auf einer Veranstaltung der Freien Internationalen Universität (FIU). Das war ein Verein, den Joseph Beuys irgendwann in den Siebzigern gegründet hatte. Der Vereinsname gefiel mir, er klang so schön anmaßend. Also setzte ich mich auf einen Stuhl und lauschte einer dicken Amerikanerin, die gerade einen Vortrag über Schwarze Löcher hielt. Ich verstand kaum etwas, und was ich verstand, hielt ich für den größten Blödsinn. Wahrscheinlich war es das auch. Doch dann betrat plötzlich ER den Raum, schaute sich suchend um und nahm auf dem Stuhl direkt neben mir Platz. Natürlich hatte ich ihn sofort erkannt. Wie immer trug Beuys seinen markanten Hut und die olivgrüne Kameramannjacke mit den vielen Taschen. Wenn ich auch die moderne Kunst aus tiefstem Herzen verachtete, war ich sehr aufgeregt. Ich saß neben Joseph Beuys. Und nicht ich hatte mich neben ihn gesetzt, sondern er sich neben mich. Toll.
Als der Schwarze-Löcher-Vortrag zu Ende war, wurde diskutiert. Mein weltberühmter Platznachbar beteiligte sich eifrig. Er machte ein paar spitze Bemerkungen zur Affinität von Kapitalismus und Schwarzem Loch, und erntete dafür nicht wenige Lacher. Ich aber überlegte fieberhaft, wie ich mit dem großen Mann ins Gespräch kommen könnte, ohne etwas Peinliches zu sagen. Mit einem Mal hatte ich es. Ich drehte mir eine Zigarette, wandte mich Beuys zu und fragte cool: ³Ey, haste mal Feuer?ã Damals war es genauso selbstverständlich, irgendwelche Koryphäen zu duzen, wie bei Diskussionen über Schwarze Löcher zu rauchen. Ja, eigentlich war beides Pflicht. Beuys kramte also ein wenig in seinen drei Dutzend Jackentaschen, förderte schließlich ein Feuerzeug zu Tage und zündete mir meine Zigarette an.
Von diesem Moment an sah und hörte nichts mehr. Ich konnte nur noch denken: Joseph Beuys hat mir Feuer gegeben. Bald hielt es mich nicht mehr auf meinem Platz. Ich mußte nach draußen. Dort rauchte ich meine Zigarette auf und schmiß die Kippe dann weg. Den restlichen Documenta-Tag nervte ich alle in meiner Clique mit meiner Geschichte. Ich beschrieb das Feuerzeug, mit dem Beuys mir Feuer gegeben hatte. Es war ein simples Plastikfeuerzeug, was mich verblüffte. Ich hatte vermutet, daß Beuys ein ausgefallenes Künstlerfeuerzeug besitzen würde. Oder eins aus Gold, mit Brillanten besetzt. Bei den Schweinepreisen, die seine ³Kunstwerkeã erzielten, hätte er sich das leisten können. Doch Beuys benutzte ein Einwegfeuerzeug aus Plastik. Und mit dem hatte er mir ö verstehste MIR ö Feuer gegeben. Wirklich voll in Ordnung, der Typ.
Erst am Abend erwachte ich aus meinem Rausch. Schlagartig wurde mir klar, was ich für ein Trottel gewesen war. Natürlich! Ich hätte meine von Beuys angezündete Kippe nicht rauchen und wegschmeißen dürfen. Ich hätte sie mir von ihm signieren lassen müssen. Dann besäße ich jetzt einen ³echten Beuysã. Ich wäre reich. So reich, daß ich mir jeden Tag ein mit Brillanten besetztes Einwegfeuerzeug hätte kaufen können. Mindestens. Ich, ich, ich... Vollkoffer! Ich nervte auf der Rückfahrt nach Bielefeld meine Clique so lange mit ausgesuchten Selbstanklagen, bis man mich kurz vor Paderborn aus dem Auto warf.
Ich stand über eine Stunde an der Straße, um die restlichen Kilometer nach Hause zu trampen. Gelangweilt schweifte mein Blick über das Gras am Straßenrand. Dabei entdeckte ich direkt zu meinen Füßen ein Feuerzeug. Ich hob es auf. Es war noch halb gefüllt und sah genauso aus wie das, mit dem Joseph Beuys mir Feuer gegeben hatte. Mir war, als ob mich das Schicksal verhöhnen wollte. In dieser Stunde beschloß ich, nicht mehr die moderne Kunst als Ganzes gering zu schätzen, sondern nur noch ihre Beuyssche Variante. Vielleicht setzt sich meine Meinung irgendwann in der Kunstwelt durch. Dann fallen die Preise für Beuys-Kunstwerke ins Bodenlose - und ich bin endlich von meinen Alpträumen erlöst, in denen mir der Mann mit dem Hut immer wieder eine Zigarette anzündet.
Da mir durch eigene Blödheit ein Leben als reicher Privatier verwehrt blieb, mußte ich mir wohl oder übel meinen Lebensunterhalt durch das verdienen, was man Arbeit nennt. So wurde ich 1989 Redakteur einer deutschen Satirezeitschrift namens ³Titanicã. Als Redakteur lernte ich noch eine Vielzahl von echten Megaprominenten kennen, doch das waren geplante Zusammentreffen. Die kurze Begegnung mit dem damaligen albanischen Präsidenten Sali Berisha aber ergab sich rein zufällig, auch wenn sie mit meinem Redakteursjob zusammenhängt.
Mitte der Neunziger nämlich flog ich zusammen mit der Redaktion und einigen Lesern besagten Blattes zu einem der Völkerverständigung dienenden Satiregipfel nach Tirana. Damals gab es noch keine Direktflüge von Deutschland in die albanische Hauptstadt, so daß unsere Delegation gezwungen war, in Zürich umzusteigen. Als ich hier die bereitstehende Swiss-Air-Maschine betrat, sah ich ihn sofort. Direkt hinter dem Eingang, rechts vorne in der ersten Reihe der Business-Class, saß neben einer Frau der albanische Präsident Berisha persönlich. Hochnäsig schaute er mich an.
Konnte das wirklich sein? Ein Präsident fliegt doch nicht Linie? Aber war das überhaupt der Präsident? Vielleicht sieht in Albanien jeder zweite Mann aus wie Berisha? Ich fragte ein paar Leute aus unserer Gruppe. Doch keiner wußte, wie der Präsident des Landes aussah, in das sie gerade fliegen wollten. Die meisten kannten noch nicht einmal seinen Namen. Es waren eben Deppen, die aber mich für einen Depp hielten, weil ich mir einbildete, vorne im Flugzeug säße wahrhaftig ein Staatspräsident.
Auf dem Flughafen von Tirana wurden diese Tröpfe eines besseren belehrt. Abordnungen aller drei Waffengattungen der albanischen Armee waren angetreten, um ihren Präsidenten zu begrüßen. Auch der damalige albanische Ministerpräsident Meksi war da. Er holte Berisha mit dem Jeep ab. So war das damals in Albanien.
Später stellte sich heraus, daß Sali Bersiha gerade von einem Staatsbesuch aus Washington zurückgekehrt war, wo ihn Präsident Clinton empfangen hatte. Während unseres zehntägigen Albanienbesuches zeigte das albanische Fernsehen täglich stundenlange Aufzeichnungen von diesem Ereignis. Nur einmal wurde die Staatsbesuchsberichterstattung länger unterbrochen - für eine halbstündige Live-Sondersendung mit uns, den Redakteuren der weltberühmten deutschen Satirezeitschrift ³Titanicã. Doch das war erst am Ende unserer Reise.
Schon bei unserer Ankunft aber wurde klar, weshalb der Präsident Berisha mit uns geflogen war. Auf dem Flughafen gammelten nur fünf veraltete Mig-Kampfflugzeuge in den Hangars vor sich hin: die ganze albanische Luftwaffe. Außerdem sahen wir noch ein kleines Turboprop-Flugzeug, auf dem ³Air Albaniaã geschrieben stand. Das war zu dieser Zeit die einzige albanische Passagiermaschine überhaupt. Präsident Berisha hatte also keine Wahl. Wollte er einen Staatsbesuch machen, mußte er mit einer ausländischen Fluggesellschaft Linie fliegen. Und genauso wie wir in Zürich umsteigen.
In Albanien trafen wir dann noch eine Reihe von hochgestellten Persönlichkeiten. Zum Beispiel den weltberühmtesten Satiriker Albaniens, Filip Cakuli, und den Assistenten des weltberühmtesten Satirikers Albaniens, Genc Tirana. Dazu weitere berühmte Leute, wie den bedeutendsten Verleger Albaniens, die bekannteste Nachrichtensprecherin Albaniens und die weltberüchtigsten Mafiosi des Landes. Leider kennt trotz ihrer Weltberühmtheit niemand außerhalb Albaniens ihre Namen, so daß ich an dieser Stelle nicht mit ihnen angeben kann. Gerechterweise aber kannte in Albanien auch niemand Joseph Beuys, so oft ich auch damals nach ihm fragte. Seitdem sind mir dieses Land und seine Bewohner sympathisch. Feuer habe ich mir dort trotzdem von keinem geben lassen.
Christian Y. Schmidt