anko
09.01.2001, 00:49
Bis Anfang der 80er Jahre war ich aus meiner engeren Heimat, der Oststeiermark im Süden Österreichs, nie wirklich hinausgekommen. Ich studierte lustlos an der Grazer Universität Kunstgeschichte & Geschichte, arbeitete als Statist im Schauspielhaus und schrieb nebenbei für die 'Kleine Zeitung' - zwanzigzeilige Rezensionen über Performances in der Innenstadt, bei denen jemand mit der Motorsäge Äste von verkehrt herum aufgehängten Bäumen sägte und nachher sagte, es habe sich um das Stück 'Presents for Graz' gehandelt, im übrigen eine Uraufführung.
Die Rettung kam in Gestalt eines engen Freundes (Martin). Er übersiedelte nach Hamburg, weil seine Frau Sängerin werden wollte und dort eine Lehrerin gefunden hatte. Der Freund redete ein halbes Jahr auf mich ein nachzukommen, bis ich schließlich im Wintersemester 1981 an die Alster zog.
Als ich endlich in Hamburg eintraf, war der Freund von seiner Frau verlassen worden (wegen eines Braunschweiger Opernsängers). Deprimiert und unrasiert war er mit einem Kollegen (Bernd) zusammengezogen - beide arbeiteten als Kulturjournalisten beim Hamburger Abendblatt. Ich zog auch in die Wohnung.
Um mir ein bißchen Geld zu verdienen, beschloß ich - nach langen Beratungen mit Bernd - im Februar 1982 nach Berlin zu den Filmfestspielen zu fahren, um von dort aus auf eigene Rechnung ein paar Haikus für die 'Kleine Zeitung' zu schreiben. Bernd versprach, mir zu helfen und mich in Berlin 'irgendwo unterzubringen'.
Der Februar kam und wir fuhren mit dem Zug nach Berlin. Dort angekommen setzte mich Bernd in ein Taxi und meinte: 'Du wohnst die Woche über in der Leibnizstraße bei einer Freundin.' Als wir dort ankamen, empfing uns eine sehr kleine, lispelnde, ein pompöses Abendkleid (es war 12 Uhr mittags) tragende, überaus liebenswürdige alte Dame. Ihr Name, der mir damals nichts sagte, lautete: Lotti Huber.
Bernd lud mich ab und verschwand. Von da an wußte ich nicht mehr, wie mir geschah und stolperte mit großen Augen durch die Woche. Erst mal durch die absurd riesige Altbauwohnung von Lotti Huber, in deren Zentrum sich ein Ballettsaal befand: ein riesengroßer, mit selbstgeschneiderten Kostümen von Lotti Huber vollgeräumter Ballettsaal, in dem sie manchmal einer Schülerin Unterricht gab. Alle in allem war die Wohnung wohl 300 Qudratmeter groß, verwinkelt und verwunschen und in einem völlig unaufgeräumten Zustand.
Da mein Staunen über sie und ihre Wohnung unübersehbar waren, sagte Lotti Huber bald 'Na, mein Landei' zu mir. Dazu lächelte sie und begann lispelnd, eine von ihren unzähligen Geschichten über ihren verstorbenen Mann, den britischen Leutnant Huber, zu erzählen, mit gemeinsam sie in Zypern eine Bar geführt hatte. Manchmal lud sie mich zum Essen ein. Die Küche, ca. 30 Quadratmeter groß, war dunkel, überall stand ungewaschenes Geschirr herum. Wenn sie eine Tasse brauchte zog Lotti Huber eine aus einem Stapel und spülte sie ein wenig unter kaltem Wasser. Das Spiegelei aß ich mit äußerster Vorsicht, ohne die Gabel mit den Lippen zu berühren; stattdessen versuchte ich, das Ei mit den Zähnen vom Besteck zu bekommen, als würde das irgendwas gegen Salmonellen nützen.
Lotti Huber bewohnte viele Zimmer - nur eines, das gleich bei der Eingangstür, hatte sie an Helmut Berger vermietet - nein nicht an DEN Helmut Berger sondern an DEN - also den österreichischen Theaterschauspieler, er damals bei Boy Gobert am Schillertheater den Amadeus in dem gleichnamigen Stück von Herrn Schaeffer spielte. Ich machte ein Interview mit ihm, von dem ich die Cassette noch besitze. Ich kann mich nicht mehr erinnern, worüber wir sprachen.
Am ersten oder zweiten Abend meines Aufenthalts in der leibnizstraße tauchte ein gutaussehender Deutscher in Begleitung eines sehr gut aussehenden Amerikaners mit Sonnenbrille auf. Er sei Rosa, sagte man mir. Die drei interessierten sich überhaupt nicht für mich und beachteten mich nicht weiter; in ihrem Gespräch ging es, soweit ich folgen konnte, um irgendeinen Film, den sie miteinander machen wollten und um die Sexualprobleme von Rosa, der - wie Lotti Huber mir am nächsten Morgen beim Frühstück erklärte - irgendwie 'nicht spritzen' könne, weil was mit einer seiner Schwanzadern nicht stimme. 'Na, mein kleines Landei?', sagte Lotti Huber dann und schaufelte mir was vom Ei auf den schillernden Teller. Bei Rosa handelte es sich um den mir damals vollkommen unbekannten Rosa von Praunheim, wie man leicht erraten kann.
Das einzige, in dem ich der Außergewöhnlichkeit meiner Umgebung etwas einigermaßen Adäquates entgegensetzen konnte, war meine Heiligkeit: Ich hatte damals dem Weltlichen abgeschworen und meditierte jeden Tag zwei Mal - morgens und abends je 20 Minuten. Als ich Lotti Huber sagte, ich wolle zu den beiden Zeiten nicht gestört werden, sah sie mich das erste Mal an, als sehe sie da einen Erwachsenen vor sich.
Anko Ankowitsch
Die Rettung kam in Gestalt eines engen Freundes (Martin). Er übersiedelte nach Hamburg, weil seine Frau Sängerin werden wollte und dort eine Lehrerin gefunden hatte. Der Freund redete ein halbes Jahr auf mich ein nachzukommen, bis ich schließlich im Wintersemester 1981 an die Alster zog.
Als ich endlich in Hamburg eintraf, war der Freund von seiner Frau verlassen worden (wegen eines Braunschweiger Opernsängers). Deprimiert und unrasiert war er mit einem Kollegen (Bernd) zusammengezogen - beide arbeiteten als Kulturjournalisten beim Hamburger Abendblatt. Ich zog auch in die Wohnung.
Um mir ein bißchen Geld zu verdienen, beschloß ich - nach langen Beratungen mit Bernd - im Februar 1982 nach Berlin zu den Filmfestspielen zu fahren, um von dort aus auf eigene Rechnung ein paar Haikus für die 'Kleine Zeitung' zu schreiben. Bernd versprach, mir zu helfen und mich in Berlin 'irgendwo unterzubringen'.
Der Februar kam und wir fuhren mit dem Zug nach Berlin. Dort angekommen setzte mich Bernd in ein Taxi und meinte: 'Du wohnst die Woche über in der Leibnizstraße bei einer Freundin.' Als wir dort ankamen, empfing uns eine sehr kleine, lispelnde, ein pompöses Abendkleid (es war 12 Uhr mittags) tragende, überaus liebenswürdige alte Dame. Ihr Name, der mir damals nichts sagte, lautete: Lotti Huber.
Bernd lud mich ab und verschwand. Von da an wußte ich nicht mehr, wie mir geschah und stolperte mit großen Augen durch die Woche. Erst mal durch die absurd riesige Altbauwohnung von Lotti Huber, in deren Zentrum sich ein Ballettsaal befand: ein riesengroßer, mit selbstgeschneiderten Kostümen von Lotti Huber vollgeräumter Ballettsaal, in dem sie manchmal einer Schülerin Unterricht gab. Alle in allem war die Wohnung wohl 300 Qudratmeter groß, verwinkelt und verwunschen und in einem völlig unaufgeräumten Zustand.
Da mein Staunen über sie und ihre Wohnung unübersehbar waren, sagte Lotti Huber bald 'Na, mein Landei' zu mir. Dazu lächelte sie und begann lispelnd, eine von ihren unzähligen Geschichten über ihren verstorbenen Mann, den britischen Leutnant Huber, zu erzählen, mit gemeinsam sie in Zypern eine Bar geführt hatte. Manchmal lud sie mich zum Essen ein. Die Küche, ca. 30 Quadratmeter groß, war dunkel, überall stand ungewaschenes Geschirr herum. Wenn sie eine Tasse brauchte zog Lotti Huber eine aus einem Stapel und spülte sie ein wenig unter kaltem Wasser. Das Spiegelei aß ich mit äußerster Vorsicht, ohne die Gabel mit den Lippen zu berühren; stattdessen versuchte ich, das Ei mit den Zähnen vom Besteck zu bekommen, als würde das irgendwas gegen Salmonellen nützen.
Lotti Huber bewohnte viele Zimmer - nur eines, das gleich bei der Eingangstür, hatte sie an Helmut Berger vermietet - nein nicht an DEN Helmut Berger sondern an DEN - also den österreichischen Theaterschauspieler, er damals bei Boy Gobert am Schillertheater den Amadeus in dem gleichnamigen Stück von Herrn Schaeffer spielte. Ich machte ein Interview mit ihm, von dem ich die Cassette noch besitze. Ich kann mich nicht mehr erinnern, worüber wir sprachen.
Am ersten oder zweiten Abend meines Aufenthalts in der leibnizstraße tauchte ein gutaussehender Deutscher in Begleitung eines sehr gut aussehenden Amerikaners mit Sonnenbrille auf. Er sei Rosa, sagte man mir. Die drei interessierten sich überhaupt nicht für mich und beachteten mich nicht weiter; in ihrem Gespräch ging es, soweit ich folgen konnte, um irgendeinen Film, den sie miteinander machen wollten und um die Sexualprobleme von Rosa, der - wie Lotti Huber mir am nächsten Morgen beim Frühstück erklärte - irgendwie 'nicht spritzen' könne, weil was mit einer seiner Schwanzadern nicht stimme. 'Na, mein kleines Landei?', sagte Lotti Huber dann und schaufelte mir was vom Ei auf den schillernden Teller. Bei Rosa handelte es sich um den mir damals vollkommen unbekannten Rosa von Praunheim, wie man leicht erraten kann.
Das einzige, in dem ich der Außergewöhnlichkeit meiner Umgebung etwas einigermaßen Adäquates entgegensetzen konnte, war meine Heiligkeit: Ich hatte damals dem Weltlichen abgeschworen und meditierte jeden Tag zwei Mal - morgens und abends je 20 Minuten. Als ich Lotti Huber sagte, ich wolle zu den beiden Zeiten nicht gestört werden, sah sie mich das erste Mal an, als sehe sie da einen Erwachsenen vor sich.
Anko Ankowitsch