Hermes
03.01.2001, 20:37
Es war die FilmpremiereÊvon Murnbergers 'Komm süßer Tod' mit Josef Hader
in der Hauptrolle und es war im Gartenbaukino, als ich versagte. Es steht zu
befürchten, dass ich in der Illusion lebe,Êaufmerksam zu leben, den
Mitmenschen eine Wohltat zu sein. Bemüht,Êzu helfen.ÊStets so zu handeln,
dass die Maxime meines Tuns zum allgemeinen Prinzip erhoben werden
könnte. UndÊvermutlich ist dieser innere Polarstern das Gerüst überhaupt,
das mich leben lässt: du bist ein Guty, vermut ich, sag ich zu mir. Echolot
rundum.Ê
Die sich Selbsterrichtung, die hier schreibt, seit 1952 das betreibt,Êängstlich
wie gierigÊdie schmuckeste Moral an sich raffend, hat gestern im
GartenbaukinoÊeinenÊStern gerissen, eine Selbstniederlage, dieÊalles zum
Wanken bringen könnte, es natürlich nicht vermögen wird, denn wie könnte
ich weitergelebt haben, angesichts dieses gestrigen Versagens, wie könnte
ich das hier schreiben, wenn ich wirklich die Konsequenzen gezogenÊhaben
hätte können, aus dieser Blamage.
Alleine schon, dass ichÊsie hier referiere, istÊein zweifacher Triumpf: Es ist der
Triumpf,Êdes Sieges über mich undÊdadurch zugleich der Sieg meiner
Ungebrochenheit, ja unbrechbarkeit. Und wäre ich jetzt gebrochen, wer hätte
was davon, und welches noch ägere moralische Monstrum entwüchse dann
wieder daraus?Ê
Also Josef Hader, der heuer drei Filme drehteÊund alsoÊwahrscheinlich alle
Hölle voll Terminen hat, rief persönlich in der früh noch an, bitte vergiss
nicht, um 19,30 h ist die Premiere,Êdu kriegstÊvon mirÊim Foyer deine
Karte.ÊKommÊschon eine Stunde früher, da habe ich Zeit und wir können viel
plaudern. Ich, der Minderwertige mit den Organminderwertigkeiten, werde
von Josef Hader, angerufen, ich darf mit ihm beisammensein. Manchesmal
denke ich dann doch, gültig zu sein vielleicht. Denn es gelingt mir keine
adäquate Ausdrucksform für meine Verzagtheit, denn theoretisch weiß ich,
von allen möglichen Proklamationen der Menschheit, dass jeder Mensch voll
Würde sei und a priori gültig. Niemand sei illegal. Alle gleich wertvoll. Und
ausserdem ist es ja auch praktisch, nicht den ganzen Tag schreiend und
tobend durch die Stadt zu wüten, sich flach auf den Boden zu legen und mit
dem Schädel auf den Asphalt zu trommeln.
Wenn ich auch nichts zusammenbringe, kraft dessen, dass ich existiere,
hätte ich angeblich Würde. Und würde ich diese Würde denunzieren, indem
ich mich zerreisse, verlöre ich noch mehr an Ansehen. Also lüge ich und gehe
durch die Stadt, wie wenn nichts wäre, bzw. wie wenn etwas wäre.
Wie auch immer, jedenfalls ging ich ins Gartenbaukino um 18,30 und war
einer der ersten dort. Und hatte vergessen, wie groß dieses Kino sein muss,
welche Massen, da kommen könnten. Und sie erschienen. Alles,Êwas im Kino
Rang und Namen hat, erschien und ich. Die aber hatten alle Karten. Und ich
hatte an diesem Abend wieder einmal nicht einen Schilling bei mir. Um groß
an die Kinokasse zu gehen, als wäre nichts, bzw. was. In dem Ausmaß als
sich Josef Hader verspätete, schrumpfte ich zur Mücke und wünschte, vom
Erdboden verschluckt zu werden. Noch dazu, wo alle mich kannten und
grüßten, als sei ich wer.
Zum Schluss stellte ich mich ins Freie und hoffte eigentlich nur mehr, Josef
Hader überseht mich, wenn er kommt, alle stürmen ihm nach und ich kann in
Ruhe heimgehen essen. Doch es erschien der liebe Moderator des
Internetbörsefernsehens, der immer so freundlich zu mir ist, frohgemuten
Schrittes mit einem Rucksäcklein hinten drauf und begrüßte mich, als sei ich
(wer), und ging mit mir um, als wäre ich gesellschaftsfähig. Da fasste ich mir
ein Herz, und gestand, dass ich eigentlich noch gar keine Karte hätte, und
hier stünde, um auf Hader zu warten, der mir eine in AussichtÊgestellt
hätte.ÊAber auch der Moderator, der schon immer so aufmerksam und
wohlwollend zu mir war, und dessen Namen ich nicht einmal weiß, hatte
keine, sagte er nun, und er sagte, als wäre nicht schon eine Viertel Stunde
Verspätung, dass er auch noch keine hätte, jetzt aber hineinginge, und sein
Glück versuchen würde. Er bat mich auch noch,Ê vielleicht bei Josef Hader um
eine für ihn zu bitten und vice versa würde er, wenn er jetztÊorganisieren
geht,Êauch für mich eine zu ergattern versuchen.
Es kamÊzur peinsamsten Konstellation, die denkbar ist: Hader kam noch
immer nicht, dafür aber der PRODUZENT des Filmes aus dem Kino heraus.
Höchstpersönlich er selbst, der Herrscher, Inhaber und Eigentümer der
Tausend, der doch Millionen Dinge im Kopf habenÊmusste, kam auf mich zu,
während die Erde mich nicht und nicht aufnahm, undÊgab mir eine
Karte:Ê'Herr Phettberg, ich bin da hier der Produzent, der Josef Hader hat
angerufen, er stickt im Stau und kommt aber schon jetzt bald, aber ich
sollÊihnen eineÊKarte geben, er habe sieÊihnenÊversprochen. Sie warten sicher
ungeduldig.' Und verstehen Sie, Damen und Herren, Schwestern und
Brüdern, ich habe an den lieben Moderator des Börsefernsehens nicht
gedacht in dem entscheidenden Moment der Möglichkeit.
Soweit derÊStand der EntwicklungÊam jetzt wirklichenÊJahrtausendwechsel. Wie
lächerlich und erniedrigend,Êauch nur ein Wort zu schreiben. Aber den Pathos
des VerstummensÊfände ich noch peinlicher und er täte mir noch mehr weh.
Jahrtausend nimm mich auf.
Hermes Phettberg
in der Hauptrolle und es war im Gartenbaukino, als ich versagte. Es steht zu
befürchten, dass ich in der Illusion lebe,Êaufmerksam zu leben, den
Mitmenschen eine Wohltat zu sein. Bemüht,Êzu helfen.ÊStets so zu handeln,
dass die Maxime meines Tuns zum allgemeinen Prinzip erhoben werden
könnte. UndÊvermutlich ist dieser innere Polarstern das Gerüst überhaupt,
das mich leben lässt: du bist ein Guty, vermut ich, sag ich zu mir. Echolot
rundum.Ê
Die sich Selbsterrichtung, die hier schreibt, seit 1952 das betreibt,Êängstlich
wie gierigÊdie schmuckeste Moral an sich raffend, hat gestern im
GartenbaukinoÊeinenÊStern gerissen, eine Selbstniederlage, dieÊalles zum
Wanken bringen könnte, es natürlich nicht vermögen wird, denn wie könnte
ich weitergelebt haben, angesichts dieses gestrigen Versagens, wie könnte
ich das hier schreiben, wenn ich wirklich die Konsequenzen gezogenÊhaben
hätte können, aus dieser Blamage.
Alleine schon, dass ichÊsie hier referiere, istÊein zweifacher Triumpf: Es ist der
Triumpf,Êdes Sieges über mich undÊdadurch zugleich der Sieg meiner
Ungebrochenheit, ja unbrechbarkeit. Und wäre ich jetzt gebrochen, wer hätte
was davon, und welches noch ägere moralische Monstrum entwüchse dann
wieder daraus?Ê
Also Josef Hader, der heuer drei Filme drehteÊund alsoÊwahrscheinlich alle
Hölle voll Terminen hat, rief persönlich in der früh noch an, bitte vergiss
nicht, um 19,30 h ist die Premiere,Êdu kriegstÊvon mirÊim Foyer deine
Karte.ÊKommÊschon eine Stunde früher, da habe ich Zeit und wir können viel
plaudern. Ich, der Minderwertige mit den Organminderwertigkeiten, werde
von Josef Hader, angerufen, ich darf mit ihm beisammensein. Manchesmal
denke ich dann doch, gültig zu sein vielleicht. Denn es gelingt mir keine
adäquate Ausdrucksform für meine Verzagtheit, denn theoretisch weiß ich,
von allen möglichen Proklamationen der Menschheit, dass jeder Mensch voll
Würde sei und a priori gültig. Niemand sei illegal. Alle gleich wertvoll. Und
ausserdem ist es ja auch praktisch, nicht den ganzen Tag schreiend und
tobend durch die Stadt zu wüten, sich flach auf den Boden zu legen und mit
dem Schädel auf den Asphalt zu trommeln.
Wenn ich auch nichts zusammenbringe, kraft dessen, dass ich existiere,
hätte ich angeblich Würde. Und würde ich diese Würde denunzieren, indem
ich mich zerreisse, verlöre ich noch mehr an Ansehen. Also lüge ich und gehe
durch die Stadt, wie wenn nichts wäre, bzw. wie wenn etwas wäre.
Wie auch immer, jedenfalls ging ich ins Gartenbaukino um 18,30 und war
einer der ersten dort. Und hatte vergessen, wie groß dieses Kino sein muss,
welche Massen, da kommen könnten. Und sie erschienen. Alles,Êwas im Kino
Rang und Namen hat, erschien und ich. Die aber hatten alle Karten. Und ich
hatte an diesem Abend wieder einmal nicht einen Schilling bei mir. Um groß
an die Kinokasse zu gehen, als wäre nichts, bzw. was. In dem Ausmaß als
sich Josef Hader verspätete, schrumpfte ich zur Mücke und wünschte, vom
Erdboden verschluckt zu werden. Noch dazu, wo alle mich kannten und
grüßten, als sei ich wer.
Zum Schluss stellte ich mich ins Freie und hoffte eigentlich nur mehr, Josef
Hader überseht mich, wenn er kommt, alle stürmen ihm nach und ich kann in
Ruhe heimgehen essen. Doch es erschien der liebe Moderator des
Internetbörsefernsehens, der immer so freundlich zu mir ist, frohgemuten
Schrittes mit einem Rucksäcklein hinten drauf und begrüßte mich, als sei ich
(wer), und ging mit mir um, als wäre ich gesellschaftsfähig. Da fasste ich mir
ein Herz, und gestand, dass ich eigentlich noch gar keine Karte hätte, und
hier stünde, um auf Hader zu warten, der mir eine in AussichtÊgestellt
hätte.ÊAber auch der Moderator, der schon immer so aufmerksam und
wohlwollend zu mir war, und dessen Namen ich nicht einmal weiß, hatte
keine, sagte er nun, und er sagte, als wäre nicht schon eine Viertel Stunde
Verspätung, dass er auch noch keine hätte, jetzt aber hineinginge, und sein
Glück versuchen würde. Er bat mich auch noch,Ê vielleicht bei Josef Hader um
eine für ihn zu bitten und vice versa würde er, wenn er jetztÊorganisieren
geht,Êauch für mich eine zu ergattern versuchen.
Es kamÊzur peinsamsten Konstellation, die denkbar ist: Hader kam noch
immer nicht, dafür aber der PRODUZENT des Filmes aus dem Kino heraus.
Höchstpersönlich er selbst, der Herrscher, Inhaber und Eigentümer der
Tausend, der doch Millionen Dinge im Kopf habenÊmusste, kam auf mich zu,
während die Erde mich nicht und nicht aufnahm, undÊgab mir eine
Karte:Ê'Herr Phettberg, ich bin da hier der Produzent, der Josef Hader hat
angerufen, er stickt im Stau und kommt aber schon jetzt bald, aber ich
sollÊihnen eineÊKarte geben, er habe sieÊihnenÊversprochen. Sie warten sicher
ungeduldig.' Und verstehen Sie, Damen und Herren, Schwestern und
Brüdern, ich habe an den lieben Moderator des Börsefernsehens nicht
gedacht in dem entscheidenden Moment der Möglichkeit.
Soweit derÊStand der EntwicklungÊam jetzt wirklichenÊJahrtausendwechsel. Wie
lächerlich und erniedrigend,Êauch nur ein Wort zu schreiben. Aber den Pathos
des VerstummensÊfände ich noch peinlicher und er täte mir noch mehr weh.
Jahrtausend nimm mich auf.
Hermes Phettberg