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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schmidt, Helmut (und sein musikalischer Sachverstand)



Goetz
02.01.2001, 11:32
Wir hatten 250-jähriges Jubiläum der TU Braunschweig und gaben in der Stadthalle mit unserem Uni-Orchester ein bischen Dvorak zum besten. Helmut Schmidt (sichtbar unfit schon) war Festredner, er saß dann beim Spielen in der ersten Reihe, so dass ich ihn sehen konnte. Er hatte genüßlich die Augen zu dabei. Da wir jedoch ab und zu einen Fehler eingebaut hatten in unser Spiel, riß es ihn jedesmal grausam aus seinem seligen Schlummer, er zuckte dann immer und öffnete schlagartig die Augen - das müssen Nadelstiche für ihn gewesen sein...
Gruesse, Götz

Walter Groebchen
18.01.2001, 14:49
'Von allen Offenbarungen der Macht besticht Zurückhaltung am meisten'
(Thukydides)

Der Hausarzt
15.11.2001, 22:56
music is medicine
art is therapy
love is the cure

vinzi
15.11.2001, 23:50
Interessanter Ansatz: Während man selbst im Rampenlicht sitzt, Promis dabei paparazzen, nicht im Rampenlicht zu stehen.

Tiffany Nudeldorf MD
16.11.2001, 01:04
Eben: es waren natürlich Nadelstiche für Jeden, aber der Prominente (in Parenthese abgekanzelert) darf nicht unbefangen zucken wie unzählige nicht prominente - aber wohl doch zahlende - Konzertbesucher.
Trotz der zynischen Grundhaltung - die mir als Musikerin völlig aber auch wirklich völlig fremd ist - nenne ich die Formulierung

Da wir jedoch ab und zu einen Fehler eingebaut hatten in unser Spiel
makellos und gekonnt.
Fanny
(Beitrag wurde von Tiffany Nudeldorf MD am 16.11.2001 um 00:04 Uhr bearbeitet.)

Klede
16.11.2001, 01:23
Taktisch gesetzte Fehler sind eigentlich nur zu uebertreffen durch bewusstes Klatschen zwischen Saetzen. Da ziehen immer mindestens zehn Leute mit und reissen die wohlinformierten, zurueckhaltenden, regelmaessigen Musikliebhaber in die Welt des begeisterungsfaehigen und unbedarften Bildungspoebels.

Tiffany Nudeldorf MD
16.11.2001, 01:36
'Taktisch gesetzte Fehler' - das ist das Stichwort. Natürlich!
Schmidt, ein alter Hase: hört gar nicht auf die Töne beim soundsovielten Dvorak. Alles was ihn interessiert, sind die Strategien ihrer Verteilung. Während man ihn für abgetakelt hielt, war er in Wirklichkeit bereits einen level höher, Ihr Akademiker.
Was taktierte denn der Dirigent währenddessen?

Fanny

Herr Cohn
16.11.2001, 02:16
na Dvorzak, zum 250sten Mal, in Braunschweig, und Klede war auch da, weil er weiß, wie man da klatschen musste.

Klede
16.11.2001, 02:25
Ja, ich war da, direkt hinter dem Altbundeskanzler, der zwischen strategisch verteilten Tönen sanft entschlummerte. Das war mir als gelegentlichem Zeitleser peinlich und unangenehm, da musste ich klatschen, um ihn aus seinen Konzertpianistentraeumen zu entreissen. Der Bildungsprolet in mir schlaegt halt immer dem Bildungsbuerger k.o.

Tiffany Nudeldorf MD
16.11.2001, 02:32
Ich wollte es schon sagen: eigentlich hatte ich mir von dem o.g. Strang erhofft, Helmut Schmidt würde noch Klavierspielen und von selbst wieder aufhören. Aber das hat er dann nur in seinem eigenen Traum getan.

Fanny

Herr Cohn
16.11.2001, 02:33
Schlagendes in Konzerten gehört in Bachs Zeit, welcher mal schumpf: 'Sie Zippelfagottist!' Bach durfte das.

Tiffany Nudeldorf MD
16.11.2001, 02:46
Das war aber auf der Straße, und Bach trug einen Degen. Und er mußte dafür auf die Wache, da her wissen wir's.

Fanny

Norma L.
24.12.2008, 13:27
Erwachsenen Kindern meiner Generation, die ohne Not die Schlüssel zu den Häusern ihrer Eltern besitzen, haftet doch ein wenig der Ruch des Ewigen Kindes an. Das bin ich wohl auch, und es ist nicht vergleichbar mit dem, was heute unter dem Namen „Hotel Mama“ in den Medien auf- und abdekliniert wird.

Ich habe mich also entschlossen, auf die liberale Aufforderung meiner schönen Mutter hin, vor Weihnachten oben im Norden vorbeizuschauen. „Es werden Freunde da sein, Kind. Es wird Dir gefallen. Dein Professor kommt ja ohnehin nicht los von seinem Apparat, also kannst Du doch weg, ich bitte Dich.“ Das einen Satz abschließende „ich bitte Dich“ ist einer der ganz wenigen Rückstände, die das Wienerisch meines Vaters in Ihrer Sprache hinterlassen hat. Ich habe gesagt, „Danke, Mama, vielleicht schau ich vorbei.“

Von dieser vorweihnachtlichen Vorbeischau kehre ich soeben zurück. Und was ich erzähle von da oben, ist eine anrührende Sache:

Ich komme ans Haus und höre schon unten an der Einfahrt, dass endlich wieder mal jemand den gravitätischen alten Flügel im Gartensalon bespielt. Das Instrument ist ein Erbstück, wunderlich geschnitzt, jährlich gestimmt, nie mehr gespielt. Aber heute. Alte Fuge, würde ich sagen. Bach vielleicht, ich bin Banausin, wie man weiß.

Ich lasse meinen Mantel, den Koffer und die Taschen im Foyer und gehe auf Zehenspitzen nach hinten, um an der Glastür zu sehen, wer da spielt. Das Haus ist offenbar menschenleer. Die Freunde vielleicht draußen am See? Es ist ein recht schöner Tag für die Jahreszeit. Ich komme an die Tür und versuche um die Ecke zu sehen. Es ist mir schon als Kind nie gelungen. Auch jetzt nicht, also muss ich entweder in den Garten um von der Terrasse zu sehen oder ich versuche den alten Türentrick: Ganz fest gegen die Klinke lehnen, runterdrücken, die Klinke unten halten und den Druck gegen den Türflügel loslassen. Mit ein bisschen Glück öffnet sich dann die Tür ohne Klicken und mit noch mehr Glück quietschen auch die Angeln nicht. Das Glück ist mit mir. Ich stecke den Kopf durch den Spalt und sehe am Flügel einen weißhaarigen Mann, schräg von hinten. Dennoch ist die Frisur unverkennbar. Ich habe das schon als Mädchen unglaublich gefunden – dieser Scheitel! Oben am Klavier ein Aschenbecher mit einer brennenden Zigarette.

Angelika Maisch
24.12.2008, 15:47
es ist zweifellos ein Versäumnis der Flügelbauer, den Aschenbecher bei der Konstruktion des Instruments nicht einzuplanen. Auch bei den Konzertharfen wären Modelle denkbar, die über einen an der Säule befestigten ausschwenkbaren Aschenbecher verfügen, der sich jederzeit der Bewegung anpaßt und daher immer im Lot ist.
Ansonsten: ein Hauch von echtem Neid durchzieht mein nikotingelbes Gemüt, liebe Norma L. Ach! Hätte man doch dabei sein können! Man hätte auch den "um-die -Ecke-Guck" Gymmick endlich mal brauchen können, den ich mir mal im ZKM gekauft habe.
Nur das Banausinnentum, das kann ich Ihnen nicht wirklich abnehmen.
Sonst aber die schönste Weihnachtsgeschichte, die man sich wünschen kann.

Kater
24.12.2008, 17:10
Das stümmt, Frau Maisch. Ich geh das denn auch direkt mal blau-machen (so sagte man doch früher hier, oder?)

duden
26.12.2008, 11:12
Endlich keine brennenden Kippen (http://www.markstein.de/cgi-bin/markstein.storefront/de/product/00003406?PID=DW_de) mehr in der Hosentasche!

Norma L.
26.12.2008, 17:17
Das alte Instrument, liebe Frau Maisch, kommt Ihren Wünsche weitgehend entgegen. Ich befürchte allerdings, dass die Vorrichtungen original eher für Kerzen, à la rigeur für Trinkgläser verwendet wurden. Für Aschenbecher waren sie wohl nicht gedacht. Man könnte sie aber darauf platzieren. De facto war der bewusste Aschenbecher sogar darauf platziert, allerdings war die Vorrichtung nicht über die Tastatur hin ausgeschwenkt.

Soviel ist jedenfalls sicher: wenn man den Flügel im vorderen Teil oben aufklappt, erscheint nicht nur in der Mitte ein bemerkenswert in allerlei geschnitzten Arabesken durchbrochener und aufklappbarer Notenständer, sondern an dessen Seiten lassen sich von eigenen Gelenken aus auch zierlich gedrechselte Tellerchen über die Tastatur ausschwenken.

Es gibt darüber hinaus, wenn mich meine kindliche Erinnerung nicht trügt, irgendwo auf der Seite neben einem Vorderbein des Flügels eine Messingröhre, in die ein großer Kandelaber auf einem Schwenkarm geschoben werden kann. Der Kerzenhalter wird von einer geschnitzten Figur getragen, die meine kindliche Phantasie betreffend verführerischer Weiblichkeit nachhaltig inspirierte. Es war dies eine Undine, eine wahre Lorelei, ein bisschen in der Art, wie man sie am Bug mancher alter Schiffe sieht. Da der Flügel aus recht hellem Holz gemacht ist, eignete dieser Figur in meinen Kinderaugen, zumal im Kerzenschein, eine unheimliche Lebendigkeit – die schlangenartigen Locken, die glänzenden Schuppen am anmutig geschwungenen Fischschwanz der Dame, von ihrem holden Busen gar nicht zu reden. Ich muss meine Mutter fragen, ob es diesen Flügelfortsatz noch gibt. Ich habe ihn seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen.

Alberto Balsam
26.12.2008, 19:01
bevor Sie fragen, mit allem möglichen rechnen, auch dass die Melusine verheizt wurde, hilft den Schock prophylaktisch zu minimieren

joq
26.12.2008, 23:17
"à la rigeur" wurde hier noch nie geschrieben, und was immer auch passieren mag, allein hierfür mag Norma L. gepriesen werden.

Kunta Kinte
27.12.2008, 00:26
Mit der richtigen Schreibweise wird man dann aber doch fündig.

Norma L.
27.12.2008, 16:08
Es fehlt das u, à la rigueur, natürlich. Ich würde es im Übrigen mit "zur Not" übersetzen. Jedenfalls ist dieser Ausdruck ein Relikt der Pariser Jahre, der zwischen meiner Mutter und mir mit dieser Bedeutung verwendet wird. Wir sprechen es, soweit ich beurteilen kann, korrekt aus, was das Französische betrifft.

Dass die Melusine (danke für das Wort, Alberto Balsam!) verheizt wurde, glaube ich nicht. Eher wird sie nur zu abendlichen ballähnlichen Veranstaltungen verwendet, um eine Ahnung davon zu geben, was die Damen unter ihren schulterfreien langen Roben verbergen könnten.